Die Angst ums Steuerparadies

Reiche sollen zahlen – so tönt es immer lauter. Im Juli schlug das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) vor, eine Zwangsabgabe oder -anleihe für Vermögende zur Entschuldung der Staatshaushalte einzuführen. Anfang August trat das aus Gewerkschaften, Attac und Sozialverbänden bestehende Bündnis »Umfairteilen« mit ähnlichen Vorschlägen an die Öffentlichkeit, Ende September möchte es zu diesem Thema einen Aktionstag veranstalten. Im Bundesrat bereiten die rot-grün regierten Bundesländer einen Gesetzesentwurf zur Wiedereinführung der Vermögenssteuer vor. Weiterlesen

Kurz- und Langfrist-Kalkül

Unlängst kamen die Leiter des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln, Jens Beckert und Wolfgang Streeck, in einem bemerkenswerten Beitrag (FAZ, 20.8.2011) zu folgender Schlussfolgerung: „Nachdem die Zuwächse des Sozialprodukts während der vergangenen dreißig Jahre vornehmlich den oberen Bevölkerungsschichten zugutekamen, stellt sich in der Schuldenkrise die Frage, ob und mit welchen Mitteln die Wohlhabenden versuchen werden, ihre Position auch um den Preis einer massiven sozialen und politischen Krise zu verteidigen.“ Weiterlesen

Deutschenfeindlichkeit

Sarrazin eilt weiter von Erfolg zu Erfolg: Nachdem eindeutig rassistische Aussagen nunmehr als kontroverse Meinungsäußerung verbucht werden, Horst Seehofer ungeachtet der Tatsache des aktuellen negativen Zuwanderungssaldos ein Einwanderungsstopp fordert und konservative Politiker aus der CDU angesichts der Rede des Bundespräsidenten Wulff (»Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland«) das christliche Abendland und die deutsche Leitkultur in Gefahr sehen (als ob die christlichen Kirchen die Avantgarde von Aufklärung, Menschenrechten und Demokratie gewesen wären), nun auch noch dies: Ein bisher fast ausschließlich in der rechtsextremen Szene und im Umfeld der Zeitung »Junge Freiheit« gebräuchlicher Begriff ist im offiziellen politischen Diskurs angekommen: »Deutschenfeindlichkeit«. Weiterlesen

Ein Buch als Verdichtung von Diskursen

Immerhin: Der Feuilletonchef der FAZ Patrick Bahners schreibt – allerdings nicht in seinem Hausblatt, sondern in Blätter für deutsche und internationale Politik – Folgendes: »Nicht wie aus einem Munde, aber immer lauter ertönt es heute: Der Islam ist das Problem. Was haben diejenigen gewollt, die diese Parole lancieren? Ralph Giordano und Henryk M. Broder sind redegewaltige Männer. Aber sie haben wohl kaum geglaubt, dass sämtliche Muslime deutscher Nationalität nach Lektüre der Autobiographie von [der niederländischen Islamkritikerin] Ayaan Hirsi Ali vom Glauben abfallen würden. Aber wenn nicht – was dann?«[1] Weiterlesen

Rassismus im Namen der Meinungsfreiheit

Können Sie folgende Zitate den richtigen Urhebern zuordnen? Zitat 1: „Sehr viele Bürger sehen in den Befunden des ‚Zahlenmenschen‘ Sarrazin bestätigt, was sie im Alltag beobachten“. Zitat 2: „Fest steht zunächst, dass seinen Thesen eine breite Mehrheit der Deutschen zustimmt. Schließlich spricht er offen aus, was Millionen Deutsche täglich erleben und erfahren.“ Ein Zitat stammt von Udo Voigt, Vorsitzender der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), das andere von Stefan Dietrich, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Weiterlesen

“Raum ohne Volk“

Ein deutscher Professor schafft es nur selten auf die Titelseite der Bild-Zeitung. Dem emeritierten Soziologen und Wirtschaftswissenschaftler Gunnar Heinsohn wurde diese Ehre unlängst zuteil. Er hatte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (15.3.2010) einen Text publiziert, der mit dem hochtrabenden Titel „Hartz IV und die Politische Ökonomie“ daherkam, im Kern aber einen weiteren Angriff auf den Sozialstaat darstellt.
Die Bild-Zeitung fasste einen Tag später die Kernaussage treffend zusammen: „Staat soll nur 5 Jahre Hartz IV zahlen“ – was die FAZ dann für ihre Online-Ausgabe abgewandelt übernahm. Weiterlesen

Westerwelle und die vielen kleinen, braven Leute

Nachdem Peter Sloterdijk für die bürgerliche Intelligenz vor kurzem „den Westerwelle machte“, indem er zum „fiskalischen Bürgerkrieg“ aufrief, demonstriert nun das Original mit seinen spätrömischen Dekadenzäußerungen über ein System, welches Menschen „anstrengungslosen Wohlstand“ verspricht, aufs Neue: Er ist der wahre Vorkämpfer im „dreißigjährigen Feldzug gegen den Sozialstaat“ (Hengsbach). Zwar gehört es zum guten Ton der politischen Elite, immer mal wieder die Stimmung gegen Arbeitslose zu schüren – erinnert sei an Philipp Mißfelders (CDU) Aussage, wonach die Erhöhung der Hartz-IV-Sätze ein Anschub für die Tabak- und Spirituosenindustrie sei oder an Kurt Becks (SPD) Empfehlung an einen Arbeitslosen, sich zu waschen und zu rasieren, dann habe er in drei Wochen einen Job –, doch noch niemanden ist es gelungen, eine so heftige Diskussion auszulösen wie Westerwelle.

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Ketzerischer Konformismus

Bereits vor 13 Jahren schrieb Oskar Negt „im Zorn und gegen das Vergessen“ über die sich selbst als 1968er bezeichnenden Intellektuellen. Sein Zorn richtete sich gegen sie, weil sie nunmehr meinten, alles abwerten zu können, wofür sie sich einst hätten schlagen lassen. Für Negt ließ das nur einen Schluss zu: „Der Opportunismus ist die eigentliche Geisteskrankheit der Intellektuellen.“[1] Und weiter: „Wo diese ihren Eigensinn, die bohrende und widerständige Kraft ihrer Entwurfsphantasien einbüßen, werden sie zu abrufbaren Legitimationsproduzenten mit beschleunigten Häutungen, und am Ende bleibt nur die Haut übrig, die man selbst zu Markte tragen muß.“ Weiterlesen

Klare Kante

Das deutsche Zentralorgan des Konservatismus, die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), hatte es im letzten halben Jahr nicht leicht: Allenthalben sah man sich mit einem Linksruck konfrontiert, der selbst vor der CDU/CSU nicht haltmachte. „Ist die Union noch konservativ?“ fragte besorgt Wulf Schmiese, um die Frage umgehend selbst zu beantworten. „Vielen fehlt heute auf der Rechten das Klare und Kantige.“ (28.7.2007) Bedauernd stellte Stefan Dietrich in seinem überaus interessanten Kommentar „Die Systemfrage“ fest, dass das Thema „soziale Gerechtigkeit“ die Arbeitslosigkeit von der Spitze der Agenda verdrängt habe. Weiterlesen

Der Europäische Aktionstag gegen Sozialabbau und die Hegemoniekrise des Neoliberalismus

Im Rahmen des Europäischen Aktionstages am 3. April gingen bei den Demonstrationen in Berlin, Stuttgart und Köln insgesamt 500.000 Menschen auf die Straße. Sie folgten den Aufrufen der Initiatoren unter dem Motto „Aufstehen, damit es endlich besser wird!“ und protestierten gegen die von der Bundesregierung betriebene Sozialdemontage.[1] Neben dem Deutschen Gewerkschaftsbund, der als Veranstalter fungierte, hatten auch Attac, Erwerbsloseninitiativen, Sozialverbände und linke Gruppen zur Teilnahme an den Demonstrationen aufgerufen. Weiterlesen