Totalitarismus und Unrechtsstaat

Vorgaben des Blicks auf die DDR am Beispiel des Gedenkstättenkonzeptes

Gelegentlich muss man der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für ihre Deutlichkeit einfach dankbar sein. So zum Beispiel, als sie dem ehemaligen Wehrmachtssoldaten und emeritierten Rechtsgelehrten und -philosophen Gerd Roellecke Raum gab, seine Meinung darzulegen zu der in der Öffentlichkeit intensiv diskutierten Frage, ob die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei (15.6.2009). Selbstredend war sie es. Doch nicht diese Antwort ist für das konservative Lager und ihre Publikationen so bemerkenswert, sondern die Art und Weise der Begründung. Kern von Roelleckes Argumentation war ein Vergleich der von ihm unter der Kategorie „Unrechtsstaat“ subsumierten NS- und SED-Regime. Das freilich ist seit dem Anschluss der DDR an die BRD Mainstream, wenngleich zumeist in einer modernisierten (neo)konservativen oder auch liberalen Version, die, um den Vorwurf der NS-Relativierung prophylaktisch zu entkräften, die Singularität und Unvergleichbarkeit der von den Nazis und ihren willigen Vollstreckern begangenen Massenmorde rhetorisch anerkennt. Weiterlesen

Neues Heldengedenken

Die Deutschen gedenken am liebsten ihrer selbst. Und nicht etwa derer, die von ihnen in das „Grab der Lüfte“ befördert wurden. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gerierte man sich als Verführte des Dämonen Hitler und klagte über eine „ungerechte“ Besatzungspolitik und die Entnazifizierungsmaßnahmen der Alliierten. Die Vernichtung des europäischen Judentums sickerte erst mit der Ausstrahlung der vierteiligen Fernsehserie „Holocaust“ ab 1979 in das kollektive Gedächtnis ein, von dem Völkermord an den Sinti und Roma lässt sich dieses nicht behaupten. Weiterlesen

Aus der Geschichte lernen?

Grass-Debatte und Götz Alys Bestandsaufnahme des Historikerstreits

Nur wenige Wochen nach dem Party-Patriotismus der Fußballweltmeisterschaft, der weitgehend als Indiz für den nunmehr unverkrampften Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte gedeutet wurde, ist mit dem Eingeständnis Günter Grass’, Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein, eine Debatte über das Verhältnis zum Nationalsozialismus wieder aktuell geworden. Fast genau 20 Jahre nach Ernst Noltes – den Auftakt für den Historikerstreit gebenden – Klagen über die Vergangenheit, die nicht vergehen will, scheint die deutsche Öffentlichkeit sich derzeit mitten in einer neuen geschichtspolitischen Kontroverse zu befinden. Schon frohlockt der Protagonist des rechts-konservativen Lagers aus dem Historikerstreit in einer italienischen Zeitung – hierzulande ist er mittlerweile sogar der FAZ zu weit rechts -, die Grass-Diskussion sei ein Anzeichen dafür, dass die von ihm seit 1986 vorausgesagte Verschiebung der herrschenden Begriffe nun eingetreten sei (vgl. FAZ, 17.8.2006). Anlass genug, zu fragen, ob dem tatsächlich so ist.  Weiterlesen

Ketzerischer Konformismus

Bereits vor 13 Jahren schrieb Oskar Negt „im Zorn und gegen das Vergessen“ über die sich selbst als 1968er bezeichnenden Intellektuellen. Sein Zorn richtete sich gegen sie, weil sie nunmehr meinten, alles abwerten zu können, wofür sie sich einst hätten schlagen lassen. Für Negt ließ das nur einen Schluss zu: „Der Opportunismus ist die eigentliche Geisteskrankheit der Intellektuellen.“[1] Und weiter: „Wo diese ihren Eigensinn, die bohrende und widerständige Kraft ihrer Entwurfsphantasien einbüßen, werden sie zu abrufbaren Legitimationsproduzenten mit beschleunigten Häutungen, und am Ende bleibt nur die Haut übrig, die man selbst zu Markte tragen muß.“ Weiterlesen

Abschließendes Ritual

„Wo hat man eigentlich jemals in der Welt eine Nation gesehen, die Mahnmale zur Verewigung der eigenen Schande errichtet hat?“ Diese Frage stellte der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, während einer Veranstaltung im thüringischen Landtag anlässlich des Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar. Weiterlesen

„Behemoth“ der Judenvernichtung

Zum Tode Raul Hilbergs

Raul Hilberg, der am 4.8. verstorben ist, ging es in seinem wissenschaftlichen Werk nicht um das Verurteilen des deutschen Faschismus. Das verstand sich für ihn, der 1938 mit seinen jüdischen Eltern vor den Nazis aus Wien über Kuba in die USA geflohen war, von selbst. Er wollte, wie Arno Widmann in einem der interessanteren Nachrufe schreibt (FR vom 7.8.2007), begreifen, die Untaten verstehen, wissen, wie es funktionierte. Die Erforschung der Judenvernichtung sollte sein Lebensinhalt werden. Weiterlesen

In der Nacht sind alle Katzen grau

Seit Mitte letzter Woche liegt der Konzeptentwurf des Kulturstaatsministers Bernd Neumann (CDU) mit dem Titel „Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen“ zur Neuordnung der Gedenkstätten vor. Für Schlagzeilen sorgte die Absicht, die Behörde zur Sicherung und Auswertung der Stasi-Unterlagen – besser bekannt als Birthler-Behörde – „mittelfristig in die allgemeinen Archive (Bundesarchiv bzw. Archive der Länder)“ einzugliedern. Weiterlesen

Antikommunistische Integrationsideologie

Offenbar sind einige Verfechter von Kapitalismus und repräsentativer Demokratie von der Überlegenheit ihrer Ordnung nicht sehr überzeugt. Andernfalls würden sie wohl kaum 16 Jahre nach dem unrühmlichen Ende der realsozialistischen Staaten befürchten, daß „sich ein Gefühl der Nostalgie in den Köpfen der jüngeren Generation als Alternative zur liberalen Demokratie festsetzen“ könnte, wie es in dem Entwurf zur Entschließung zur „internationalen Verurteilung der Verbrechen totalitärer kommunistischer Regime“ heißt (jW-Thema 30./31.01.06). Um dem vorzubeugen, schlägt das von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) am 25. Januar verabschiedete Papier vor, eine Bestandsaufnahme der Verbrechen des „totalitären“ Kommunismus vorzunehmen und denselben als Idee feierlich zu verurteilen.  Weiterlesen

Im nationalen Interesse

Michael Klundt/Samuel Salzborn/Marc Schwietring/Gerd Wiegel, Erinnern, Verdrängen, Vergessen – Geschichtspolitische Wege ins 21. Jahrhundert, NBKK, Schriften zur politischen Bildung, Kultur und Kommunikation, Giessen 2003, 180 Seiten, 10 EUR

Während Otto Normalbürger öffentliches Erinnern an den Nationalsozialismus eher als störend empfindet, bekennen sich deutsche PolitikerInnen problemlos zu ihrer „historischen Verantwortung“. Die Annahme einer abstrakten Täterschaft sei geradezu die „Bedingung einer selbstbewussten, nationalen Identität“ – so die These eines kritischen Sammelbandes über „geschichtspolitische Wege ins 21. Jahrhundert“. Weiterlesen