Rassismus im Namen der Meinungsfreiheit

Können Sie folgende Zitate den richtigen Urhebern zuordnen? Zitat 1: „Sehr viele Bürger sehen in den Befunden des ‚Zahlenmenschen‘ Sarrazin bestätigt, was sie im Alltag beobachten“. Zitat 2: „Fest steht zunächst, dass seinen Thesen eine breite Mehrheit der Deutschen zustimmt. Schließlich spricht er offen aus, was Millionen Deutsche täglich erleben und erfahren.“ Ein Zitat stammt von Udo Voigt, Vorsitzender der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), das andere von Stefan Dietrich, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Können Sie’s zuordnen? Nein? Nun, das erste stand in der FAZ, letzteres auf der Homepage der NPD. Aber das ist auch egal, denn von ihrer inhaltlichen Aussage sind sie identisch. Um den Einwand der Zitatklauberei und -Montage zu entkräften, sei zugegeben, dass die Texte sich, wenn man sie ganz liest, eindeutig zuordnen lassen. Aber auf eine Identifizierung von neonazistischer Partei und (nicht nur) konservativer Publizistik kommt es nicht an.

Gleichwohl verdeutlicht diese Montage – ebenso wie die Argumente der weiteren Verteidiger Sarrazins a lá „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ (BILD) – eines: Der biologistische Rassismus ist zurück in der politischen Mitte Deutschlands und gesellt sich zu dem kulturalistischen.

Dabei nimmt er für sich das Recht der Meinungsfreiheit in Anspruch. Exemplarisch hat dies ein weiterer SPD-Rechtsaußen vorgeführt: In der Süddeutschen Zeitung (6.9.2010) bricht Klaus von Dohnanyi eine Lanze für die Rehabilitierung des Wortes Rasse. „Also bitte keine Feigheit mehr vor Worten wie Rasse, Juden, Muslime. Es gibt sie. Man darf sie benutzen.“ Insofern ist es nur konsequent, wenn die NPD ihr Agitationsmaterial mit Sarrazin-Zitaten schmückt und ihn gerne als „Ausländerrückführungsbeauftragten“ ihrer Partei begrüßen würde.

Die Schnittmenge von offen rassistischen Positionen und „demokratischen Rassismus“ in der Mitte der Gesellschaft (Thomas Steinfeld, SZ, 31.8/1.9.2010) wird infolgedessen größer. Gleichzeitig erhöht sich die Diskrepanz zwischen dem offiziellen politisch-korrekten Diskurs und der erheblichen Verbreitung von ausländerfeindlichen und islamophoben Meinungen an den Stammtischen bzw. in den Internetblogs.

Die Tatsache, dass sich 18% der Deutschen vorstellen könnten, eine Sarrazin-Partei zu wählen, ist Ausdruck dessen. Eine Sarrazin-Partei mit Sarrazin ist derzeit nicht in Sicht. Sarrazin selbst kommt aus der politischen Elite und ihm fehlt daher der „Wir wollen es denen da oben mal zeigen“-Aspekt – ein typisches Element von rechtspopulistischen und rechtsradikalen Parteien. Zudem fehlt ihm das nötige Charisma.

Im Übrigen hat die Geschichte der bundesrepublikanischen Parteienlandschaft gezeigt, dass die CDU bislang durch die Integration von demokratischen rassistischen Elementen die Etablierung von Parteien rechts von ihr verhindern konnte. Warum soll das nicht auch für die SPD gelten? In diesem Zusammenhang muss auch erwähnt werden, dass 29% der Anhänger der Linkspartei sich vorstellen könnten, die Sarrazin-Partei zu wählen – eben weil sie auch im besonderen Maße Protestwähler anspricht, die es denen da oben mal ordentlich zeigen wollen.

Neben dieser Etablierung eines biologistischen Rassismus ist noch ein zweiter Aspekt von Bedeutung: der Hass auf Arme, angebliche Leistungsverweigerer und Faule. Diesen Diskurs hatte vor wenigen Monaten Guido Westerwelle mit seinen Beschimpfungen von Hartz IV-Empfängern bedient. In der Sarrazin-Debatte erfährt er eine weitere Radikalisierung. Natürlich sind beide Elemente nicht zu trennen. Sarrazins Abwertung von Migranten als Leistungsverweigerer vermischt sich mit ethnischen bzw. rassischen Zuschreibungen, die angeblich weiter vererbt werden.

All dies wird rezipiert als provokante, Tabu brechende Meinungsäußerung, die die lange nicht geführte Debatte über Migration, Integration und Ausländerkriminalität bereichern würde. Das aber trifft nicht zu. Über diese Themen wird seit Langem geredet: 1997 machte ein Kanzlerkandidat mit dem Slogan Wahlkampf »Wer unser Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eins: Raus, und zwar schnell.« Derselbe Gerhard Schröder (SPD) äußerte in derselben Zeitung (BILD), dass es kein Recht auf Faulheit gebe.

Roland Koch ließ gleich gegen die Ausländer unterschreiben und forderte das Strafalter für ausländische jugendliche Gewalttäter herabzusetzen, während sein Parteikollege Jürgen Rüttgers mit dem Slogan „Kinder statt Inder“ in den Wahlkampf zog. Die Konstruktion eines angeblichen Tabubruchs war schon oft Mittel, um extrem rechte Meinungen zu verbreiten.

Gegen die Bestrebung, Sarrazins Thesen dadurch zu verharmlosen, dass man sich auf die Mehrheitsmeinung im Volk, die Meinungsfreiheit, die (rassistische) Normalität anderer Nationen (so Dohnayi) oder pseudowissenschaftlich auf Statistiken beruft, kann es nur heißen „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“: Rassismus ist und bleibt Rassismus. Es gab einmal einen Konsens – allerdings in einer prosperierenderen Phase des Kapitalismus mit größeren Inklusionspotenzialen –, dass man Rassisten kein Forum in Deutschlands auflagenstärksten Zeitungen, Magazinen und Verlagen gab. Diese Zeiten allerdings sind vorbei.

(aus: www.sozialismus.de)

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