Referendum in den Niederlanden: ein richtiges Nein in schlechter Gesellschaft

Viele niederländische Linke sahen sich vor dem Referendum in einer Zwickmühle. Inhaltlich lehnen sie das Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine ab. Doch diese Position vertritt auch die rechtspopulistische Webseite Geen Stij. Und die hatte das Referendum zum EU-Ukraine-Abkommen in den Niederlanden initiiert. Sollte man die Werbetrommel also mit eigenen guten Argumenten für ein Nein zum Abkommen rühren, aber dann Gefahr laufen, einer Initiative zum Erfolg zu verhelfen, die von der zum Teil rassistischen Rechten unterstützt wird? Die niederländische Sozialistische Partei (SP) entschloss sich für die Unterstützung. Und sie fuhr gemeinsam mit den Rechten einen Sieg ein. Am 6. April stimmten mehr als 60 Prozent der Niederländer_innen, die sich an dem Plebiszit beteiligten, gegen das Assoziierungsabkommen, das bereits von allen anderen EU-Mitgliedsstaaten und der Ukraine unterzeichnet wurde. Die Wahlbeteiligung lag zwar nur knapp über dem nötigen Quorum von 30 Prozent, und das Referendum ist für die Regierung nicht bindend, aber Sieg ist Sieg, und der niederländische Premier Mark Rutte wird das Votum nicht ignorieren können.

Die Kommentierung in der konservativen, liberalen bis linken Presse war eindeutig: »Kremlhörige Linke« und Rechtspopulisten hätten als »Links-rechts-Querfront« ihre Feuertaufe bestanden, hieß es in der Tageszeitung Die Welt. Das Nein sei eine Schande für das freie Europa und ein folgenschwerer Verrat an den europäischen Freiheitswerten. Nutznießer sei allein der russische Präsident Putin.

In der Wochenzeitung Die Zeit war von einem Referendum als Waffe gegen die Demokratie die Rede. Und auch aus der Politik wurden Stimmen laut, die an ihrer Ablehnung des Entscheids keinen Zweifel ließen. Rebecca Harms von den Grünen, die im Ukraine-Konflikt kein Problem damit hatte, sich mit der teils nationalistischen, teils faschistischen Euromaidan-Bewegung zu solidarisieren, gab zu Protokoll: Plebiszitäre Elemente zu europäischer Politik, die so angelegt seien, wie die Abstimmung vom Mittwoch, könnten die EU »in ihrem Bestand gefährden«. Ihr Motto lautet offenbar: Demokratie nur, wenn die Ergebnisse meinen Wünschen entsprechen. Aber auch in linken Medien wurde einseitig die rechtspopulistische Instrumentalisierung der Befragung kritisiert. Den Rechten gehe es nicht um das Abkommen, sondern um ihre Feindschaft gegen die EU an sich.

Das ist zu kurz gedacht. Erinnert sei daran, dass die EU wissentlich die Ukraine in eine Zerreißprobe stürzte, als sie auf den Abschluss des Assoziierungsabkommens setzte. Dieses löste dann den Regierungssturz und Bürgerkrieg in der Ukraine mit aus. Sicher, auch Russland verhielt sich nicht astrein – aber aus einer Position der Schwäche heraus. Wohingegen die EU größenwahnsinnig versuchte, die Ukraine in ihren Einflussbereich zu ziehen, so nicht nur Altkanzler Helmut Schmidt, sondern mit ähnlicher Stoßrichtung auch weitere Politiker der alten Bundesrepublik wie Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher und Gernot Erler. Überdies bedeutet das Abkommen mit seinem Freihandelsteil, dass in der Ukraine die neoliberale Verarmungsspirale erst richtig in Gang gesetzt wird. Gewinner wird das europäische Kapital sein, das Zollgebühren spart und sich neue Absatzgebiete erschließt. Emile Roemer, Fraktionschef der SP, fasste die Argumente gegen das Abkommen wie folgt zusammen: »Dieser Vertrag hilft den multinationalen und korrupten Oligarchen, aber nicht den einfachen Leuten.« Und weiter sagte er, in der Ukraine werde ein bewaffneter Konflikt ausgetragen und dieser Vertrag sei dafür zum Teil der Anlass.

Es gab also die besten Gründe, gegen das Abkommen zu stimmen. Zumal wenn Regierungschef Mark Rutte nun gezwungen ist, über die Streichung der militärischen Zusammenarbeit von EU und Ukraine neu zu verhandeln. Dass Rechte auch mit Nein gestimmt haben, um der EU eins auszuwischen, ja sogar den größeren Anteil an der Mobilisierung hatten, ändert an diesen richtigen Argumenten nichts.

Ein Problem bleibt dennoch: Die Querfrontvorwürfe von konservativ bis linksliberal, die eine Schnittmenge zwischen Links- und Rechtspopulismus auszumachen meinen, finden in dem niederländischen Plebiszit dennoch eine scheinbare Bestätigung. Und es ist ja sogar so, dass in der Entgegensetzung von Oligarchie und Volk, wie sie in Roemers Zitat auftaucht, tatsächlich Elemente eines Populismus zu finden sind. Gleichwohl tat die SP gut daran, gegen das Assoziierungsabkommen zu mobilisieren. Das Nein bleibt richtig trotz der schlechten Gesellschaft.

aus: analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 615 / 19.4.2016

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