Keine Krisen an der Uni

Neue Studie bemängelt theoretische Monokultur in den Wirtschaftswissenschaften

Wie begossene Pudel standen sie vor knapp zehn Jahren da. Kaum ein Volkswirt hatte die Finanz- und die Weltwirtschaftskrise vorausgesehen. Das lag nicht etwa am Unvermögen der zahlreichen gut bezahlten Wissenschaftler an den Universitäten und Instituten, sondern weil diese in ihrer überwiegenden Mehrheit bis heute einer einzelnen ökonomischen Lehre anhängen: der neoklassischen. Und diese, so nur ein Kritikpunkt einer bereits 2000 in Paris entstandenen studentischen Initiative, sei unfähig, Krisen vorauszusagen. Zum Beispiel weil Krisen in der Neoklassik, auf die auch der Neoliberalismus aufbaut, keine Rolle spielen. Vielmehr werde von einem Gleichgewichtszustand ausgegangen. Überdies ist die relative Verselbstständigung der deregulierten Finanzmärkte – Auslöser der Krise 2008 – nicht Gegenstand der Forschung.

Inzwischen ist aus der studentischen Kritik eine kleine internationale Bewegung geworden. In über 30 Ländern gibt es Studierendengruppen; 2014 brachte ein Aufruf das Unbehagen am Zustand der Volkswirtschaftslehre, die auch als trübsinnige Wissenschaft bezeichnet wird, weil in ihr eine Verbesserung des Lebensstandards keine Rolle spielt, auf den Punkt. In Deutschland firmiert die Initiative unter dem Namen »Netzwerk Plurale Ökonomik« und hat ihren Sitz in Heidelberg. Am Donnerstag veröffentlichte der Verein, finanziert von der Hans-Böckler-Stiftung und in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern von der Universität Kassel, eine Bestandsaufnahme der Pluralität in der volkswirtschaftlichen Lehre in Deutschland.

Das Ergebnis der sogenannten EconPLUS-Studie ist wenig schmeichelhaft. Der Kritik von Studierenden und auch seitens der Öffentlichkeit an der theoretischen Monokultur im Hörsaal stimmen die Professoren, Dozenten und Lehrbeauftragten (588 an 54 deutschen Unis wurden befragt) zwar mit großer Mehrheit zu. 84 Prozent der Befragten wären tendenziell sogar bereit, ihre Lehre plural auszurichten. Allein: Daraus folgt mitnichten, dass diese auch keynesianische, marxistische oder ökologische Zugänge in ihren Lehrveranstaltungen vermitteln (weitaus offener für solche Ansätze sind übrigens Frauen).

Als Gründe werden in der Studie der Umfang des Pflichtstoffs, personelle Engpässe und die »leistungsorientierte Organisationsroutinen der modernen Universität« angegeben. Studienautor Frank Beckenbach von der Uni Kassel nennt noch einen weiteren Grund: »Welcher Lehrende wird bereit sein, sich über die Vorgaben der Modulhandbücher hinwegzusetzen?« Gerade Dozenten mit befristeten Verträgen würden in diesem Fall mit Klagen von Studierenden rechnen, die auf das Einhalten der Modulvorgaben pochen könnten. Beckenbach wirft daher die Frage auf, »inwieweit die eindeutig einseitige und verbindliche Vorgabe von speziellen Sichtweisen innerhalb der Modulhandbücher nicht der verfassungsrechtlich gebotenen Freiheit in Forschung und Lehre widerspricht.« Überlegungen, dagegen zu klagen, gibt es aber derzeit nicht, sagt Christoph Gran, Mitglied des Netzwerkes Plurale Ökonomik auf nd-Nachfrage.

Die Auswertung von Modulhandbüchern ist der zweite Schwerpunkt von EconPLUS. Die Ergebnisse unterstreichen die Ergebnisse der Umfrage unter den Lehrenden. Ganz klar lässt sich ein neoklassischer Mainstream identifizieren. Deshalb resümiert Gran: »Die Studierenden bekommen nur wenige Möglichkeiten, über den Tellerrand der traditionellen Ökonomik in die Vielfalt der Theorieansätze zu blicken.«

aus: neues deutschland, 11.11.2016

www.pluralowatch.de/econplus

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