Mehr Spaß am Untergang

Die Hamburger Ausstellung »Geniale Dilletanten« historisiert die Subkultur der 1980er Jahre

Als Anfang der 1980er Jahre vornehmlich in der alten Bundesrepublik eine subkulturelle Kulturszene eine Explosion der Kreativität verursachte, hätten sich ihre Protagonisten wohl nicht träumen lassen, wenige Jahrzehnte später in der hochkulturellen Institution schlechthin – dem Museum – historisiert zu werden. Doch so ist es gekommen. Das, was als »Neue Deutsche Welle« (Musik), »Neues Deutsches Design« und als »Junge Wilde« oder »Heftige Malerei« (Bildende Kunst) in Berlin, Düsseldorf, Hamburg, Köln und München abseits der etablierten Institutionen das Licht der Welt erblickte, wird derzeit im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe ausgestellt. »Geniale Dilletanten«, konzipiert vom Goethe-Institut, war im vergangenen Jahr bereits in München zu sehen, doch die Ausstellung in der Hansestadt präsentiert eine erweiterte Fassung, inklusive eines eigens gedrehten Interviewfilms.

Der Titel mit dem absichtlich falsch geschriebenen Wort ist Programm und rekurriert auf die Veranstaltung »Die große Untergangsshow – Festival Genialer Dilletanten«, die 1981 in Berlin stattfand. Heute gilt er als »Synonym einer kurzen Epoche künstlerischen Aufbruchs«, so der Pressetext. So mancher Zeitgenosse beurteilte das, was beispielsweise das musizierende Kunstprojekt Die Tödliche Doris auf der Bühne veranstaltet, anders. Ein Leserbriefschreiber gab im Berliner Stadtmagazin »Tip« kund: »Ich dachte immer, Musik zu machen hätte doch wenigstens ansatzweise etwas mit Kreativität zu tun, aber bei den ›Genialen Dilletanten‹ = NULL! …«

Die Tödliche Doris ist vielleicht das beste Beispiel der neuen Untergrund-Strömung, die sich um Professionalität und Könnerschaft nicht scherte. Im Gegenteil, im Geiste des Punks hielt sie die Selbstermächtigung des »Do It Yourself« hoch und machte sich um musikalische wie künstlerische Genregrenzen keine Gedanken. So gehörten zum Projekt um die beiden Kunststudenten Wolfgang Müller und Nikolaus Utermöhlen auch Installationen, Texte, Filme und Fotografien. Müller gab kurz nach dem Festival das Buch »Geniale Dilletanten« im Merve-Verlag heraus (angeblich soll Heiner Müller ein Exemplar heimlich in die DDR geschmuggelt haben). Blixa Bargeld, Sänger der Einstürzenden Neubauten, schrieb in seinem Beitrag: »Unsre Musik sind keine Töne mehr, es ist auch nicht wichtig, was es für Klänge sind.«

Die Neubauten sind eine weitere zentrale Band der Strömung und vermutlich die prominenteste. Sie, die Tödliche Doris und sechs weitere Musikgruppen stehen im Zentrum der Hamburger Ausstellung. Die anderen sind Der Plan aus Düsseldorf, die Hamburger Palais Schaumburg, die mit ihrem Song »Der Mussolini« sehr kontroversen D.A.F. – Deutsch Amerikanische Freundschaft, die bis dato aktive Münchener Band F.S.K. – Freiwillige Selbstkontrolle, die von John Peel als »Queens of Noise« bezeichneten Mania D/Malaria! sowie die ostdeutsche Band Ornament und Verbrechen. Neben Foto, Video- und Hörmaterial gibt es von wenigen Bands zusätzlich noch besondere Exponate. Von den Neubauten ist das legendäre Stahlschlagzeug ausgestellt, von Ornament und Verbrechen sind die selbst gebastelten Instrumente zu sehen. Da dienen ein Gartenschlauch und der Auspuff eines Mopeds als Blasinstrument, ein mit Legosteinen gefüllter Plastikkanister oder eine mit Fell bespannte Schublade als Perkussionsinstrumente. Das nach dem österreichischen Architekten Adolf Loos benannte Bandprojekt um die Brüder Ronald und Robert Lippok war die »bekannteste unbekannte« Band in der DDR. Sie war von Jazz, britischem Industrial und elektronischer Musik beeinflusst und galt schon wegen ihres Namens den staatlichen Stellen als unangepasst und subversiv. Offizielle Konzerte konnte die Band nicht spielen, so blieben nur »Piraten-Gigs«. Ihre Musik wurde auf Kassette aufgezeichnet und über ein gut funktionierendes Untergrundnetzwerk vertrieben. Die neue Kassettentechnik war auch in der BRD der zentrale Tonträger und zunächst der übliche Weg, Musik zu veröffentlichen. Erst später kamen LP-Veröffentlichungen auf Labels wie ZickZack und Ata Tak hinzu. Bezug genommen wurde auf Kunstrichtungen der 1920er Jahre wie Dada, gesungen auf Deutsch, in bewusster Abgrenzung zum dominierenden englischsprachigen Pop. D.A.F. bezeichneten das ausdrücklich als Signal gegen den amerikanischen Kulturimperialismus.

Die gesellschaftliche Stimmung, geprägt vom Kalten Krieg, drohendem Atomkrieg und saurem Regen, beförderte die kreative Freiheit. »Mehr Lust am Untergang«, lautete das Motto. Nicht nur in der Musik, sondern auch in den Bildenden Künsten, Film und Design drückte sich das aus. Zu den Jungen Wilden, die sich durch einen neo-expressiven Stil auszeichneten, gehörten unter anderem Martin Kippenberger, Albert Oehlen und Werner Büttner in Hamburg, Salomé, Helmut Middendorf, Rainer Fetting und Bernd Zimmer in Berlin sowie Hans Peter Adamski, Peter Bömmels und Walter Dahn in Köln. Zimmers monumentales achtundzwanzig Meter langes Bild »1/10 Sekunde vor der Warschauer Brücke«, das einen vorbeifahrende S-Bahn zeigt und ursprünglich für den Punk-Club SO36 hergestellt wurde, ist ebenso derzeit in der Elbmetropole zu sehen wie Middendorfs Adaption des Covers von »London Calling«, der berühmtesten Platte der Punkband The Clash. Ein Symptom der neuen Malerei, die sich insgesamt nur schwer auf einen Begriff bringen lässt, waren auch Gemeinschaftsproduktionen. Oehlen und Büttner malten etwa gemeinsam in der Hamburger Buchhandlung »Buch Handlung Welt«.

Das Neue Deutsche Design stellte mit seinen Werken bis dahin geltende Maximen der Funktionalität bzw. der »Guten Form« in Frage. Sehr gut zu sehen am ausgestellten Wohnzimmer von Christian Borngräber, wo beispielsweise ein Einkaufswagen zum Sessel umfunktioniert wird. Über die Dysfunktionalität der »Möbel Perdu«, so der Titel einer Ausstellung 1982 in Hamburg, schüttelten so manche Besucher den Kopf. Doch zugleich wurden wichtige Impulse für die Design-Entwicklung gegeben.

Schon während des Ausstellungsbesuchs fragt man sich, was man in fünfunddreißig Jahren im Museum vorfinden wird, aber heute in kleinen Clubs und Galerien verpasst? Und die Subkultur-Protagonisten von damals? Sie sind heute als Suhrkamp-Autor und ausstellende Künstlerin Teil der Hochkultur – oder Tourmanager von Robbie Williams. Wohl auch deshalb fordert ZickZack-Labelgründer Alfred Hilsberg (der mit einer soeben erschienenen Biografie ebenfalls Teil der Historisierung ist) in dem Booklet des die Ausstellung begleitenden CD-Samplers eine neue Bewegung, die die vorherrschende Angepasstheit und die Vereinzelung überwinden soll.

»Geniale Dilletanten«. Subkultur der 1980er-Jahre in Deutschland, Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, Hamburg, Bis 30.4.

aus: neues deutschland, 31.03.2016

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