Music-on-Demand: Wer verdient daran – und wie verändert das Streamen das Musikhören?
Ein Kollege stöhnte kürzlich auf, als ein Streaming-Link zum neuen David Bowie-Album, der ihm von der Plattenfirma geschickt worden war, nicht funktionierte. Ich bot an, ihm einen kostenlosen Spotify-Zugang einzurichten, womit er das Album hören könne. Doch er lehnte ab. »Diese Streamingfirmen boykottiere ich aus Prinzip. Da verdienen die Musiker ja nichts dran«, lautete die Begründung.
Für Furore sorgte im April letzten Jahres ein Twitter-Tweet vom Geoff Barrow, Mitglieder der britischen Band Portishead, die mit ihrem Debütalbum das Genre TripHop miterfanden: »34 000 000 Streams, Einkommen nach Steuern = 1700 Pfund, Danke Euch Apple, YouTube und Spotify.« Umgerechnet bekam Barrow pro Stream 0,007 Cent. Kleckerkram, Kleinvieh und Peanuts sind da noch euphemistische Ausdrücke. Und mein Kollege scheint Recht zu haben mit seiner Aversion gegenüber den Streamingportalen, die sich seit wenigen Jahren einer rasant steigenden Beliebtheit erfreuen, in den skandinavischen Ländern schon den größten Anteil am Umsatzkuchen der seit dem Auftauchen von Tauschbörsen wie »Napster« arg gebeutelten Musikindustrie haben und die die Kultur des Musikhörens umwälzen.
Doch ganz so einfach ist es nicht. Aus mehreren Gründen. Zum einen stimmt es nicht, dass die neue Streaming-Technologie und die dahinter stehenden Unternehmen die Hauptschuld an den geringen Einkünften der Musiker haben. Die aufgenommene Musik wird global zu 80 Prozent von drei großen Plattenfirmen vertreten. Diese Majorlabel – Universal, Warner und Sony – sind die Rechteinhaber der Musik. Um deren Künstler in ihr Angebot aufnehmen zu können, müssen die Music-on-Demand-Firmen Lizenzverträge mit ihnen abschließen. Die sind Geschäftsgeheimnis. Doch ein im vergangenen Jahr geleakter Vertrag zwischen dem Marktführer Spotify und Sony und eine Untersuchung über den französischen Streamingmarkt geben Einblicke in die Geschäftsgebaren der Majors. Demzufolge hat Spotify Sony für den Zugriff auf deren Musik für einen Zeitraum von drei Jahren 42,5 Millionen Dollar gezahlt. Und der französische Produzentenverband Syndicat National de l’édition Phonographique veröffentlichte im Februar letzten Jahres eine Recherche, der zufolge Musiker nur mit knapp sieben Prozent an jedem Abo von Spotify beteiligt werden. In Deutschland sollen die Finanzströme ähnlich sein. Insgesamt reichen Spotify und Co. rund 70 Prozent ihrer gesamten Einnahmen an die Rechteinhaber weiter. Das ist genau so viel wie der führende Downloaddienst iTunes zahlt. Die Frage ist also: Was passiert mit dem Geld, das die Plattenfirmen einnehmen? Die Antwort: Sie behalten es. Das legt in allen Einzelheiten auch die Studie »Fair Music« der Re-think Music-Initiative nahe. In dieser wird auf noch eine weitere Geschäftspraxis aufmerksam gemacht, von der die Musiker ebenso wenig haben. Da zum Beispiel Spotify immer noch Verluste macht, hat es im Rahmen seiner Lizenzdeals Firmenanteile an die Majors verkauft. Es ist aber mehr als zweifelhaft, ob diese die Künstler an dieser Geschäftspraxis beteiligen, obwohl ihr Vertreter das behaupten.
Dabei wäre es technisch ohne Weiteres möglich, jeden Stream eines Songs im Detail zu erfassen und nach festzulegenden Kriterien die Urheber von Musik und Text zu entlohnen. Die großen Datenabteilungen der Streamingfirmen können beispielsweise analysieren, wann Studenten der New York Univesity ins Bett gehen (gegen 1.15 Uhr erlahmt die Streaming-Aktivität) und wie lange sie schlafen (immerhin siebeneinhalb Stunden). Doch die Streaminganbieter haben offenbar kein Interesse daran, den Plattenfirmen bessere Daten für ihre Abrechnung mit den Musikern zur Verfügung zu stellen. Sie sind in einer schwächeren Verhandlungspositionen gegenüber den großen Drei, sie wollen die Rechte behalten. Geoff Barrows sarkastischer Dank an Apple, YouTube und Spotify greift also zu kurz. Am Schopfe der Boombranche Streaming zieht sich die Musikwirtschaft gerade aus dem Elend, das ihr illegale Tauschbörsen bereitet hatten, heraus. Dass Sony, Universal und Warner das Geld nicht an die Künstler weiterreichen, liegt oft auch an Plattenverträgen, die noch aus der Prä-Streaming-Zeit stammen. Gestern wie heute verdient man als Musiker oder Künstler im Allgemeinen nicht besonders viel Geld – die wenigen Superstars, auf die sich das Auge der Öffentlichkeit richtet, einmal ausgenommen.
Ein weiterer Einwand gegen die Aversion meines Kollegen lautet: Musikstreaming kann auch als Überwindung des Warencharakters von Musik verstanden werden – zumindest potenziell. Nicht der Besitz eines physischen Tonträgers, den man als Ware in Form einer Schallplatte oder CD erwirbt, ist Voraussetzung für den Genuss von Musik, sondern der Zugang zu einem zentralen Server, der dem Hörer per Mausklick einen von bis zu 30 Millionen Songs zur Verfügung stellt. Bei Spotify und vielen anderen Anbietern ist der Dienst auch ohne Abogebühr nutzbar, man muss allerdings eine schlechtere Soundqualität und penetrante Werbung ertragen können. Der überwiegende Teil der weltweit 55 Millionen Spotify-Nutzer konsumiert den Dienst auf diese Weise. 20 Millionen Menschen zahlen monatlich rund zehn Euro für den Premiumaccount. Der Konkurrent Apple Music – erst seit Juni am Start – hat zehn Millionen zahlende Kunden. Eine kostenlose Version gab es nur für die ersten drei Monate.
Somit kann das Musikstreaming durchaus als Element der sogenannten Share Economy verstanden werden, in der der Konsument nicht mehr eine Bohrmaschine, ein Auto oder eine CD besitzen möchte. Kein Wunder ist es daher, dass Spotify aus Schweden stammt und die skandinavischen Länder Spitzenreiter in der Nutzung von Streamingdiensten sind (in Deutschland dominiert mit 60 Prozent Anteil am Umsatz immer noch die CD, global ist der Anteil physisch/digital ausgeglichen). In Schweden gibt es eine ausgeprägte Tradition des sogenannten Jedermannsrechts. Diesem nicht schriftlich fixierten Recht zufolge ist es jedem erlaubt, privaten Grund zum Wandern, Zelten oder zum Bootfahren zu nutzen – vorausgesetzt man stört niemanden. Im Grunde wandte Spotify-Gründer Daniel Ek diese Tradition lediglich auf die digitale Musik an, so das Argument in dem lesenswerten Feature »Station to Station« des Musikmagazins »Pitchfork« über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Musikstreamings.
Ein »Aber« gibt es indes: Die Überwindung des Warencharakters von Musik durch Streaming ist nur eine scheinbare bzw. potenzielle. Erstens bezahlt der Nutzer auch hier mit seinen Daten, jede Aktivität wird aufgezeichnet, ausgewertet und mit Sicherheit für die zahlenden Werbekunden aufbereitet. Da die Streamingdienste in Zukunft Profit werden machen wollen, ist anzunehmen, dass sie den kostenfreien Zugang einschränken werden. Und drittens sind sie spätestens seit dem Einstieg der großen Plattenfirmen Teil eines nach wie vor nach kapitalistischen Prinzipien arbeitenden Musikbusiness. Erst wenn das bürgerliche geistige Eigentumsrecht im digitalen Kapitalismus in Frage gestellt wird, kann aus der scheinbaren Überwindung des Warencharakters eine tatsächliche werden. Das jedoch geht nur, wenn über andere Vergütungen von Künstlern – etwa in Gestalt des Grundeinkommens – nachgedacht wird.
Und was ändert sich für den Musikhörer? Einerseits kann er auf so viel Musik zurückgreifen wie nie zuvor. Andererseits kann das eine Tyrannei der Auswahl und eine Bevormundung nach sich ziehen. Durch Algorithmen erstellte Playlists bieten ihm Musik je nach Stimmung, Tageszeit und Tätigkeit, fein abgestimmt sogar bis auf den Herzschlag. Freilich gibt es bereits Gegentendenzen: Musiker kuratieren Playlists, selbst Vinyl erfährt eine Renaissance. Aber insgesamt scheint der Trend hin zu einer Inflationierung des Musikkonsum zu gehen. Wie sein Kollege greift der Autor dieser Zeilen daher lieber zur Schallplatte oder CD. Und ist damit doch nur ein »Kind des Supermarktes«, wie es der Kritiker Evan Eisenberg in seinem Buch »Der unvergängliche Klang« über die Konsequenzen des Zur-Ware-Werdens von Musik ausdrückte.
aus: neues deutschland, 18.01.2016