An der Schaubühne wurde zum ersten Mal eine TV-Serie für die Bühne adaptiert: die dänische Produktion »Borgen«
Das gab es schon oft: Romane werden für das Theater adaptiert. Das gab es noch nicht: Eine moderne TV-Serie wird auf die Bühne gebracht. Nicolas Stemann hat das nun mit der Erfolgsserie »Bogen« gemacht. Ein gewagtes Experiment.
Jüngst hat Axel Brüggemann im »Freitag« die interessante These aufgestellt, dass das Theater nur dann eine Zukunft haben kann, wenn es sich an den neuen TV-Serien orientiert. Wie das? Die neuen Serien zeichnet Brüggemann zufolge jene uralte Qualität aus, die lange auch die Bühnen hatten: das allgemeingültige Epos, das unsere Wirklichkeit spiegelt. Seine Hauptthese lautet: »Die Serie ist das neue und bessere Theater unserer Zeit – es versteht sich als Zukunft des poetischen und literarischen Erzählens.« Relevanz für das Theater sieht er zukünftig nur, wenn sich »seine Produktionsstrukturen und sein Selbstverständnis wandeln«.
Wir sehen eine von Katrin Nottrodt schlicht ausgestattete Bühne. An einer Art Konferenztisch sitzen die Schauspieler, links und rechts stehen je zwei Monitore, auf die zunächst die Protagonisten aus der in über 70 Ländern ausgestrahlten Erfolgsserie »Borgen« vorgestellt werden und später die Gesichter der mit Smartphone aufgenommenen Schauspieler zu sehen sind. Diese lesen ihren Text von Telepromptern ab, was offenkundig den Inszenierungscharakters des politischen Betriebes verdeutlichen soll. Denn diesen zu entlarven war das Ziel von Stegemann und Stemann, wie sie im Vorfeld der Premiere am Sonntag in Interviews betonten. Von den »Vorgängen hinter den Vorgängen«, den »komplexen Prozessen hinter der Oberflächenerzählung« war da die Rede oder von dem Versuch, »gleichzeitig eine Realität herzustellen und die Herstellung dieser Realität zu zeigen.«
Stemanns Inszenierung gelingt es aber nur bedingt, diesen Anspruch umzusetzen. Zwar wird mit einem ganzen Reigen an V-Effekten gearbeitet. Es wird eingeführt, moderiert, es werden Zwischenfazite gezogen und Songs gesungen. Der Zuschauer wird direkt angesprochen, eine Handlung wird in Alternativen erzählt (schade, dass die Variante mit dem US-Präsidenten hoch oben in der mobilen Freiheitsstatue so kurz ist). Und vor allem wechseln die Darsteller ihre Rollen und die Hauptfiguren werden karikiert. Die Journalistin Katrine Fønsmark wird von Regine Zimmermann als überengagiertes, idealistisches Blondchen gespielt. Der Spindoktor Kasper Juul (Tilman Strauß) dealt männerbündisch mit dem ehemaligen Premierminister und Arbeiterparteivorsitzenden Michael Laugesen. Nyborgs Mentor, der in der Serie sehr sympathisch wirkende Bent Sejrø (ebenfalls Regine Zimmermann) ist hier ein armer Greis.
Die Handlung der in drei Staffeln gelaufenen Serie wird freilich in gestraffter Form dargeboten. Ausgangspunkt ist der Wahlsieg der Moderaten Partei unter Führung ihrer Vorsitzenden Birgitte Nyborg (Stephanie Eidt). Sie fällt aus der Rolle der Wahlkämpferin, weil sie mit den Vorgaben des Politikbetriebs bricht – und findet sich deshalb in der Rolle der Wahlsiegerin wieder. Schließlich wird sie Premierministerin einer Mitte-Links-Regierung. Beginnend mit den Koalitionsverhandlungen muss sie sich auf Kompromisse, Kuhandel und Halbwahrheiten einlassen. Mitunter lehnt sie die schmutzigsten Deals ab.
Kann sie aber an der Macht bleiben und trotzdem sie selbst bleiben? So formuliert Nyborg immer wieder die zentrale Frage der Inszenierung, so dass auch der Letzte im Publikum nun verstanden haben muss, dass das die Essenz des Stückes ist. Zumal es in einem Song treffend heißt: »Die Macht ist kein süßer, kleiner Hund.« Warum es allerdings nach der ersten Pause noch zwei Stunden so weitergehen muss, erschließt sich nicht vollständig – zumal das Stück später zu sehr in eine Homestory abrutscht. Die Tochter leidet an Angstzuständen, der achtjährige Sohn nässt das Bett, Birgittes Ehemann Philip will nicht länger auf seine eigene Karriere verzichten und nimmt einen Job als Aufsichtsratsvorsitzender eines großen Konzerns an. Schlussendlich geht die Ehe in die Brüche, weil Nyborg nicht von der Politik lassen will.
Aber dass der Job des Premierministers auch im kleinen Staate Dänemark zeitraubend und die Work-Life-Balance schwerlich auszutarieren ist – das wusste man auch schon vor der TV-Fassung des Stoffes. Immerhin kommt in dieser Phase des Stückes zumindest so etwas wie dramaturgische Spannung auf.
Doch vom Ziel, die Vorgänge hinter den Vorgängen zu zeigen, führt der private Strang eher weg. Als zielführend ist wohl gemeint, dass die Kinder der Nyborg (anders als in der Vorlage) als frühreife kritische Geister in der Sofalandschaft agieren. Insbesondere Sohn Magnus tut sich hier hervor. Er fragt nach den Ursachen von globaler Ungleichheit, Armut und dem Aufstieg des IS. Letzteren vermutet er als vom Irakkrieg der USA verursacht. Er wirft zudem die Frage nach der Verantwortung des westlichen Kapitalismus für die Flüchtlingsströme auf und wiederholt mehrmals resümierend: Letztlich sei alles eine Frage des Klassenkampfes. Das mag schon sein, doch im Munde eines klugscheißenden Dreikäsehochs wirkt das lächerlich. Bezeichnend die Reaktion der Eltern: »Kinder, was lest ihr eigentlich für Bücher?«
Stemann führt überdies abweichend zur TV-Serie einen Exkurs über die Frage der offenen Grenzen aus Sicht der deutschen Wirtschaft in Form eines auf den Monitoren übertragenen Interviews ein. Hier blitzen interessante Gedanken auf. Zum Beispiel, welche Konsequenzen es hat, mit Unternehmern, die Bürgerkriege finanzieren und somit für Flucht sorgen, das Projekt offene Grenzen zu verteidigen. Und natürlich wird das Merkelsche Diktum »Wir schaffen das« zitiert und auf Pegida inklusive des Galgen, der vor Kurzem für Aufsehen erregte, angespielt. Doch das wirkt drangeklatscht, weil man dazu schon so viel gehört und gelesen hat.
So muss man festhalten, dass das eingetreten ist, was Stemann im Vorfeld angedeutet hat: Das Experiment, »Borgen« auf die Bühne zu bringen und die Prozesse hinter der Politik darzustellen, kann scheitern. Und das tut es – trotz zahlreicher charmanter Inszenierungseinfälle. Stark etwa die Szene, als Guantanamohäftlinge in orangefarbenen Overalls auf der Bühne mit Nationalflaggen westlicher Staaten bedeckt werden.
Die Vorlage machte es besser. Gerade weil sie die Protagonisten als idealistische sympathische Figuren zeichnet, obwohl sie schmutzige Kompromisse eingehen müssen. Denn so wird dem Zuschauer mehr Komplexität vermittelt und er muss den Widerspruch zwischen Identifikation mit den Hauptdarstellern und Zynismus des Politik- und Medienbetriebs, der diese immer wieder beschädigt, aushalten. Insofern hat sich Stemann einen Popanz aufgebaut, wenn er mit Blick auf die Vorlage feststellt: »Letztlich gehen die Figuren und auch das System unbeschadet aus diesen Konflikten hervor.« Gerade das tun sie nicht. Zumindest in Bezug auf »Borgen« bleibt die Serien-Fassung das bessere Theater unserer Zeit.
aus: neues deutschland, 16.02.2016