Auf dem informellen EU-Gipfel auf Malta wird beschlossen, die Flüchtlingsroute über Libyen dichtzumachen
Im Grunde ist die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten ein Glücksfall für die EU-Repräsentanten. Indem sie sich lautstark über sein Mauerbau-Dekret und seine restriktive Einreisepolitik aufregen, wird verdeckt, dass sie Ähnliches tun: die Grenzen dicht machen. Jüngstes Beispiel ist das am Freitag auf dem EU-Gipfel auf Malta beschlossene Zehn-Punkte-Programm zur Eindämmung der Migration aus Afrika.
Dieses sieht insbesondere eine stärkere Zusammenarbeit mit Libyen vor. Das von einem jahrelangen Bürgerkrieg zerrüttete Land ist mit Abstand das wichtigste Transitland für Migranten, die von Afrika aus nach Europa wollen. Um die sogenannte zentrale Mittelmeerroute zu schließen, soll vor allem die libysche Küstenwache so schnell wie möglich so ausgebildet und ausgerüstet werden, dass sie von Schlepperbanden organisierte Überfahrten in Richtung Europa verhindern kann. Flüchtlinge würden dann zumindest vorerst in dem nordafrikanischen Land bleiben müssen. Sie sollen künftig in sicheren und angemessenen Aufnahmeeinrichtungen in Libyen versorgt werden – zusammen mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen und der internationalen Organisation für Migration.
Sichere Aufnahmeeinrichtungen – das klingt harmlos. Doch die EU bewegt sich damit auf einen Vorschlag zu, den der deutsche Innenminister Thomas de Maizière seit einigen Monaten immer wieder ins Spiel bringt: die Einrichtung von Flüchtlingslagern in Libyen. Dem CDU-Politiker zufolge könnten im Falles eines »Massenzustroms« Flüchtlinge an »sichere Orte« zurückgebracht werden.
Ein EU-Repräsentant hatte dieses Mittel am Vortag des Gipfels noch ausgeschlossen. Das Treffen am Freitag werde keine Entscheidungen zur Einrichtung von Flüchtlingslagern außerhalb der EU und insbesondere in Libyen treffen, sagte ein ranghoher EU-Vertreter am Donnerstag in Brüssel. Es gebe zwar eine Diskussion über Überlegungen, Asylanträge von Migranten außerhalb der EU zu bearbeiten. Dies sei »aber eindeutig nicht reif für den Malta-Gipfel«, sondern ein Vorhaben »für die Zukunft«, so der Beamte.
Durch die überraschende Absichtserklärung zwischen Italien und der libyschen Einheitsregierung am Donnerstagabend bekam die Lager-Idee dann allerdings wieder eine prominentere Rolle. In dieser wurde vereinbart, »vorübergehende Aufnahmelager in Libyen unter ausschließlicher Kontrolle des libyschen Innenministeriums« einzurichten. In sie sollen Flüchtlinge zur Abschiebung in ihre Heimatländer oder bei einer freiwilligen Rückkehr gebracht werden. Die Finanzierung übernimmt zunächst Italien und unter Umständen später die EU.
Diese italienisch-libysche Übereinkunft wird in der EU-Erklärung ausdrücklich »begrüßt«. Man wolle Italien bei der Umsetzung unterstützen. Die Tatsache, dass die Lager unter ausschließlicher Kontrolle des libyschen Innenministeriums stehen sollen, ist indes ein Problem. Denn dieses finanziert Milizen, die Lager betreiben. Wie vor diesem Hintergrund ein »humanitärer« Betrieb von Lagern durchgesetzt werden soll, scheint unklar. Und ein Blick zurück zeigt, dass Italien und die EU keinerlei Probleme hatten, die Regierung Gaddafi zu unterstützen. Gaddafi erwies sich eine Zeit lang als zuverlässiger Komplize Europas bei der Migrationsabwehr. Mit ihm schloss die italienische Regierung unter Berlusconi ein Geheimabkommen zur Rücknahme illegaler Einwanderer ab. Im Zuge dessen wurden auch Flüchtlingslager errichtet.
So wundert es nicht, dass Menschenrechtsorganisationen und Oppositionspolitiker am Freitag zum wiederholten Male die Flüchtlingspolitik der EU kritisierten. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen warf der EU Augenwischerei vor. »Die EU stellt die Realität in Libyen falsch dar: Das Land ist kein sicherer Ort für Schutzsuchende«, erklärte Geschäftsführer Arjan Hehenkamp. »Menschen dorthin zurückzubringen oder dort festzuhalten ist eine unmenschliche Flüchtlingspolitik.« Die Vorsitzende der LINKEN, Katja Kipping, warnte vor einem »schmutzigen Deal« mit Libyen. Wenn Merkel diesen Kurs unterstütze, »vergeht sich die Bundeskanzlerin an den Menschenrechten und macht sich schuldig am humanitären Bankrott der Europäischen Union«.
Kurios klingt im Übrigen die Mahnung des italienischen Ministerpräsidenten Gentilonis an die EU, Libyen beim Aufbau staatlicher Strukturen zu unterstützen. Die EU-Länder Frankreich und Italien waren es 2011 schließlich, die zusammen mit den USA an der Zerstörung der Strukturen beteiligt waren. Mit Agenturen
aus: neues deutschland, 4.2.2017