Ein alter Wall Street-Witz macht derzeit wieder die Runde: Wer noch einen fühlbaren Pulsschlag nachweisen kann, bekommt einen Kredit. Der Witz macht auf eine Entwicklung aufmerksam, die bei Ökonom_innen – auch in Deutschland – für Stirnfalten sorgt: Immer mehr US-Bürger_innen kaufen sich ein Auto auf Pump. Das wird ihnen leicht gemacht, da die Kredite ihnen förmlich aufgedrängt werden. Auf Sicherheiten achten die Kreditgeber dabei immer weniger, weil sie Rendite sehen wollen und bei zu viel Sorgfalt eben ein Konkurrent den Kreditvertrag abschließt. Angesichts dessen fragte der Finanznachrichtendienst Bloomberg etwas ratlos: »Wie soll man Kreditnehmer nennen, die noch tiefer als Subprime sind?« Subprime nennt man Kreditnehmer_innen mit geringer Bonität.
In den USA vergeben nicht nur Banken Autokredite, sondern auch Autokonzernen angeschlossene Finanzfirmen und sogenannte Buy Here, Pay Here-Firmen. Letztere sind besonders stark im Subprime-Markt involviert – und verlangen horrende Zinsen. Da wundert es nicht, dass immer mehr Kreditnehmer_innen ihre Raten nicht abstottern können. Rund sechs Millionen US-Amerikaner_innen könnten gar ihr Auto wieder verlieren, da sie drei Monate mit den Raten überfällig sind. Ab diesem Zeitpunkt ist es in der Regel unrealistisch, mit den Kreditraten noch nachzukommen.
Auf über eine Billion US-Dollar wird die Summe geschätzt, die von Amerikaner_innen an Autokrediten zu bedienen ist. Bis zu ein Drittel der Kredite soll ausfallgefährdet sein. Und das Problem ist, dass die Kredite gebündelt und zu neuen Wertpapieren verpackt worden sind, Verbriefung genannt. Niemand weiß so recht, was in den Wertpapieren tatsächlich steckt. Ist der Anteil an faulen Krediten, mithin an ausfallgefährdeten Darlehen, so hoch, dass die hohen Zinsen nicht ausreichen, um einen Geldfluss zugunsten der Wertpapierinhaber aufrechtzuerhalten?
Spätestens hier klingelt es. Vor rund zehn Jahren ließ sich diese Praxis auf dem US-Immobilienmarkt beobachten. Der Rest hat Eingang in die Geschichtsbücher des Kapitalismus gefunden. Die sogenannte Subprime-Krise führte zum Zusammenbruch der Lehman Bank im September 2008 und dieser zur globalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Um eine noch tiefere Wirtschaftskrise zu verhindern, griffen die Zentralbanken zu nie da gewesenen Mitteln. Sie setzten Leitzinsen auf Null oder auf Minus Null, d.h. sie erhoben Gebühren auf Geldeinlagen, anstatt Zinsen zu zahlen. Diese expansive Geldpolitik flutete die Märkte, Geld war im Überfluss vorhanden. Aber wohin damit?
Einen Teil davon gaben die Banken an Autokäufer_innen aus; sie bündelten die Kredite und verkauften diese verbrieften Wertpapiere an Pensionskassen, Investmentfonds, Versicherer und Hedgefonds.
»Die Parallelen zur US-Immobilienkrise vor zehn Jahren sind frappierend«, schreibt die Denkfabrik Stratfor. Das sind sie in der Tat. Doch es gibt auch Unterschiede zur Subprime-Immobilienkrise. Der Umfang der Autokredite mit über einer Billion Dollar nimmt sich bescheiden aus verglichen mit der Zahl von rund neun Billionen vor zehn Jahren im Immobiliensektor. Ein Haus kostet eben deutlich mehr als ein Auto. Aber es gibt auch noch einen qualitativen Unterschied: Heute benutzen die Banken die gebündelten Wertpapiere nicht zur Refinanzierung. Das war ein wesentlicher Faktor, warum es 2007/08 zum Flächenbrand im Finanzsystem kam.
Somit ist die von den US-Autokrediten ausgehende Gefahr für die internationalen Finanzmärkte nicht so hoch. (Anders sieht es mit der Gesamtverschuldung insgesamt aus, diese ist höher als vor der Krise von vor einem Jahrzehnt). Aber: Für die Autoindustrie sieht es wenig rosig aus. Schon wird in Anlehnung an Peak Oil von einem Peak Auto gesprochen, d.h. der US-Absatz von Pkws könnte seinen Höhepunkt erreicht haben. Tatsächlich ging der Autoverkauf 2017 in den Staaten leicht zurück. Ein weiteres Indiz sind die fallenden Preise für Gebrauchtwagen, was sich zu einem großen Problem auswachsen könnte. Denn Autofahrer_innen könnten sich entscheiden, ihren Wagen einfach länger zu nutzen, wenn ein Weiterverkauf nicht mehr viel einbringt. Konsequenz: Die Nachfrage nach neuen Autos geht zurück. Schon jetzt steigen die Lagerbestände von Ford, Chrysler und General Motor an, sie haben quasi auf Halde produziert. Eine achtjährige Boomphase scheint am Ende zu sein.
Man kann diese Einschätzung auf die allgemeine Situation der kapitalistischen Ökonomien in den frühindustrialisierten Staaten übertragen: Ihr Weg, durch eine beispiellose Kreditexpansion die Wirtschaften auf Wachstumskurs zu halten, mag für eine Weile funktionieren. Die Betonung liegt auf eine Weile.
aus: analyse & kritik Nr. 637, 17.4.2018