»Eigentlich ist es gut, dass die Menschen der Nation unser Banken- und Geldsystem nicht verstehen. Würden sie es nämlich, so hätten wir eine Revolution noch vor morgen früh«, sagte einst der Industrielle Henry Ford. Rund 70 Jahre nach seinem Tod hat sich am ersten Teil seiner Aussage wenig geändert. Umfragen zufolge glaubt eine große Mehrheit der Bevölkerung, dass nur Staaten oder Zentralbanken Geld schöpfen können. Nur wenige wussten, dass private Banken ebenfalls Geld erzeugen. Die meisten Menschen – und alle Lehrbücher der Mainstream-Ökonomie unterstützen sie darin – wähnen sich daher in einem Geldsystem, das mit der Realität wenig zu tun hat.
Nur 15 Prozent des umlaufenden Geldes in der EU ist das traditionelle Münz- oder Papiergeld. Der Rest wird von privaten Banken auf elektronische Weise geschaffen: durch die Vergabe von Krediten. Sie schaffen sogenanntes Giralgeld aus dem Nichts. Denn bei dieser Kreditvergabe wird weder einem anderen Konto ein Gegenwert abgezogen, noch vergibt die Bank das überschüssige Geld, das Kund_innen auf das Sparbuch eingezahlt haben.
Mehr Wissen über die Geldschöpfung haben bald die Schweizer_innen. Am 10. Juni stimmen sie über eine Vollgeld-Initiative ab. Auch in Deutschland wird das Vollgeld-System unter dem Namen Monetative infolge der Finanzkrise von 2008ff. stärker diskutiert. Und selbst der Internationale Währungsfonds hat in einem Papier dessen Vorzüge hervorgehoben. Im angelsächsischen Sprachraum firmiert es zumeist unter dem auf den Ökonomen Irving Fischer (1867-1947) zurückgehenden Begriff 100%-Money.
Welche Ziele verfolgt die Schweizer Vollgeld-Initiative? Zuvörderst soll allein die Nationalbank Noten- und Buchgeld herstellen können. Zu einem Stichtag sollen alle Giralgelder auf privaten Banken zum Vollgeld der Schweizer Nationalbank erklärt werden. Das Geld auf den Konten soll damit für jede_n sicher sein, auch wenn die Bank pleite geht. Ein Bank Run wäre dann ebenso ausgeschlossen wie, dass Großbanken die ganze Wirtschaft mit in den Abgrund ziehen. Private Banken sollen weiter Kredite vermitteln und Kundengelder treuhänderisch verwalten, aber eben kein Geld mehr aus dem Nichts schaffen können. Überdies kommt der öffentlichen Hand durch ein Vollgeldsystem der Gewinn aus der Geldschöpfung (Seigniorage) zu. Und darüber hinaus soll mit zusätzlichen Reformen (Finanztransaktionssteuer) der spekulative Finanzmarkt wieder re-reguliert werden werden.
Vollgeld-Vertreter_innen schlägt viel Kritik entgegen – sowohl von liberaler als auch von linker Seite. Liberale, das liegt auf der Hand, sorgen sich um eine milliardenschwere Profitquelle. Keynesianer_innen befürchten eine restriktivere Kreditvergabe, die die Realwirtschaft dämpfen und letztendlich Jobs vernichten könnte. Das ist jedoch wenig stichhaltig. Schon jetzt schwimmen die meisten größeren Unternehmen in Geld und nutzen das, um Aktien zurückzukaufen, anstatt in die Produktion zu investieren. Zudem sieht die Initiative vor, dass die Schweizer Nationalbank den Geschäftsbanken Darlehen zur Verfügung stellt, wenn ihr Bedarf an Krediten hoch ist. Denkbar wäre, dies mit einer Auflage zu verbinden, derzufolge Kredite an kleinere und mittlere Unternehmen zu vergeben sind.
Marxist_innen kritisieren, dass eine Reform des Geldsystems einseitig an der Zirkulationssphäre ansetzt. Vollgeld-Vertreter_innen seien an der Vermittlung eines ausbeuterischen Produktionsprozesses, der erst aus der Investition von Geld ein zinstragendes Ergebnis macht, nicht wirklich interessiert, kritisierte etwa der kürzlich verstorbene Politökonom Elmar Altvater. Das ist zutreffend. Macht- und Ausbeutungsverhältnisse des kapitalistischen »Normal«betriebs kommen bei den Vollgeld-Befürworter_innen nicht vor. Einige von ihnen bezeichnen sich gar als pro-kapitalistisch und erwecken den Eindruck, Spekulation und Geldschöpfung der privaten Banken wären die Wurzel allen Übels. Ideologisch wird somit ein nach rechts anschlussfähiges Bild reproduziert. Und de facto ist die expansive Geldpolitik der Zentralbanken in den letzten Jahren als Krisentreiber wichtiger geworden als die der privaten Banken.
Ein Vollgeld-System allein würde somit die Krisenanfälligkeit des Kapitalismus nur geringfügig verringern. Dennoch wären vor allem ein Zahlungsverkehr und eine Geldschöpfung in öffentlicher Hand Fortschritte; geschichtlich hat es das bereits gegeben. Das größte Verdienst der Vollgeld-Debatte ist indes der nicht zu unterschätzende Aufklärungsprozess über die Geldschöpfung. Ob dieser aber zur Revolution führt, wie Henry Ford annahm, steht auf einem anderen Blatt.
aus: analyse & kritik 638, 15.5.2018