Winfried Wolf fordert eine ganz andere Verkehrswende
»Wollen Sie die Welt retten oder Ihrer Frau die Hand halten?«, soll Tesla-Gründer Elon Musk gesagt haben, als ein führender Ingenieur seiner Elektroautofirma ihn um eine Woche Urlaub für die Geburt seines Kindes bat. Die Welt retten – darunter macht es Musk nicht. Dafür kann man sich dann wie ein Alleinherrscher aus dem Manchester-Kapitalismus aufführen. E-Autos gelten auch deutschen Politikern inzwischen als Wundermittel gegen den Klimawandel.
Der Verkehrsexperte Winfried Wolf argumentiert in seinem neuen Buch »Mit dem Elektroauto in die Sackgasse« gegen die E-Mobilität. Sie sei mitnichten ein Beitrag zum Klimaschutz, obwohl auch Wolf nicht verschweigt, dass ein E-Auto für bis zu 30 Prozent weniger CO2-Ausstoß stehen kann. Aber eine wachsende Flotte ist zunächst mit einem Anstieg verbunden. Das liegt zum einen an der enorm ressourcenintensiven Produktion der Autos und an der Energie für die Batterien, die zumindest für die nächsten ein bis zwei Jahrzehnte nur mit einer erheblichen Ausweitung der Stromproduktion aus Kohlekraftwerken zu decken sei. Die Elektromobilität sei integraler Bestandteil der Automobilität und des fossilistischen Kapitalismus, so Wolf. Zum anderen besagen alle Prognosen auch einen weiteren Anstieg der Produktion von Benzinern und Dieseln – von 900 Millionen derzeit auf zwei Milliarden in 2050.
Des Weiteren bringt Elektromobilität keine Verbesserung der Stadtqualität. E-Autos werden meist nur als Zweit- oder Drittwagen angeschafft und tragen zum städtischen Flächenverbrauch bei. Sie fördern zudem die soziale Ausgrenzung, weil sie deutlich teurer sind als herkömmliche Autos. E-Autos sind häufig Prestigeobjekte eines gehobenen Mittelstandes.
Im Unterschied zu anderen Kritikern ordnet Wolf das Thema in Zyklen der Autobranche ein, die eng verbunden ist mit dem Auf und Ab der Weltwirtschaft. So führt er den E-Mobilitätshype auf die verschärfte Weltmarktkonkurrenz zurück. Besonders China versucht, durch die Förderung von E-Pkw einen Global-Player-Status zu erlangen. Wollen die europäischen und US-Hersteller ihre Dominanz bewahren, müssen sie zwangsläufig auf die chinesische Herausforderung eingehen. Klimaschutz spielt insofern eine nachgeordnete Rolle.
Wolf als Marxisten ist die Macht der Konzerne ein wichtiges Thema. Hier legt er dar, dass diese keineswegs im Schwinden begriffen ist, wie es andere Analysten oft anführen. Für Wolf ist die Autoindustrie die indus-trielle Schlüsselbranche im alten und im neuen Kapitalismus. Eine streitbare These, die sich auf die Umsatzzahlen bezieht. Was aber ist mit den Börsenbewertungen?
Letztlich beschreibt Wolf die E-Mobilität als »innere Reform« der Autobranche. Sie reagiert damit auf die Legitimationskrise infolge des Dieselskandals, um ihr Profitinteresse abzusichern. Früher erfüllte die Einführung von Katalysatoren oder von Biosprit diesen Zweck.
Am Ende seines faktenreichen Buchs skizziert Wolf eine Verkehrswende, die diesen Namen auch verdient und nicht nur eine Antriebstechnik durch eine andere ersetzen möchte. Die wichtigsten Stichworte hier sind Dezentralität, nicht motorisierter Verkehr und öffentliche Verkehrsmittel. Elon Musks Weltenrettungsplan sieht anders aus.
Winfried Wolf: Mit dem Elektroauto in die Sackgasse. Warum E-Mobilität den Klimawandel beschleunigt, Promedia, Wien 2019, 216 Seiten, 17,90 €.
aus: neues deutschland, 19.06.2019