Die Rechte von heute

Vom alten Faschismus zum neuen Sozialdarwinismus

Ohne die Weltwirtschaftskrise von 1929, so die herrschende Meinung in der Wissenschaft, hätte die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) nicht die Macht im Bündnis mit den Konservativen übernehmen können. Ob es irgendwann heißen wird, ohne die Weltwirtschaftskrise von 2008ff. wäre die (neo)faschistische Partei in Land X nicht an die Macht gelangt, ist Spekulation. Es lenkt die Aufmerksamkeit allerdings auf folgende, wie die aktuelle Diskussion um die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) belegt, nach wie vor wichtige Frage: Ist Faschismus heute noch eine potentielle Gefahr?

In Europa erinnert derzeit vor allem die Jobbik-Partei in Ungarn am offensichtlichsten an klassische faschistische Parteien inklusive ihrer paramilitärischen Verbände. Dennoch wird in der deutschen Debatte der Faschismusbegriff sehr zurückhaltend verwendet. Allerdings zeichnet sich die im Gegensatz zur deutschen ausgesprochen lebendige angelsächsische Diskussion dadurch aus, dass sie Faschismus nicht ausschließlich als historisches Phänomen betrachtet, sondern den Begriff, wie etwa der Historiker Robert Paxton in seinem vielbeachteten Buch „Anatomie des Faschismus“[1], als Analysekategorie für gegenwärtige Entwicklungen fruchtbar zu machen sucht. Und angesehene kritische Intellektuelle wie Richard Sennett oder Dario Fo werfen die Frage auf, ob man die Entwicklung der Rechten in den USA als „soften Faschismus“ oder in Italien als faschistisch bezeichnen könne.

Ist also Faschismus ein geeigneter Begriff, um gegenwärtige Erscheinungen angemessen zu beschreiben? Oder ist Faschismus ein Terminus, der für eine geschichtlich abgeschlossene Epoche steht, wie etwa der Historiker Ernst Nolte in seiner 1963 erstmals erschienenen einflussreichen Studie „Der Faschismus in seiner Epoche“ argumentiert?[2]

Was die Epochen-Frage betrifft, so lässt sich anführen, dass der Faschismus im Jahre 1914 auch noch kein Epochen prägendes Phänomen war, während dies 10 bzw. 20 Jahre später völlig anders aussah. Es kommt also darauf an zu prüfen, ob faschistische Ideologie- und Politikelemente heute organisiert vorhanden sind und ob sie das Potential haben, in einer spezifischen Krisensituation die Politik entscheidend zu beeinflussen.

Faschismus – ein Phänomen der Vergangenheit?

Für Noltes Einschätzung einer historisch abgeschlossenen Epoche spricht, dass der Faschismus zwischen 1918 und 1945 ganz Europa seinen Stempel aufgedrückt hat, während dies für die Zeit danach nicht der Fall ist. Zwar gab es nach 1945 zeitweilig mehr (neo)faschistische Organisationen als in der Zwischenkriegszeit, allerdings waren diese in der Regel einflusslose Kleinstorganisationen, die nicht über das erste Stadium – die Entstehung einer Bewegung –
des Fünf-Phasen-Modells von Robert Paxton hinauskamen. Entscheidend ist jedoch, was man unter Faschismus – als Bewegung und als Regime – versteht. Die Diskussion darüber wurde im Zuge der Studentenrevolte von 1968 bisweilen mit mehr Leidenschaft als analytischem Gehalt geführt. Das hatte zur Folge, dass von Seiten der Linken der Faschismusbegriff eine inflationäre Anwendung fand (woran auch Differenzierungsversuche nichts änderten, die mit Begrifflichkeiten wie Faschisierung, faschistoid etc. arbeiteten). Im Grunde diente der Faschismusvorwurf häufig als politisch-moralisch schärfere Verurteilung des Kapitalismus (eine ähnliche Funktion hat häufig der Begriff Imperialismus).

Bürgerliche Interpreten nutzen diesen Umstand bis heute allzu gerne dazu, das Kind mit dem Bade auszuschütten, sprich: den Zusammenhang von herrschender bürgerlicher Klasse und Faschismus gänzlich in Abrede zu stellen. Eine vernünftige Diskussion der Frage, ob heute noch sinnvoll von Faschismus gesprochen werden kann, muss sich also zwischen den Polen inflationär-moralischer Anwendung und Preisgabe einer kapitalismus- und herrschaftskritischen Fundierung bewegen. Hinzu kommt, dass eine Abgrenzung zu anderen Begriffen unerlässlich ist, die politische Rechtsentwicklungen charakterisieren. Konkret: Was unterscheidet Faschismus vom Rechtsextremismus und Rechtspopulismus?

Was war der historische Faschismus?

Nähern wir uns diesen Fragen, indem wir zunächst wesentliche Voraussetzungen des historischen Faschismus Revue passieren lassen. In Italien und Deutschland gelangte der Faschismus in einer Krisensituation der jeweiligen kapitalistischen Staaten an die Macht und wurde von der herrschenden Klasse als Schutz vor sozialen Unruhen und zur Abwehr des Einflusses der Arbeiterbewegung angesehen. Diese Vorbedingungen sind gegenwärtig in Europa offensichtlich nicht gegeben.

Als weitere objektive Voraussetzung des Faschismus wird überdies häufig auf die Sonderwegstheorie verwiesen, das heißt auf Italien und Deutschland als verspätete Nationen, die in Übergangskrisen zur kapitalistischen Moderne besonders aggressiv auf territoriale Expansion drängten. Zwar sind die heutigen globalen Strukturen weiterhin von ungleichzeitigen Entwicklungen und globalen Ungleichgewichten gekennzeichnet, doch angesichts von Globalisierung, dem Übergang vom Fordismus zum Postfordismus, der Herausbildung eines finanzmarktgetriebenen Kapitalismus etc. sind die aktuellen kapitalistischen Strukturen mit denen der Zwischenkriegszeit kaum noch zu vergleichen. Auch lässt sich über die Tauglichkeit eines traditionellen Imperialismusbegriffs trefflich streiten. Treffender scheint heute zumindest das Bild eines kollektiven Imperialismus zu sein, der die zwischenimperialistische Konkurrenz zwar nicht beseitigt, sie aber überlagert und ihre kriegerische Austragung ausschließt.

Eine weitere Vorbedingung für die historischen Faschismen war der Eintritt der Massen in die Politik und die damit einhergehende Nationalisierung derselben, nachdem die Linke durch das Aufkommen faschistischer Massenbewegungen und die Beteiligung an bürgerlichen Regierungen ihr Monopol auf Systemveränderung aus dem 19. Jahrhundert verloren hatte. Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war die Zeit eines intensiven öffentlichen Engagements weiter Teile der Bevölkerung sowohl auf der Linken als auch auf der Rechten. Heute hingegen lässt sich die Situation für die meisten westlichen Staaten wohl angemessener durch einen Rückzug der Massen aus der Politik charakterisieren, also durch Politikverdrossenheit gegenüber dem politischen System – ohne dabei eine widerspruchsfreie Tendenz zu behaupten, siehe Stuttgart 21 oder Occupy.

Das führt zu einer weiteren entscheidenden Voraussetzung für den Faschismus, wie wir ihn in der Zwischenkriegszeit kennengelernt haben: Faschismus war eine Bewegung, die sich in erster Linie gegen die systemoppositionelle Massenbewegung der sozialistisch-kommunistischen Linken wandte. Materielle Realität hatten die Ziele der kommunistischen Parteien in der Existenz der Sowjetunion gefunden. Heute gilt dieser Versuch einer Alternative zum Kapitalismus zwar zu Recht als gescheitert. Damals jedoch hatte er eine große Ausstrahlungskraft, insbesondere während die kapitalistischen Staaten mit der Weltwirtschaftskrise zu kämpfen hatten. Erst als der Realsozialismus 1989/91 implodierte, war der Bourgeoisie die Angst vor einem alternativen Wirtschaftssystem erst einmal genommen. Die kommunistische Linke, schon lange keine Massenbewegung mehr, zerfiel endgültig in einflusslose Parteien und Kleingruppen, die nominell sozialistischen (und sozialdemokratischen) Parteien vollzogen de facto eine neoliberale Wendung. Das heißt: Die Bourgeoisie benötigt heute gar keine faschistische Partei oder Bewegung mehr, weil derzeit kein nennenswerter sozialer Träger existiert, der den Kapitalismus grundlegend in Frage stellt.

Kurzum: Wenn man Faschismus mithin auf die Facetten von Antimarxismus und Antikommunismus reduziert, scheinen wir es mit einem bloß historischen Begriff zu tun zu haben. Sein Ziel – die Ausschaltung des Marxismus und der Arbeiterbewegung – ist bis auf weiteres erreicht – was nicht bedeutet, dass es keinen Antikommunismus mehr gibt: Im Gegenteil scheint dieser zur nachträglichen Delegitimierung der realsozialistischen Versuche und zur prophylaktischen Diskreditierung von Alternativen zum Kapitalismus weiterhin notwendig zu sein. Auch eine weitere Voraussetzung des historischen Faschismus ist gegenwärtig nicht mehr von Relevanz, zumindest, was die führenden westlichen kapitalistischen Staaten anbetrifft: nämlich das Gefühl nationaler Demütigung speziell in Deutschland nach 1919. In ökonomischer Hinsicht sprechen des Weiteren der relative wirtschaftliche Wohlstand, die Ausbildung der Wohlfahrtsstaaten nach 1945 und der damit verbundene konsumorientierte Materialismus sowie die Individualisierung und gesellschaftliche Atomisierung dagegen, dass sich Situationen herausbilden, die das Heraufziehen einer neuen faschistischen Gefahr begünstigen. Nicht zuletzt haben demokratische und soziale Werte in den Staaten des historischen Faschismus inzwischen eine normative Verankerung erfahren. Und angesichts von Holocaust und Vernichtungskrieg hat der Faschismus selbst dazu beigetragen, dass er von den meisten Menschen weltweit moralisch geächtet wird. Diese wesentlich veränderten Vorbedingungen sprechen folglich gegen die Gefahr des Aufkommens eines neuen Faschismus – im Sinne einer realen Machtoption in den westlichen Staaten.

Neue Instabilitäten

Doch es lassen sich auch Vorrausetzungen anführen, die für die weitere Verwendung des Faschismusbegriffs sprechen. Da sind zum einen die Instabilitäten der politisch-ökonomischen Ordnungen und die Wirkungslosigkeit alter politischer Optionen. Zwar ist von einem Ende der (neo)liberalen Ordnung auch angesichts der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2008/09 noch nicht auszugehen. Risse im System des Finanzmarktkapitalismus und ein Schwinden des aktiven Konsenses der subalternen Klassen zu dieser Herrschaft sind indes bereits wahrnehmbar. Damit einher geht die Erschöpfung der herkömmlichen politischen Handlungsmöglichkeiten. Die bürgerliche Klasse scheint angesichts von vielfältigen, sich überlagernden Krisen (Wirtschafts-, Ökologie-, Energie-, Staatsverschuldungs-, EU-Krise) kein Projekt zu haben, welches einen Ausweg erkennen lässt, wie es beispielsweise der New Deal infolge der Krise von 1929ff. war. Die aktuellen Debatten über die Krise der Repräsentation, Postdemokratie – die Umgehung demokratischer Entscheidungsstrukturen bei gleichzeitiger Fortexistenz demokratischer Institutionen –, die bereits erwähnte Politikverdrossenheit, abnehmende Wahlbeteiligungsquoten sowie die Unterstellung von Staaten unter das Diktat von internationalen Finanzinstitutionen sind Belege für die Aushöhlung liberaler politischer Systeme. Hinzu kommen Umfrageergebnisse, die eine große und zunehmende Unzufriedenheit mit kapitalistischen bzw. marktwirtschaftlichen Ökonomien zum Ausdruck bringen, freilich ohne dass sich daraus automatisch linke Optionen ergeben.[3] All das könnte eine harte, potentiell faschistische Politik wieder zu einer realen Machtoption werden lassen.

Die Mindestbedingungen des Faschismus

Historisch war der Faschismus allerdings vor allem in relativ „jungen“ Staaten mit unbefriedigten außenpolitischen Ambitionen und in solchen mit wenig gefestigten demokratisch-parlamentarischen Erfahrungen erfolgreich. Dieser Aspekt ist auch heute noch für die Existenz von faschistischen Organisationen von Bedeutung, was ein Blick insbesondere nach Russland und Ungarn verdeutlicht.

Um jedoch tatsächlich die Frage nach der Virulenz des Faschismus zu beantworten, kommt es darauf an, Mindestbedingungen für dessen Vorliegen festzuhalten. Nur so lässt sich überhaupt sinnvoll von Faschismus sprechen. Unseres Erachtens gewinnt man am historischen Beispiel des europäischen Faschismus des 20. Jahrhunderts fünf Mindestbedingungen.

1. Ideologische Bezugspunkte: ein völkischer Nationalismus, verbunden mit der Vorstellung eines Wiederaufstiegs und einer Erlösung der Nation; Antisemitismus, Antikommunismus, die Wendung gegen Vorstellungen und Werte der Aufklärung (Liberalismus, Individualismus, Demokratie); eine rassistisch bzw. ethnisch begründete Vorstellung von Ungleichheit, die sich in der Organisation der Gesellschaft widerspiegeln soll.

2. Soziale Basis: in der Bewegungsphase vorwiegend Mittelklassen, Kleinbürgertum, Handwerker, kleine Selbstständige, in der Regimephase politisches Bündnis mit den traditionellen Eliten aus Kapital, Militär, Bürgertum, Beamtentum.

3. Organisatorische Ausrichtung: eine auf einer Massenbewegung fußende, auf einen Führer orientierte Partei; der Aufbau von paramilitärischen Gruppen, die terroristische Gewaltausübung gegen überwiegend linke politische Gegner und als Feinde erachtete Gruppen; die Verbindung zu den alten Eliten und die Festigung ihrer ökonomischen bei gleichzeitiger Infragestellung ihrer politischen Position.

4. Soziale Funktion: entgegen den Postulaten des völkischen Antikapitalismus vor der Machterlangung die Bewahrung des großen kapitalistischen Privateigentums, die korporative Organisation der Wirtschaft, die Unterdrückung von sozialen und politischen Rechten der arbeitenden Klassen bei gleichzeitiger terroristisch abgesicherter völkischer Homogenisierung der Gesellschaft sowie die Überwindung des Klassenkampfs und sein Austausch durch einen „Rassenkampf“.

5. Politische Praxis: die gewaltsame Ausschaltung aller abweichenden, demokratischen und auf soziale Partizipation ausgerichteten Organisationen; die Ersetzung der Demokratie durch eine autoritäre, durch einen Führer repräsentierte Staatsform; die aggressive Wendung nach außen/ imperialistischer Expansionsdrang zur Durchsetzung des versprochenen nationalen Aufstiegs.

Legt man diese historisch gewonnenen Mindestbedingungen für eine Definition von Faschismus zugrunde, so lassen sich – insbesondere was Punkt eins betrifft – in Deutschland gravierende ideologische Kontinuitäten auffinden, die weit über 1945 hinausweisen und bis in die Gegenwart reichen, nämlich Nationalismus, Antisemitismus, Rassismus und sozialdarwinistisches Denken.

Ideologische Kontinuitäten: Die NPD

Alle aufgeführten ideologischen Bezugspunkte lassen sich gegenwärtig in der NPD finden, insbesondere der völkische Nationalismus, eine rassistische bzw. ethnisch begründete Vorstellung von Ungleichheit, Antikommunismus, Antisemitismus und Antiliberalismus.

Doch mehr noch: Diese Stereotype sind nicht nur in der extremen Rechten, sondern zunehmend in der Mitte der Gesellschaft virulent, wie das Forschungsprojekt „Deutsche Zustände“[4] oder Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung in erster Linie für Deutschland, aber auch für weitere europäische Staaten gezeigt haben. Ebenso verbreitet sind weiterhin autoritäre Verhaltensweisen und Einstellungen sowie die damit verbundene Etikettierung von „Fremdgruppen“ als Sündenböcke. Auf ideologischer Ebene finden sich also nach wie vor Voraussetzungen für faschistisches Denken.

Zu einer faschistischen Bewegung im politischen Sinne werden sie aber erst, wenn sie einen organisatorisch gebündelten Ausdruck finden. Tatsächlich lassen sich, gemessen an den formulierten Mindestbedingungen für Faschismus, nach 1945 zahlreiche faschistische Bewegungen und Parteien finden – und auch gegenwärtig kann man solche nachweisen.

Hauptträger der Bewegung ist seit über 40 Jahren die NPD. Schon davor gab es in Deutschland parteipolitische Bestrebungen, die explizit an faschistische Politikmodelle anknüpf(t)en, vor allem die 1952 verbotene Sozialistische Reichspartei (SRP), die in direkter ideologischer und personeller Kontinuität zur NSDAP stand. Auch für die 1964 gegründete NPD lässt sich in der Frühphase eine starke personelle und ideologische Kontinuität zum Nationalsozialismus nachweisen, obwohl sich die Partei in dieser Zeit keineswegs der scheinrevolutionären Attitüde des Frühfaschismus etwa im Stile der NSDAP verschrieben hatte. In diesem Sinne ist der faschistische Stil der heutigen NPD wesentlich ausgeprägter.

In organisatorischer Hinsicht lässt sich heute vor allem in der Verbindung der NPD mit dem Kameradschaftsspektrum eine quasi paramilitärische Ausrichtung feststellen, die die Einschüchterung politischer Gegner und die Durchführung rassistischer Überfälle einschließt und damit Ähnlichkeiten mit den frühen SA-Schlägertrupps aufweist. Von einer Führerorientierung lässt sich zwar nach wie vor sprechen, allein mangels charismatischer Persönlichkeiten erscheint die Partei derzeit eher als führer- und führungslos.

Da die NPD derzeit weit von der politischen Macht entfernt ist, überwiegt bei ihr deutlich der völkische Antikapitalismus, dessen soziale Funktion sich objektiv gegen linke antikapitalistische Vorstellungen richtet. Die von der NPD formulierten politischen Vorstellungen legen eine Praxis an der Macht nahe, wie sie vom historischen Faschismus bekannt ist.

Ohne Zweifel kann folglich die NPD als faschistische oder neofaschistische Partei bezeichnet werden, und gerade hierin könnte der Grund liegen, warum sie auf absehbare Zeit keine realistische Machtoption darstellen wird. Denn: Punkt zwei der oben angeführten Kriterien, die soziale Basis der NPD, ist erheblich schmaler als die der NSDAP, und der Anteil von prekär Beschäftigten und Arbeitslosen ist hoch, auch wenn sie nach wie vor auch klassische Angehörige des Mittelstands erreicht.

Wenn es aber richtig ist, dass der Faschismus nur im Bündnis mit den alten Eliten und in einer spezifischen politischen und ökonomischen Situation zur Macht gelangen kann, so ist derzeit keine dieser Voraussetzungen gegeben. Die oben angeführten veränderten Bedingungen für Kapitalismus, Nationalstaaten, die Rolle der Massen sowie die normative Verankerung von demokratischen Prinzipien lassen faschistische Lösungen momentan daher in den westeuropäischen Staaten als unwahrscheinlich erscheinen. Angesichts der dem Kapitalismus immanenten Krisen, die durchaus elementare Züge annehmen können, lässt sich aber nicht ausschließen, dass solche Lösungen zukünftig wieder an Attraktivität gewinnen könnten.

Aufmarschbereich Osteuropa – und die Alternative des Rechtspopulismus

Das größte Potential scheint der Faschismus in Europa derzeit in den ökonomisch und national nicht gefestigten Ländern Osteuropas zu haben. Besonders die Entwicklung in Ungarn gibt Anlass zu massiver Besorgnis, da sich hier eine rechtskonservative Regierung, ausgestattet mit einer Zweidrittelmehrheit, daran macht, demokratische Standards zu relativieren. Parallel hat sich mit Jobbik eine Partei etabliert, die inhaltlich und in ihrem Stil an ungarische faschistische Bewegungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts anknüpft. Der Aufbau einer Parteimiliz (Garden), die Uniformierung, der ideologische Bezug auf Antisemitismus und Antiziganismus sind eindeutige Anknüpfungen an faschistische Vorläufer. Mit mehr als zwölf Prozent Stimmenanteil kann Jobbik sich auch auf eine relative Massenbasis stützen. Sollte sich die ökonomische und soziale Krise in Europa massiv verschärfen, könnten sich die bereits zu beobachtenden Renationalisierungstendenzen verstärken. Dann könnten – zumindest in den instabilsten und ökonomisch gefährdetsten Ländern – faschistische Bewegungen realen Einfluss erlangen.

Auch wenn in Westeuropa die Gefahr (noch) nicht akut ist, ist die Schwäche explizit faschistischer Parteien und Bewegungen noch kein Grund zur Entwarnung. Denn seit etwas mehr als zehn Jahren lässt sich ein relativ kontinuierlicher Aufstieg von Parteien in Europa beobachten, die in der Regel mit der Bezeichnung rechtsextrem oder treffender rechtspopulistisch belegt werden. Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) gilt als Paradebeispiel dieser Entwicklung, aber auch die Dänische Volkspartei, die italienische Lega Nord, die Schweizerische Volkspartei (SVP) oder aktuell die Partei von Geert Wilders in den Niederlanden müssen in diesem Zusammenhang genannt werden. Für Deutschland lässt sich die Pro-Bewegung und für die USA die Tea Party-Bewegung hinzuzählen.

Neu an diesem Parteityp, der sich inhaltlich auf zahlreiche Ideologiemomente der extremen Rechten zurückführen lässt, ist ihr Politikstil. Dieser unterscheidet sich deutlich vom verstaubten Auftreten neofaschistischer Parteien. Vor allem gelang es einzelnen Parteien in den 1990er Jahren, popularisierte Elemente des Neoliberalismus in ihre Programmatik aufzunehmen. Damit wurden sie – und hier liegt ihre besondere Gefährlichkeit – anschlussfähig für konservativ-liberale Parteien. Überdies schafften es die erfolgreichen Parteien dieser extremen und populistischen Rechten, sich als Außenseiter des Politikbetriebs darzustellen und von dem weit verbreiteten Misstrauen gegenüber der etablierten Politik zu profitieren. Mit Beginn des 21. Jahrhunderts und der Rückkehr der sozialen Frage in Gestalt von Prekarisierung, Abbau des Sozialstaats und zunehmender Polarisierung der Einkommensverhältnisse in die politische Arena zeigte sich die ideologische Flexibilität dieser Gruppierungen: Sie vermochten es nun, völkisch gewendet auch soziale Elemente in ihre Politik aufzunehmen – teilweise, ohne dabei die neoliberalen Positionen aufzugeben. Die hier skizzierten Parteien sind somit Teil der extremen Rechten, können jedoch keinesfalls als faschistisch klassifiziert werden. Weder stehen sie in genereller Opposition zur bürgerlichen Demokratie, noch gibt es irgendwelche Formen des demagogischen Antikapitalismus. Zwar handelt es sich um Parteien, die eindeutig auf eine charismatische Führerfigur ausgerichtet sind und die zum Teil einen völkisch begründeten Nationalismus aufweisen. Andererseits sind zahlreiche dieser Parteien um eine deutliche Distanzierung vom historischen Faschismus bemüht und grenzen sich explizit vom Antisemitismus ab. Entscheidend ist jedoch: Es handelt sich um keine systemoppositionellen Parteien, sondern um rechtskonservative Gruppierungen, die im Rahmen des bestehenden politischen Systems systematisch an einer Rechtsverschiebung arbeiten.

Europas heterogene Rechte und der Rassismus als Bindeglied

Die inhaltliche und auch klassenmäßige Basis der europäischen Rechten ist insgesamt äußerst heterogen. So spricht die „Partei der Freiheit“ eines Geert Wilders in den Niederlanden völlig andere gesellschaftliche Schichten an als etwa eine Partei wie Jobbik in Ungarn, die sehr stark mit Elementen des traditionellen Faschismus arbeitet. Verbindendes Element aller Parteien der
extremen und populistischen Rechten ist ein massiver Rassismus, der als Lösung aller sozialen und gesellschaftlichen Probleme angeboten wird. Die Ethnisierung der sozialen Frage ist das Erfolgsgeheimnis der extremen Rechten, mit dem sie offensichtlich sehr viel besser das politische Feld besetzen kann, als es einer sozialistischen Linken gegenwärtig möglich ist. Auch wenn dieser Rassismus, der sich aktuell vor allem in seiner antimuslimischen Form zeigt, noch nicht ausreicht, um generell von faschistisch orientierten Parteien im traditionellen Sinne sprechen zu können, seine Gefährlichkeit ist deswegen nicht zu unterschätzen: Sie liegt vor allem in seiner Wirksamkeit in die Mitte der Gesellschaft – und in ihrer erstaunlichen Anschlussfähigkeit.

In der Forschung haben sich in den letzten Jahren neue Ansätze etabliert, die die politischen und ideologischen Veränderungen extrem rechter Parteien untersuchen. So hat eine Autorengruppe um den Wirtschaftswissenschaftler Herbert Schui speziell die Aneignung neoliberaler Ideologiemomente durch die extreme Rechte unter die Lupe genommen.[5] Unterschieden wird hier zwischen einer traditionellen und einer modernen Rechten. Während sich erstere nach wie vor am völkisch begründeten Nationalismus und an der gefühlssozialistischen Phraseologie in der Tradition des historischen Faschismus orientiere, habe sich letztere gewandelt: Nicht die systemoppositionelle Attitüde der am Faschismus orientierten Rechten, sondern die Verbindung neoliberaler Elemente mit klassischen Positionen der extremen Rechten sowie ein populistischer Politikstil waren das Erfolgsrezept der in diesem Sinne modernen Rechten.[6]

Der Faschismus ist dagegen als Machtoption für die herrschende Klasse aktuell nicht von Bedeutung. Entwarnung ist deshalb noch lange nicht angebracht: Denn das heißt nicht, dass in einer fundamentalen Krisensituation ein neuer Faschismus – obzwar in anderer Gestalt und an anderen Orten wie der historische – nicht wieder attraktiv werden könnte.

Dieser Artikel basiert auf dem Schlusskapitel des bei PapyRossa in der Reihe Basiswissen erschienenen Buches „Faschismus“, Köln 2012.


[1] Robert O Paxton, Anatomie des Faschismus, München 2006.

[2] Ernst Nolte, Der Faschismus in seiner Epoche. Action Française, Italienischer Faschismus, Nationalsozialismus, München 1990, S. 25.

[3] Vgl. Guido Speckmann, „Irritierend hoch?!“ Verbreitung und Ambivalenz antikapitalistischer Einstellungen in Deutschland, in: „Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung“, 9/2011, S. 60-71.

[4] Wilhelm Heitmeyer (Hg.), Deutsche Zustände, Frankfurt a.M. und Berlin, Band 1-10, 2002-2012.

[5] Herbert Schui, Ralf Ptak und Stephanie Blankenburg, Wollt ihr den totalen Markt? Der Neoliberalismus und die extreme Rechte, München 1997.

[6] Im Gefolge der Wirtschaftskrise 2008/2009 stellt der Rechtspopulismus allerdings sehr viele stärker die soziale Frage in den Mittelpunkt seiner Agitation – und beantwortet sie im Sinne ihrer Ethnisierung: Der Zugang zu Sozialleistungen soll an die ethnische Zugehörigkeit geknüpft werden.

(aus: Blätter für deutsche und internationale Politik 3/2012, S. 98-106, zusammen mit Gerd Wiegel)

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