Erhard Crome, Der libysche Krieg des Westens, spotless im Verlag Das Neue Berlin,
Berlin 2011, 94 S., 5,96 Euro.
In mancher Hinsicht scheint die Bürgerkriegssituation in Syrien und die Reaktion der sog. Internationalen Gemeinschaft hierauf Parallelen zum Fall Libyen aufzuweisen. Eine befriedigende analytische Aufarbeitung des NATO-Bombenkrieges zugunsten der libyschen Rebellen steht hingegen noch aus. Insbesondere eine antimilitaristische oder friedensbewegte Linke muss sich dem jedoch stellen, will sie nicht in die Falle des dichotomischen »Der Feind meines Feindes ist mein Freund«-Schemas tappen. Im Falle Libyens mithin der Sympathie mit dem Revolutionsführer Gaddafi verdächtigt zu werden oder – wie es gegenwärtig mitunter zu beobachten ist – einen Pro-Assad-Kurs zu fahren und es damit an Solidarität mit jenen vermissen zu lassen, die in Syrien für politische und soziale Emanzipation einstehen. Andererseits aber muss sie sich in Acht nehmen, nicht der menschenrechtsimperialistischen Rhetorik und Dämonisierung von Gaddafi und Assad (oder in früheren Fällen von Saddam Hussein oder Milosevic) auf dem Leim zu gehen und so zum Kompagnon führender kapitalistischer Staaten zu werden. Zweifellos ist dies angesichts der urplötzlich massenmedial verbreiteten einheitlichen Sprachregelung vom Schlächter Gaddafi, der angeblich Krieg gegen sein eigenes Volk führt, eine schwierige Aufgabe. Denn der moralisierende (und damit entkontextualisierende) Druck lässt jede Hinterfragung dieser rhetorischen Figuren als Sympathiebekundung für den bösen Diktator erscheinen.
Erhards Cromes knapper Essay über den »libyschen Krieg des Westens« zeigt, wie der schmale Grat zwischen plumpen Antiimperialismus und Menschenrechtsimperialismus angemessen beschritten werden könnte.
Sein Text ist eine der ersten umfassenderen Analysen des Libyen-Krieges aus linker Sicht. Der Fokus dabei liegt dabei auf dessen globale Einordnung als drittem Krieg des Westens gegen die muslimische Welt.
Crome, Referent für Friedens- und Sicherheitspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung, interpretiert den NATO-Krieg in der Kontinuität der Kriege unter Führung der USA im Irak und Afghanistan. Die Ursachen dieser Kriege sieht er dabei in der geostrategischen Absicherung von Regionen, die als erdölfördernde Länder für die Versorgung der westlichen Welt wichtig sind. Der Krieg gegen den Terror und die menschenrechtlichen Begründungen sind dabei im Wesentlichen nur vorgeschoben. Das verdeutlicht Crome am Beispiel Bahrain. Auch dort hatte sich im Zuge des Arabischen Frühlings eine Demokratiebewegung ausgebreitet, die jedoch durch eine Intervention des Nachbarstaates Saudi-Arabien militärisch niedergeschlagen wurde. Da das Königreich Bahrain jedoch die 5. US-Flotte beherbergt, somit also strategischer Partner der Vereinigten Staate ist, hat man freilich kaum ein Aufschrei ob der Toten in westlichen Medien vernehmen können. Crome legt dar, dass es eine Absprache zwischen Saudi-Arabien und der US-Außenministerin Clinton gegeben habe, der zufolge die Saudis für die Zustimmung der Arabischen Liga zur Intervention gegen Gaddafi sorgen sollten und die USA im Gegenzug ihr OK zum Einmarsch ihrer saudischen Verbündeten in Bahrain gaben (49). Vergleichbar sei es im Fall Jemen, weil deren Regierung als Verbündeter im Kampf gegen den Terrorismus gelte. Dasselbe aber konnte man jedoch von Gaddafi seit einigen Jahren auch behaupten. Zudem war er ein Komplize des Westens in Sachen Migrationsabwehr. Cromes Begründung, warum Gaddafis Libyen dennoch zum Kriegsziel wurde, ist Folgende: Generell sollen die arabischen Protestbewegungen genutzt werden, um westliche Interessen gegen jene Regime durchzusetzen, die bisher nicht der westlichen Einbindung bzw. Kontrolle in die finanzkapitalistische Weltwirtschaftsordnung unterlagen. Dazu zählt er Libyen wie auch Syrien (22f.). Libyen hatte zwar westliche Ölkonzerne an der Ausbeutung der Ölvorkommen partizipieren lassen und innerhalb des Landes neoliberale Reformen durchgeführt, zugleich jedoch einen direkten Zugriff auf sein Öl verweigert. Der Autor hält Gaddafi deswegen nicht für einen Linken oder Antiimperialisten (75), sondern für einen Politiker, der sich zwar letztlich mit dem Westen arrangiert hatte, gleichzeitig jedoch in Verhandlungen auf eine gewisse Eigenständigkeit pochte.
Die Auslegung der UN-Resolution 1973 durch Frankreich, England, den USA etc. und den darauf fußenden tatsächlichen Kriegsverlauf interpretiert Crome als klaren Völkerrechtsbruch. Die UN-Resolution erlaubte militärische Maßnahmen zum Schutze der Zivilbevölkerung, keinesfalls jedoch zur kriegerischen Unterstützung einer Bürgerkriegspartei und zum Sturz Gaddafis, was ja frank und frei kurz nach Verabschiedung der Resolution von den intervenierenden Mächten als Kriegsziel ausgeben wurde.
Cromes beschäftigt sich am Rande auch mit den Kriegslügen, die halfen, den Kriegseinsatz zu legitimieren. Er zieht eine Parallele zum berühmt-berüchtigten Hufeisenplan der rot-grünen Bundesregierung 1999, der halt, der deutschen Öffentlichkeit den Krieg gegen Serbien zu »verkaufen«. Obwohl dieser oder andere Vergleiche durchaus gezogen werden können – so bezeichnet Hugh Roberts, der ehemalige Direktor der Internationalen Krisengruppe für Nordafrika die Story der Abschlachtung von Demonstranten aus der Luft durch Gaddafi als so unwahr wie die Mär von Saddams Massenvernichtungswaffen (vgl. Lettre International 95, Winter 2011) – hätte man sich eine detailliertere mit Belegen versehene Widerlegung der Kriegslügen gewünscht (vgl. dazu das Sozialismus-Supplement12/2011 »Wenn Nachrichten zu Waffen werden«). Zurück zu Syrien: Die Ablehnung der jüngsten Syrien-Resolution durch China und Russland erscheint vor diesem Hintergrund eben nicht ausschließlich als »beschämend« und »skandalös«, wie es westliche Diplomaten formulierten. Sicher verfolgen China und Russland eigene machtpolitische Interessen uns stellen diese im Zweifelsfall, ebenso wie die westlichen Staaten, über Menschenleben und Demokratie, doch ihre Ablehnung hat auch einen guten Grund: Das Beispiel Libyen zeigte, wie sorglos die NATO-Staaten mit einer UN-Resolution umgehen und damit ein weiteres Mal einen Völkerrechtsbruch begangen.
Insofern ist Cromes Feststellung, wonach der liberale Imperialismus nicht frech über das Völkerrecht hinweg oder offensichtlich für Öl, sondern nur für das Gute in der Welt, für Demokratie und Menschenrechte interveniert, vielleicht nicht voll zutreffend. Als frech kann man die Interpretation der UN-Resolution 1973 durchaus bezeichnen. Völlig richtig ist indes, dass die Kritik am liberalen Menschenrechtsimperialismus schwerer ist, weil sie erst die »ideologische Umhüllung durchdringen muss« (85). Cromes Essay kann dabei gute Dienste leisten.
(aus: Sozialismus 3/2012)