Reuige Heuschrecke

Ex-Hedgfondsmanager Ross Jackson beschreibt in seinem Buch »Occupy World Street«, woran die heutige Wirtschaft krankt
Der freie Markt ist die Ursache für viele Probleme. Deswegen widmet sich Ross Jackson einer »Roadmap für den radikalen Wandel«.
1964 wusste kaum jemand, was Devisenhandelsstrategien, Finanzderivate und Optionen sind. Doch über diese Themen schrieb Ross Jackson in diesem Jahr seine Doktorarbeit. Neun Jahre später stieg er ins Finanzmarktgeschäft ein. 1988 gründete er einen Hedgefonds, der ausschließlich jenseits staatlicher Regulierungen tätig war. Jackson war also schon eine Heuschrecke, als Franz Müntefering noch Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Hochsauerland war.

Als er jedoch merkte, dass es an den Finanzmärkten wie im Casino zugeht, gründete er 1987 den Gaia-Trust mit. Das Ziel: den Übergang hin zu einer nachhaltigen Zivilisation zu unterstützen, zum Beispiel in Gestalt von Ökodörfern. Auch Jacksons Einkommen aus dem Hedgefonds flossen in den Trust. Im Jahr 2000 dann kehrte er dem Finanz- und Devisenhandel den Rücken – und widmete sich ganz der »Roadmap für den radikalen Wandel«, wie der Untertitel seines Buches »Occupy World Street« lautet. In ihm skizziert er eine andere, vor allem auf ökologische Nachhaltigkeit fußende Ökonomie.

Doch zunächst erfolgt die Analyse und Kritik der jetzigen Verhältnisse. Die Menschheit sieht Jackson dabei am Scheideweg. Im schlimmsten Fall kommt es zu einer unumkehrbaren Erderwärmung. Verläuft die Krise etwas glimpflicher, sieht sich die Weltbevölkerung mit etlichen Bedrohungen konfrontiert: Überlastung des Ökosystems, Überbevölkerung, Artensterben und eine ernste Wirtschaftskrise, wenn die globale Ölproduktion das Fördermaximum erreicht und danach abnimmt. Jacksons Analyse erfolgt in enger Verschränkung von ökonomischen und ökologischen Aspekten. Das ist lobenswert, konzentrieren sich andere Autoren doch häufig auf das eine oder das andere.

Die gleichgewichtige Behandlung zeigt sich auch an den theoretischen Gewährsmännern. Polanyi, Stiglitz und Keynes für die Wirtschaft. Georgescu-Roegen, Daly und Boulding für die Umwelt. Schuld an ökonomischer wie ökologischer Misere seien der freie Markt, das WTO-System, die neoliberale Weltanschauung sowie die »Konzernokratie«. Das Streben nach unbegrenztem Wachstum steht Jackson zufolge im Zentrum der Krise. Aber der kapitalistischen Produktionsweisen immanente Zwang zur Profiterzielung wird von ihm nicht als zentraler Antrieb des Wachstums verstanden. Vielmehr werde das Gewinnstreben auch in einer alternativen Ökonomie ein wichtiger Anreiz für Innovationen sein – nur müsse es in Grenzen gehalten werden.

Jacksons Kritik dringt deshalb nicht bis an die Wurzel vor; sein Entwurf für eine andere Ökonomie hat einen voluntaristischen Klang. Wie aber sieht sein Gegenentwurf aus? Im Kern geht es Jackson um die Schaffung von selbstbestimmten, unabhängigen Staaten, in denen Nachhaltigkeit und Menschenrechte ernst genommen werden. Dazu bedarf es vor allem einer revolutionären Reform des Wirtschafts-, Währungs-, Handels- und Finanzsystems sowie der politischen Struktur der internationalen Gemeinschaft. Als gewissermaßen reformistische Subjekte nennt Jackson die kreative Klasse, Graswurzelbewegungen, fortschrittliche Staaten und charismatische Führer – insbesondere letzteres ist sehr diskussionswürdig. Störend sind auch seine gelegentlichen manipulationstheoretischen Ausführungen, wonach alle auf die neoliberale Ökonomie hereingefallen seien.

Dennoch: Jacksons Buch ist mit Gewinn zu lesen. Es ist trotz aller kritischen Punkte eines der intelligenteren, die nach der Finanzkrise von 2008 erschienen sind und Alternativen zum Finanzmarktkapitalismus skizzieren. Dass dies nötig ist, liegt auf der Hand. Dass ein Einzelner nicht den Generalplan vorlegen kann, ebenso.

Ross Jackson, Occupy World Street. Roadmap für den radikalen Wandel. 359 Seiten, 19,80 Euro.

aus: neues deutschland, 16.12.2013

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