Wenn die Elite den Markt anprangert

Über Kapitalismuskritik auf dem Weltwirtschaftsforum und was das für die Linke bedeutet

Verkehrte Welt: Hedgefonds-Manager, Vermögensverwalter, Banker und Konzernbosse kritisieren das Kurzfristdenken in der Ökonomie und fordern eine bessere Verteilung von Wachstumsgewinnen sowie eine Reform des »Markt-Kapitalismus«. Das kapitalistische Wirtschaftsmodell funktioniere nicht mehr für die Menschen, meint Klaus Schwab, Gründer und Leiter des Weltwirtschaftsforums in Davos. Schuld daran seien »die allgegenwärtige Korruption, kurzfristiges Denken und die ungleiche Verteilung der Wachstumserträge«. So steht es im soeben veröffentlichten Global Risk Report 2017. Dieser wird von der globalen Elite jedes Jahr erstellt und dient dem derzeit tagenden Forum als Diskussionsgrundlage.

Ist die Unternehmerklasse plötzlich ins Lager der Kapitalismuskritiker übergelaufen? Plötzlich nicht wirklich. Bereits im Juli erschien in der »Financial Times« eine ganzseitige Anzeige, in der unter anderem Vertreter des größten Vermögensverwalter Blackrock, der Investmentbank JP Morgan und von General Motors Kritik am jetzigen Wirtschaftsmodell übten: »Unsere Finanzmärkte sind mittlerweile zu besessen von vierteljährlichen Gewinnprognosen.« Ihr Ziel: eine gute Unternehmensführung, die unter anderem durch eine Abkehr vom Schielen auf den schnellen Profit erreicht werden soll. Die Anzeige war Teil einer Kampagne, die 13 der einflussreichsten Konzernchefs und Investoren nach langen Diskussionen in einem Papier veröffentlicht hatten. Und das war nicht das erste Mal, dass sich das Big Business in den USA in diesem Sinne zu Wort meldete und ein Kapitalismus-Modell anmahnte, dass Bevölkerungsschichten ein- anstatt ausschließt.

Auch in Deutschland gibt es dieses Bewusstsein, doch man muss etwas weiter zurückgehen. Bis ins das Jahr 2008, als die Lehman Brothers-Bank die globale Ökonomie mit in die Tiefe riss. Eingefleischte Marktradikale waren über Nacht für staatliche Sozialisierungen – allerdings der Verluste. Konservative begannen zu glauben, dass die Linke doch recht hat. Für die Linke wurde das ein Problem, weil sie ihr Alleinstellungsmerkmal Kapitalismuskritik verlor. In der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« hieß es: »Deshalb klingen die Appelle der IG Metall, in denen grenzenlose Profitgier gegeißelt wird, nicht mehr anders als die Beiträge eines Volksbankenfunktionärs, der bei Maybrit Illner dem Gewinnstreben abschwört. Die CSU kommt inzwischen mit ihren Anti-Manager-Tiraden daher wie Attac im Trachtenanzug und gewinnt damit Popularität.«

Den Davos-Bericht kann man somit als jüngstes Indiz für eine Hegemoniekrise des neoliberalen Kapitalismus deuten. Er ist Ausdruck des wachsenden Bewusstseins der Elite, dass ein Business as usual nicht mehr weiterführt. Das belegen jüngst auch Befragungen von hohen Managern: Unter ihnen ist die Skepsis an der Globalisierung gewachsen. Hinzu kommt das schwindende Vertrauen der Menschen weltweit in die Elite – siehe Brexit-Votum und die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. Freilich geht es den Kapitaleigentümern und Politikern in Davos nicht um eine fundamentale Kritik des Kapitalismus, sondern vielmehr um seine langfristige Bewahrung. Offenkundig aber sind manche unter ihnen bereit, dafür Reformen und Umverteilung in Kauf zu nehmen, die ihre Profitmargen kurzfristig schmälern.

Die kapitalismuskritische Linke steht indes vor einem Problem: Wie unterscheidet sich ihre Kapitalismuskritik von der liberalen oder rechtspopulistischen? Müsste nicht dann, wenn das bürgerliche Lager selbst die Auswüchse und Fehlentwicklungen des Kapitalismus kritisiert, die Linke ihre Kritik radikalisieren? Im wörtlichen Sinne von an die Wurzel gehen, wie es die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie mit ihrer Kritik des »idealen Durchschnitts« beansprucht zu sein. Es könnte sich als Fehler herausstellen, was Teile der Linken in den vergangen Jahrzehnten einte: die Kritik der neoliberale Form des Kapitalismus. Denn darüber ist die Kritik des Kapitalismus an sich in den Hintergrund geraten. Das sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Die Alternative zum Neoliberalismus ist beispielsweise ein sozialstaatlich regulierter Kapitalismus, die zum Kapitalismus eine Produktionsweise, an der das Eigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln aufgehoben ist. Zugespitzt formuliert: Die Kritik des Neoliberalismus seitens der Linken war ein Fehler. Worauf es ankommt, ist die Verbindung der Kritik einer historisch-spezifischen Form des Kapitalismus mit jener des »idealen Durchschnitts«.

aus: neues deutschland, 19.01.2017

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