Alain Badious Streitschrift gegen den globalen Kapitalismus nach den Morden von Paris
Ist der Kapitalismus schuld an allen Übeln dieser Welt? Zu einem Ja tendieren marxistische und radikale Linke. Nein antworten gemäßigte Linken – Liberale und Konservative sowieso. In dieser Eindeutigkeit erscheint die Beantwortung der Frage naiv. Und doch kann man die Ausführungen Alain Badious in seiner soeben erschienenen Streitschrift auf eine ähnliche Formel bringen: Der Kapitalismus ist nicht nur schuld an extremer Ungleichheit, Ausplünderung armer Staaten, sondern bringt auch den islamistischen Terror hervor, der zuletzt Paris und Brüssel heimsuchte.
Klassisch marxistisch skizziert Badiou sodann die Struktur der heutigen Welt. Diese sieht er vor allem durch die seit 30 Jahren wiedergekehrte Ur-Energie des Kapitalismus geprägt. Dieser habe nicht nur die zersetzende Energie wiedergefunden, sondern den Kapitalismus als anerkannte globale Struktur und unangefochtene Herrschaftsform über den gesamten Erdball etabliert. Das ist im Grundsatz richtig, obwohl Badiou gegenläufige Entwicklungen unerwähnt lässt. So geht er nicht auf die zumindest phasenweise Schwächung des Kapitalismus durch die Krise von 2008 ein. Auch die von ihm konstatiert Rolle des Staates als lokaler Verwalter der globalen kapitalistischen Struktur gilt nicht für alle Staaten, wohl aber für die sogenannten failed states. Badiou führt hierfür den Begriff der Zonierung ein; Staaten werden nunmehr eher zerstört anstatt korrumpiert. Diese neue imperiale Praxis begann mit der Zerschlagung Jugoslawiens. Jüngere Beispiele sind Libyen und weitere Staaten Afrikas. Hinter den westlichen Interventionen – allein Frankreich hat in den letzten 40 Jahren mehr als 50 Mal militärisch in Afrika interveniert – stünden Rohstoffinteressen, so Badiou.
Konsequenz für die Bevölkerungen: eine nie dagewesene wachsende Ungleichheit. Zwischen einer kleinen globalen Oligarchie und einer Masse von Mittellosen, die rund die Hälfte der Weltbevölkerung ausmache, befinden sich die Mittelschichten der hoch entwickelten Länder. An dieser von Prekariat bedrohten Schicht richte sich der Diskurs über die Verteidigung der westlichen Werte.
Wie aber kommt es dazu, dass sich Menschen dem IS anschließen und Terrorakte verüben? Das hat mit dem zu tun, was Badiou die »nihilistische Subjektivität« nennt. Diese sinnt auf Rache und Vergeltung. Aber – und das ist das Entscheidende – sie speist sich auch aus einer enttäuschten Sehnsucht. »Der in seiner Sehnsucht nach dem Westen Enttäuschte wird, indem er sich faschisiert, zum Feind des Westens, weil sich seine Sehnsucht nach dem Westen nicht erfüllt hat.« Die Religion ist Badiou ein Deckmantel, den sich faschistische Banden überwerfen.
Als Ausweg aus dieser deprimierenden Situation setzt Badiou auf die Schaffung einer weiteren Subjektivität, die die Herrschaft des globalisierten Kapitalismus hinter sich lassen will. Dieses scheint er im internationalen Wanderproletariat zu erblicken. Badiou ist unerschütterlicher Optimist und macht damit Gramscis Ausspruch »Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens« alle Ehre. Sein Ausblick mag unrealistisch erscheinen, seine Schuldzuweisung zu einseitig. Damit jedoch erfüllt diese Streitschrift ihren Zweck.
Alain Badiou: Wider den globalen Kapitalismus. Für ein neues Denken in der Politik nach den Morden von Paris. Ullstein. 64 S., geb., 7 €.
aus: neues deutschland, 14.04.2016