Obwohl die EZB 2012 die Eurozone vor einer Vertiefung der Krise bewahrt hat, ist ihre Politik des billigen Geldes höchst problematisch
Doch worin besteht die Krisenpolitik der EZB eigentlich? Salopp formuliert darin, alle »Geldschleusen« zu öffnen, die bis dato geschlossen waren, sprich die Märkte mit Euros zu fluten. Alles in der Hoffnung, dass dies die Banken dazu anregt, Kredite an Unternehmen zu vergeben, die dann in die Ausweitung ihrer Produktion investieren, Arbeitsplätze schaffen und letztlich wieder für Wachstum sorgen. Konkret senkte die EZB ihren Leitzins schrittweise bis auf Null. Sie führte sogar Strafgebühren für Banken ein, die bei ihr Geld parken. Überdies unterstützte EZB-Präsident Mario Draghi die Banken mit Notkrediten zu Mini-Zinsen – und im Mai 2010 begann die Zentralbank erstmals mit dem Kauf von Staatsanleihen auf den Sekundärmärkten, was als Vorläufer des Outright Monetary Transactions-Programms (OMT) gelten kann, über welches das Bundesverfassungsgericht jetzt urteilte.
Diese Politik ist nicht denkbar ohne die globale Finanzkrise von 2008/09. Sie markiert für die Notenbanken in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern eine Zäsur, zumal in Europa. Die Krise wiederum ist nicht ohne den strukturellen Trend zur Überakkumulation von Kapital zu verstehen. Die Verwertungsbedingungen des Kapitals in der realen Produktion sind so gering, dass es in die Finanzsphäre strömt. Auf den deregulierten Finanzmärkten kommt es jedoch immer wieder zu Krisen, die auch auf die Produktionssphäre zurückschlagen. 2008 sprang der Staat den implodierenden Banken zur Seite und vergesellschaftete deren Schulden – um den Preis der Ausdehnung seines eigenen Schuldenstandes.
Das war ein Grund für die Staatsschuldenkrise in der Eurozone. Als diese sich trotz der beschriebenen EZB-Maßnahmen 2012 weiter zuspitzte, beendete Draghi diese durch die Ankündigung des OMT-Programms. Doch viel mehr Positives lässt sich nicht erkennen. In ihrem aktuellen Monatsbericht versucht die Bundesbank, die Effekte der expansiven EZB-Politik abzuschätzen. Unterschiedlichen Simulationsrechnungen zufolge könnten die Billionenprogramme entweder sehr kleine oder mittelgroße Effekte auf das Wirtschaftswachstum und die Inflationsrate im Euroraum haben. Die Bundesbank weist selbst auf die Unsicherheit ihrer Berechnungen hin. Da die Inflationsrate jedoch seit zwei Jahren mit um die null Prozent deutlich unter dem angestrebten Ziel von zwei Prozent Inflation liegt, ist offenkundig, dass die EZB dieses Ziel nicht erreicht hat. Auch das Wirtschaftswachstum bleibt hinter den Erwartungen zurück. Hinzu kommen die starken regionalen Unterschiede.
Der Grund hierfür liegt nicht zuletzt darin, dass die EZB ihre eigene Politik durch die faktische Anordnung von harten Austeritätsprogrammen konterkariert – als Mitglied der Troika in Griechenland oder durch rigide Spar- und Sozialabbauprogramme, die Italien, Portugal und Irland im Gegenzug für Unterstützung in der Anleihekrise umsetzen mussten. Auf diese Weise wird die Kaufkraft breiter Bevölkerungsschichten beschnitten. So lange indes keine Umverteilung von oben nach unten durch ein anderes Steuersystem und staatliche Ausgabenprogramme eingeleitet wird, wird die expansive Geldpolitik nicht zu mehr Investitionen führen. Im Gegenteil, die Inflation entsteht dort, wo sie – siehe 2008 – die Krisengefahr erhöht: auf den Vermögensmärkten.
Der expansive geldpolitische Kurs der EZB mag die Eurozone somit kurzfristig vor Schlimmerem bewahrt haben. Doch langfristig ist der Kurs höchst problematisch – es sei denn, er wird durch eine expansive Fiskalpolitik, Umverteilung sowie eine gemeinsame europäische Sozial- und Wirtschaftsunion ergänzt, die auf dem Solidarprinzip anstatt auf nationalen Egoismen fußt.
aus: neues deutschland, 22.06.2016