Die Macht der Masse

Hat die Revolution begonnen? Blockchain könnte den Weg zu einem Krypto-Sozialismus bereiten – oder doch nur marktradikale Träume wahr werden lassen

Bislang hielten sie sich für too big to fail. Doch den Großbanken könnte es bald an den Kragen gehen – dank der neuen Technik Blockchain. Auch der Staat, der mit seinen Institutionen für das Eigentum garantiert, sieht sich durch das dezentrale Verzeichnis für Vermögenswerte mit großen Herausforderungen konfrontiert. Manche freuen sich bereits, dass er hinweggefegt und das Eigentum an den Produktionsmitteln demokratisiert werden könnte. Erfüllen sich also doch noch die Träume der revolutionären Linken? Können sie in Bälde die Einführung eines Krypto-Sozialismus begrüßen? Oder ist der durch Blockchain vorangetriebene vermeintlich neue sozialistische Anlauf derart kryptisch, dass die Linke das Potenzial der neuen Technik verkennt?

Disruption lautet das Zauberwort des Mekka der High-Tech-Industrie im kalifornischen Silicon Valley. Wer es etwas altmodischer mag, könnte den Begriff der schöpferischen Zerstörung des Ökonomen Joseph Schumpeter bemühen. Disruption meint die Zerrüttung herkömmlicher Industriezweige durch das Aufkommen neuer Ideen in Kombination mit digitalen Ideen, vorzugsweise Apps. Anfang des Jahrtausends versäumte es die Musikindustrie, auf den Zug der digitalen Angebote aufzuspringen – und erlitt massive Umsatzeinbrüche. Der Taxidienstleister Uber zerrüttet derzeit das traditionelle Taxigeschäft und Airbnb das Tourismusgewerbe. Die nächsten Riesen, die der Disruption zum Opfer fallen könnten, sind die Großbanken und möglicherweise der Staat, wie wir ihn kennen.

Das könnte der Startschuss für das sein, was Dimitri Kosten einen »Krypto-Sozialismus« nennt. Der Mitgründer der 3D Business Solutions argumentiert in seinem Papier »Crypto-Socialism – What’s next?«, dass die Blockchain-Technologie zum ersten Mal die Möglichkeit bietet, »die Macht von Regierung und Finanzen den Leuten durch peer-to-peer-Technologie zu geben«. Die Macht könnte den zentralen Autoritäten entrissen und zu einem Netzwerk, zu einer »Macht der Masse« werden.

Kosten, offenbar marxistisch geschult, vergleicht die jetzige Entwicklung mit dem Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus. Die sozialen Implikationen könnten mit denen der Abschaffung der Sklaverei, die technologischen mit der Erfindung des Verbrennungsmotors verglichen werden. »Die ökonomischen Folgen könnten die Gesellschaft in Richtung von sozio-ökonomischen Verhältnissen bewegen, die Marx vermutlich als eine Form des Sozialismus beschrieben hätte.«

Der Amsterdamer Programmierer Denis Rojo alias Jaromil sieht es ähnlich. Auf der Transmediale in Berlin sagte er: »In der Blockchain gehören den Schürfern, den direkt Beteiligten, die Produktionsmittel.« Dass sich damit eine alte Forderung von Karl Marx erfülle, sei »nach wie vor entscheidend«.

Gar mit Anarchisten hält es der vom Wirtschaftsmagazin »Capital« apostrophierte »digitale Lenin hinter der Blockchain«, der russischstämmige Programmierer Vitalik Buterin. Er hat sich im schweizerischen Zug niedergelassen, jener Stadt, die in einschlägigen Kreisen auch als »Crypto Valley« bekannt ist. Dem Magazin sagte er: »Ich habe früh angefangen, anarchistische Literatur zu lesen. Sozialistische Anarchisten wie Bakunin und Kropotkin.« Aber er las auch – und das ist höchst interessant – die radikal marktliberale Ayn Rand.

In dieses Bild passt, dass Dimitri Kosten durch die Dezentralisation der finanziellen Macht die Kraft der unsichtbaren Hand wieder voll zur Entfaltung bringen möchte. Das indes erinnert an liberale Anschauungen. Vermachtete Märkte sollen befreit werden, auf dass sich das freie Spiel des Marktes neu entfalten möge.

So bleibt festzuhalten, dass Blockchain sehr wohl das Potenzial hat, die Finanzindustrie und staatliche Strukturen massiv umzugestalten, möglicherweise zu brechen. Doch ob das Potenzial für die Linke nutzbar ist, hängt von der politisch-sozialen Rahmung ab. Und überhaupt: Was wäre gewonnen, wenn soziale Verhältnisse durch das Blockchain-Verfahren geregelt wären? Ein positives Menschenbild liegt dem zumindest nicht zugrunde.

aus: neues deutschland, 1.07.2016

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