Die Paradise Paper werden wenig ändern

Erst der Offshore Leak, dann der Lux Leak, letztes Jahr die Panama-Papiere und jetzt die Paradise Papers: Immer neue Berichte belegen, dass Steuervermeidung und- hinterziehung mithilfe von Schattenfinanzplätzen, verharmlosend Steueroasen genannt, immense Ausmaße erreicht haben. Laut OECD entgehen den Staaten allein durch die Steuervermeidung von Unternehmen jedes Jahr weltweit 100 bis 240 Milliarden US-Dollar, für Deutschland wird der Betrag auf 17 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Viel Geld, das den Staaten fehlt, um Kindertagesstätten und Schulen zu bauen oder ihren Bürger_innen angemessene Renten zu zahlen. Stattdessen wird bei Rentner_innen und Erwerbslosen weiter gekürzt, eben weil das Geld fehlt, das globale Konzerne oder Reiche wie Bono, Lewis Hamilton oder die britische Queen mit ihren dubiosen Staubsaugerfirmengeschäften vor dem Fiskus verstecken.

Die »Steueroasen«-Frage ist also auch eine der globalen sozialen Gerechtigkeit. Bernie Sanders brachte es auf den Punkt: »Kinder sollten nicht hungern müssen, weil Milliardäre Steueroasen nutzen, um die Zahlung eines fairen Steueranteils zu vermeiden.«

Jetzt also die Paradise Papers: Wie schon bei den Panama-Papieren verschenkte die Süddeutsche Zeitung (SZ), die mit 400 Journalist_innen aus 67 Ländern an der Auswertung der 13,4 Millionen Dokumenten beteiligt war, das aufklärerische Potenzial, das in diesem Leak steckt. Ins Zentrum der Berichterstattung stellte die SZ Geschäfte des US-Handelsministers Wilbur Ross mit russischen Unternehmen aus dem Umfeld von Präsident Putin. Mit dem Feindbild Putin meint man in München immer noch die stärksten Schlagzeilen liefern zu können. Im April letzten Jahres titelte man: »Die heimlichen Millionengeschäfte des Putin-Zirkels«. Doch der Hang zur Personalisierung und Skandalisierung verstellt den Blick auf die strukturellen Zusammenhänge. Darauf, wie der globale Kapitalismus extreme Ungleichheiten produziert und es vor allem westliche Staaten, Banken und Multis sind, die mittels Steuerschlupflöchern, Sonderdeals oder schlicht niedrigen Steuern Geld vor der Allgemeinheit verstecken. Die größten Steueroasen der Welt – sie finden sich laut dem Tax Justice Network in den Vereinigten Staaten, Großbritannien, der Schweiz und Deutschland.

Immerhin: Beim jüngsten Datenleak fiel es den SZ-Journalist_innen schwerer, die westlichen Staaten und Konzerne aus der Schusslinie zu nehmen. Zu schwer wiegen die Fakten, wonach der Sportartikelhersteller Nike die Steueroase Niederlande nutzt, um andere Staaten um Einnahmen zu prellen. Zu dreist das Anliegen Apples, mittels der mehrfach als »Offshore-Firma des Jahres« ausgezeichneten Kanzlei Appleby nach einem neuen Standort zu suchen, in dem möglichst keine Steuern zu zahlen sind.

Wie bei den vergangenen Leaks geloben die verantwortlichen Politiker_innen auch jetzt Besserung. Die EU will ihre schwarze Liste mit Steuersündern noch dieses Jahr auf den Tisch legen. Das hatte sie allerdings bereits nach den Panama Papers im letzten Jahr bekundet. Und die niederländische Regierung schließt nicht aus, die Steuerpraktiken des Landes zu prüfen.

Warum aber werfen die Staaten frei nach Peer Steinbrück nicht ihre Kavellarien in die Schlacht, warum gehen sie nicht effektiver gegen Steuervermeidung vor? Es liegt daran, dass sie dann ihre Kavellarie gegen sich selbst richten müssten. Wer macht das schon gerne? Deutschland, Großbritannien, die USA – sie alle sind selbst Akteur im globalen Steuerdumpingwettbewerb, sind fester Bestandteil des Paralleluniversums von Briefkastenfirmen, Anwaltskanzleien, Offshore-Zentren und internationalen Kapitalströmen. Sie wollen das überakkumulierte Kapital an die Finanzstandorte Frankfurt, London und New York locken.

Mehr noch: Die Staaten selbst sind an Firmen beteiligt, die Schattenfinanzplätze nutzen. Der deutsche Staat zum Beispiel hält Anteile an Fraport, der Deutschen Post und der HSH Nordbank. Diese Firmen nutzen Briefkastenfirmen in Liberia, Luxemburg und Malta. Das ist paradox, denn der Staat betrügt sich auf diese Weise selbst. Solange das so ist und solange es die gegenwärtige extreme Polarisierung von Einkommen gibt, solange wird es auch die Nachfrage nach Steuervermeidung geben.

Hinzu kommt, dass die Hegemonie der neoliberalen Ideologie dazu geführt hat, dass das Thema Steuern negativ besetzt ist. Allgegenwärtige Begriffe wie Steuerflucht und Steuerlast sind Beispiele dafür; der Begriff Steueroase suggeriert, dass man sich aus einer misslichen Lage in eine Oase retten muss. Mit Steuern werden aber soziale Sicherungssysteme und Krankenhäuser finanziert. Mit Abgaben auf Vermögen und Erbschaften kann der zunehmenden Ungleichheit etwas entgegengesetzt werden. Durchaus positive Sachen also.

Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass auch die durch die Paradise Papers angestoßene Debatte ohne große Folgen bleiben wird. Die bereits auf den Weg gebrachten Reformen – der Informationsaustausch etwa – sind Kosmetik. Was wirksam sein könnte, zählt der Steueroasenexperte, der französische Ökonom und Piketty-Schüler Gabriel Zucman auf: Lizenzentzug für Banken, die ihren superreichen Kunden bei der Steuervermeidung helfen. Am Ende gehe es darum, so spitzt Zucman zu, dass wir die Macht der Banken einschränken und das Gefühl beseitigen, sie seien zu groß, um sie pleitegehen zu lassen.

Er hat einerseits recht, andererseits greift das noch zu kurz. Welche gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bereiten denn den Nährboden, auf denen die Macht der Banken entstehen kann? Welche tragen dazu bei, dass sich das Vermögen in den Händen weniger konzentrieren kann? Was sind die tieferen Ursachen für den Steuerwettlauf nach unten in der globalen Staatenkonkurrenz? Diese Fragen zu stellen, bedeutet unweigerlich über den globalen Kapitalismus zu reden, mithin nicht nur über Verteilungs-, sondern auch über Produktionsverhältnisse. Nur wenn die Debatte über Steuervermeidung damit verknüpft wird, könnten die Reaktionen auf den nächsten Steuerleak mehr sein als in der Vergangenheit: ziemlich hilflos.

aus: analyse & kritik Nr. 632

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