Droht ein Handelskrieg?

Selten klaffen Rhetorik und Realität so auseinander wie beim Thema Freihandel und Protektionismus. Eindrücklich zu sehen war das jüngst an den Reaktionen auf die Einführung von US-Zöllen auf Aluminium und Stahl. Gerade die deutschen Medien ereiferten sich über den bösen nationalistischen Protektionisten Trump, der dem freien Handel den Todesstoß versetzt habe.

Ein vergleichender Blick auf die Handelspraxis der USA und der EU zeigt jedoch: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Denn die EU, die sich als letzter Mohikaner des Freihandels inszeniert, hat ein etwas höheres Zollniveau als die USA. Das mussten mehr oder minder zähneknirschend auch die liberalen Wirtschaftsredakteure von FAZ, SZ und Spiegel eingestehen. Im Spiegel heißt es: »Über alle Industriegüter hinweg betrachtet, liegen die Zölle auf einem ähnlichen Niveau: Die USA nehmen im Schnitt 3,2 Prozent, die Europäer 3,9 Prozent.« Und die FAZ konstatiert in Bezug auf die EU: Die Liste von Anti-Dumping- sowie Anti-Subventionszöllen sei schon heute lang. Insgesamt hatte die EU Ende des vergangenen Jahres 99 vorläufige und endgültige Anti-Dumpingzölle verhängt. Allein auf Stahl- und Eisenprodukte gebe es momentan 53 Anti-Dumpinzölle. Dagegen erheben die USA derzeit 48 verschieden Schutzzölle für die Importe unterschiedlicher Stahlprodukte. Ein anderes Beispiel ist durch Trump inzwischen recht bekannt geworden: Die USA nehmen 2,5 Prozent Zölle auf europäische Autos, die EU aber zehn Prozent auf jene aus den Staaten.

Wessen Handelspolitik ist also protektionistischer? Etwas mehr die der EU. Und daran werden die neuen US-Zölle direkt nicht viel ändern. Sie sind eher die viel zitierten Nadelstiche, aber noch keine Bedrohung für das derzeitige globale Handelssystem. Auch die angekündigten Gegenmaßnahmen der Europäer sind eher symbolischer Natur. Zumal ein Blick in die jüngste Vergangenheit zeigt, dass Donald Trump nicht der erste ist, der Zölle auf Stahl erhebt. 2002 führte US-Präsident George W. Bush Zölle von bis zu 30 Prozent auf Stahl ein. Der Erfolg stellte sich nicht ein, nach 20 Monaten wurden sie wieder abgeschafft. Barack Obama versuchte es erneut: Er ließ Schutzzölle auf Autoreifen und auf Kaltstahl erheben. Doch ein Aufschrei in Europa blieb aus.

Das hatte Gründe: Einerseits waren Obamas Schutzzölle gegen China gerichtet. Und gegen die Importe aus dem Reich der Mitte hat auch die EU fleißig Zölle verhängt. Zum anderen, weil Obama das neoliberale Dogma vom Wohlstand schaffenden Freihandel nicht aufkündigte.

Das genau tut Donald Tump. Bei ihm stimmen Rhetorik und Praxis in puncto Handelspolitik überein. Das ist ein Grund, warum sich die Politiker in den EU so über Trump aufregen. Er erinnert sie mit seinem offen wirtschaftsnationalistischen Kurs an das, was sie selbst tun – allerdings ideologisch verbrämt mit Bezug auf den angeblich Wohlstand schaffenden Freihandel.

Aber könnte Trumps Schritt nicht tatsächlich der erste Schritt hin zu einem Handelskrieg sein? Dafür spricht nicht viel. Die direkten Folgen der Zölle sind marginal. Indirekt könnte es für die Europäer ungemütlich werden, weil chinesischer Stahl, der bis dato in die USA importiert wurde, bald den europäischen Markt fluten könnte. Der EU könnte somit widerfahren, was sie selbst mit Afrika oder ihr Hegemon Deutschland mit der südlichen Peripherie anstellt: andere Länder, Regionen als Absatzmarkt für die den Binnenmarkt übersteigenden Kapazitäten zu nutzen. Wobei: Kommt es tatsächlich dazu, wird Brüssel rasch neue protektionistische Maßnahmen erfinden, diese aber Anti-Dumpingmaßnahmen nennen, die notwendig seien, um sich vor den unfairen Handelspraktiken der Chinesen zu schützen.

Sollte Trump jedoch seine Drohung wahr machen, die Zölle auf importierte Autos zu erhöhen, könnte es gerade für deutsche Autobauer ungemütlich werden. Aber im Vergleich zu den Zöllen auf Stahl und Aluminium muss Trump hier den Weg über den Kongress gehen – und der ist schwieriger.

Handelskrieg herrscht in einer globalen kapitalistischen Ökonomie eigentlich immer. Versuche, über die Welthandelsorganisation gemeinsame Regeln aufzustellen, sind gescheitert. Es gibt Staaten bzw. -bündnisse, die wie Deutschland und die EU die ganze Welt als ihr Absatzgebiet für ihre Waren betrachten. Aber ihre Handelsüberschüsse sind die Handelsdefizite der anderen. Zum Beispiel die der USA. Das ist der rationale Kern von Trumps Handeln. Seine Kritik an Deutschland und der EU ist berechtigt. Das bedeutet freilich nicht, dass seine Maßnahmen am US-Handelsdefizit etwas ändern oder zur Renaissance der US-Stahlindustrie führen werden.

aus: analyse & kritik, Nr. 636, 20.3.2018

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert