Schon vor dem jüngsten Facebook-Skandal wurde über die Zerschlagung der großen Tech-Konzerne debattiert
Im November 2016 sagte Facebook-Chef Mark Zuckerberg: »Ich persönlich glaube, die Überzeugung, dass Fake-Nachrichten auf Facebook die Wahl in irgendeiner Art und Weise beeinflusst haben könnten, ist verrückt.« Schon damals, als heftig über die vermeintliche Manipulation der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl durch russische Hacker mithilfe des sozialen Mediums debattiert wurde, mutete diese Äußerung seltsam an.
Heute, angesichts des Skandals über die Abschöpfung und Auswertung von Facebook-Profilen durch Cambridge Analytica, ist sie aus der Zeit gefallen. Die Datenanalysefirma soll sich Daten von rund 50 Millionen Facebook-Mitgliedern erschlichen haben, um den Nutzern gezielt Pro-Trump-Werbung anzuzeigen. Jetzt scheint es im Vergleich zu den früheren Skandalen für Facebook tatsächlich ernst zu werden. Anleger verkaufen Anteile, der Aktienkurs sackte ab, diesseits und jenseits des Atlantiks werden Forderungen nach einer strengeren Regulierung laut. Die Stimmung kippt.
Eine besondere Ironie bei dem Vorfall ist, dass sich angesichts des Treibens von Cambridge Analytica, einem britisch-amerikanischen Unternehmen, und dem US-Konzern Facebook, wieder einmal zeigte: Die schlimmsten Manipulatoren des Internets sitzen nicht in Russland, sondern in den USA. Eine Erkenntnis, die knapp fünf Jahre nach den Enthüllungen von Edward Snowden angesichts der russophoben Stimmung schon fast wieder in Vergessenheit geraten war. Der Auslöser des NSA-Skandals äußerte sich zu den jüngsten Enthüllungen entsprechend: »Früher hat man Unternehmen, die mit dem Sammeln und Verkaufen privater Daten Geld verdienen, schlicht Überwachungsfirmen genannt. Dass sie sich jetzt als soziales Netzwerk tarnen, ist die erfolgreichste Täuschung, seit sich das Kriegsministerium in Verteidigungsministerium umbenannt hat.«
Allerdings hätte es gar nicht der Aufdeckung über die Machenschaften von Cambridge Analytica und Facebook bedurft: Die Debatte um die stärkere Kontrolle, Verstaatlichung und Zerschlagung der großen Tech-Konzerne hatte bereits zuvor in der wirtschaftsliberalen Presse begonnen. In der »Financial Times«, im »Economist«, in Deutschland in FAZ, »Welt« und im »Handelsblatt« kamen erstaunlich oft Stimmen zu Wort, die angesichts der gigantischen Macht der vier großen Tech-Konzerne Alphabet (Google), Facebook, Amazon und Apple einen anderen Umgang mit den Aushängeschildern des digitalen Kapitalismus forderten.
Eine dieser Stimmen ist Scott Galloway. Er ist Professor für Marketing und hat jüngst das Buch »The Four: Die geheime DNA von Amazon, Apple, Facebook und Google« veröffentlicht. Seine Forderung, die »Vier« – eine Anlehnung an die vier apokalyptischen Reiter – zu zerschlagen, hat ihm schon den Vorwurf eingebracht, ein Sozialist zu sein.
Das ist er mitnichten, obwohl seine Forderung auf den ersten Blick radikal scheint. So setzt er sich dafür ein, die großen Vier in zwölf kleinere Firmeneinheiten aufzuteilen. Begründung: »Es gibt diesen Punkt, an dem ein Unternehmen so mächtig wird, dass nur die Zerschlagung dieses Unternehmens dazu führen wird, den Wettbewerb wiederzubeleben«, sagte er im »Handelsblatt«. Die Zerschlagung sei Teil des normalen Wirtschaftszyklus.
Die enorme Macht von Facebook und Co. wird von Galloway und anderen auf den sogenannten Netzwerkeffekt zurückgeführt. Dieser besagt, dass die Nützlichkeit einer Plattform wesentlich von der Zahl ihrer Nutzer bestimmt wird. Je mehr Menschen ein Profil bei Facebook oder Instagram haben, desto interessanter wird die Plattform – für die kommerzielle Verwertbarkeit wie für die User. Wer geht schon zu den Facebook-Alternativen »Diaspora« oder »Ello«, wenn dort gerade einmal ein Verwandter und eine Freundin einen Account haben? Welcher Händler kann es sich noch leisten, nicht bei Amazon seine Waren feilzubieten? Das Problem hierbei: In ökonomischen Konkurrenzverhältnissen, wie sie im Kapitalismus nun einmal üblich sind, entsteht dadurch eine Dynamik nach dem Muster »The winner takes it all«. Kurz: Netzwerkeffekte führen zu Oligopolen und Monopolen.
Das lässt sich bei Facebook und Google gut beobachten. Auf die beiden Giganten allein entfallen mittlerweile 63 Prozent der US-amerikanischen Werbeeinnahmen, weltweit war es 2017 fast die Hälfte. Über Google laufen in Deutschland und Europa über 90 Prozent der Suchanfragen, global waren es 2016 über 70 Prozent. Googles Betriebssystem Android hat einen Marktanteil von 86 Prozent. Und Facebook dominiert den Markt der sozialen Netzwerke in den USA mit einem Anteil von etwa 75 Prozent; in Deutschland entfielen über 70 Prozent der Seitenaufrufe auf das Netzwerk.
Monopole und Oligopole kann man aus liberaler wie aus linker Sicht kritisieren. Galloway vertritt die liberale und begründet seine Zerschlagungs-Forderung sogar explizit damit, dass er ein Kapitalist ist. Er wie auch andere wollen durch die Entflechtung der großen Vier den normalen kapitalistischen Wettbewerb wieder neu ermöglichen; sie wollen verhindern, dass sich Monopole und Oligopole außerhalb der Regeln des Wettbewerbs bewegen. Problem dabei: Die bereits von Karl Marx beschriebenen Konzentrations- und Zentralisationstendenzen des Kapitals werden durch eine Zerschlagung eines Monopols nicht aufgehoben. Der Wettbewerb beginnt erneut und birgt das Potenzial, dass es zu Übernahmen und erneut zu Oligopolen kommt.
Ein Blick in die Geschichte der kapitalistischen Zentren zeigt, dass es durchaus Beispiele für Zerschlagungen und Entflechtungen gibt. 1911 wurde die Standard Oil Company in 34 Einzelunternehmen aufgeteilt. Diese Entflechtung durch US-Präsident Theodore Roosevelt gilt als Beginn der Anti-Monopol-Gesetzgebung. Aus Standard Oil gingen durch Zukäufe und Wiedervereinigungen einige der heute bekannten Öl-Multis wie ExxonMobil und Chevron hervor. Ein Beispiel jüngeren Datums ist die Zerschlagung des Telefonmonopolisten AT&T 1984 in sieben regionale Unternehmen. Netter Nebeneffekt dabei: Nach der Aufteilung wurde bekannt, dass das Unternehmen Innovationen und neue Technologien unterdrückt hatte, um das eigene Geschäft nicht zu kannibalisieren.
Und in Europa? Immerhin hat das Europaparlament vor vier Jahren die Aufspaltung von Google vorgeschlagen, weil der Konzern zu mächtig geworden ist. Letztes Jahr hat dann die EU-Kommission zumindest eine Rekordstrafe von 2.42 Milliarden Euro gegen Google verhängt, weil es seine marktbeherrschende Stellung missbraucht habe. Eine rechtliche Handhabung zur Zerschlagung der US-Konzerne existiert freilich nicht.
Linke Kritiker der digitalen Monopole plädieren für weitreichendere Maßnahmen, als nur auf das liberale Kartellrecht zu setzen. Der bekannte Internetkritiker Evgeny Morozov hebt auf die wechselseitige Durchmischung von »Finanzkapitalismus und technologischem Kapitalismus« ab und fordert mehr strukturelle und gesetzgeberische Interventionen. In Bezug auf die Daten müsse die Eigentumsfrage gestellt werden. Warum sollten die Daten nicht ein entscheidender Bestandteil einer Infrastruktur sein, die allen gehört?
Nick Srnicek, Autor des Buches »Plattform-Kapitalismus«, denkt in eine ähnliche Richtung. Im »Guardian« und in der »Zeit« brachte er die Idee der Verstaatlichung bzw. die des öffentlichen Besitzes an den Tech-Konzernen als Ideallösung ins Spiel. Begründung: Diese Monopole, die unsere Interaktionsdaten extrahieren und verwerten, seien zu groß, um der Allgemeinheit zu dienen.
Begründet wird das auch mit der Gefahr für die Demokratie, die von den digitalen Monopolen ausgeht. Denn im Vergleich zu früheren Monopolen verfügen diese neben finanzieller Macht auch über einen immer größer werdenden Einfluss auf Informationen, Nachrichten und öffentliche Diskussionen. Die jüngsten Aufdeckungen illustrieren das: Facebook und andere Tech-Konzerne haben offenbar die Macht, die Meinungen von Millionen Wählern zu beeinflussen. Ob das letztlich ausschlaggebend war für den Wahlsieg von Donald Trump, wird vielleicht nie geklärt werden können. Aber schon jetzt ist klar: Den von bürgerlichen Demokratietheoretikern beschworenen mündigen Bürger, der zwischen einem Informationsangebot frei wählen kann, hat es so nie gegeben. Zu sehr hatten schon immer Kapitalgeber und Werbekunden Einfluss auf das, was veröffentlicht wurde. Im digitalen Zeitalter des Kapitalismus freilich nimmt das Problem eine neue Dimension an. Wenn sich immer mehr Menschen primär nur noch über die Filterblase bei Facebook informieren, stellt sich die Frage ganz anders. In diesem Sinne kann man sogar einmal einer EU-Kommissarin Recht geben: »Wir müssen uns unsere Demokratie zurückerobern, wir können sie nicht den Googles und Facebooks überlassen«, sagte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager im November vergangenen Jahres.
Eine öffentliche Kontrolle oder Vergesellschaftung von Facebook, das maßgeblich die öffentliche Meinungsbildung mitgestaltet, ist da eine gute Idee. Ob es aber eine Verstaatlichung sein muss, ist mit Blick auf China mehr als fraglich.
aus: neues deutschland, 24.3.2018