Protektionismus und Freihandel können nicht isoliert bewertet werden. Eine Antwort auf Steffen Stierle und Wiljo Heinen (»nd« vom 9. und 21.3.)
Ein blindes Huhn findet auch einmal ein Korn, heißt es. Ist das Korn des US-Präsidenten eine neue Zollschranke? Einige Linke können den Handelsbeschränkungen von Donald Trump durchaus etwas Positives abgewinnen. So meint Steffen Stierle, darin ein Ende des neoliberalen Globalisierungsmodells an seine Grenzen stoßen zu sehen. Die einzig tragfähige wirtschaftspolitische Konsequenz sei eine Rückbesinnung auf den Binnenmarkt. Wiljo Heinen entgegnet dem: Das deutsche Kapital werde nicht menschenfreundlicher, wenn es nur unter sich konkurriere, seine Gier nach Profit nicht geringer, wenn es nur zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen zu realisieren sei. Heinen hält nichts von Strafzöllen zur Beschränkung des Freihandels. Dieser allerdings wird von ihm zu unkritisch gesehen, wenn er schreibt: »Ich lebe in einer Welt, die ohne internationalen Freihandel nicht denkbar wäre.« Doch weil die Welt so ist, wie sie ist, ist sie noch lange nicht vernünftig eingerichtet.
Der Debatte zur Handelspolitik mangelt es insgesamt an der isolierten Gegenüberstellung von Freihandel und Protektionismus. Letzteres wird meist als negativ dargestellt. Da ist auch etwas dran, wenn darunter nur das Schließen von Grenzen verstanden wird. In einer immer noch wesentlich durch Nationalstaaten geprägten Welt birgt das die Gefahr, dass sich protektionistische Bestrebungen nationalistisch und rassistisch artikulieren.
Der Begriff Protektionismus kann aber auch mit den Worten von Marx bedeuten: Schutz vor »allen destruktiven Erscheinungen, welche die freie Konkurrenz in dem Innern eines Landes zeitigt« und sich in »noch riesigerem Umfang auf dem Weltmarkt« wiederholt. In diesem Sinne könnten protektionistische Maßnahmen durchaus Sinn machen. Die entscheidende Frage dabei ist: Wer setzt den Schutz vor der globalen Universalisierung des kapitalistischen Marktes mit Zöllen, Einfuhrbeschränkungen etc. durch? Und in wessen Interesse tut er dies?
Trump sagt, er will Jobs in der Stahlindustrie, die durch unfaire Handelspraktiken der Europäer und Chinesen vernichtet worden seien, zurückgewinnen. Doch ist das realistisch? Wohl kaum. Zwar mögen infolge der Zollschranken ein paar neue Jobs im Rust Belt, der größten und ältesten US-Industrieregion, entstehen. Aber die Stahlbranche wird bei Weitem nicht die Beschäftigtenzahl von 200.000 erreichen, die sie vor 30 Jahren hatte. Das liegt daran, dass die Produktivität enorm gestiegen ist. Heute produzieren 85.000 Arbeiter das, was die 200.000 damals schufen. Die Jobverluste sind also neben weiteren Faktoren auf die erhöhte Produktivität und weniger auf gestiegene Importe in die USA zurückzuführen. Hinzu kommt: Es könnten Jobs in stahlverarbeitenden Wirtschaftsbereichen durch höhere Preise für Importe verloren gehen.
Von Trumps Maßnahmen profitieren also in erster Linie bestimmte Fraktionen des Kapitals in den Vereinigten Staaten. US-Stahlkonzerne dürften sich über höhere Renditen freuen. Das schließt jedoch nicht aus, dass andere Kapitalfraktionen von Trumps Wirtschaftspolitik insgesamt noch in weitaus stärkerem Maße profitieren. Durch seine Steuersenkungen profitieren die Superreichen und alle Großkonzerne. Seine Deregulierung der Finanzmärkte nützt dem Finanzkapital. Für die Lohnabhängigen bleibt nichts außer vielleicht ein paar neue Jobs im Niedriglohnbereich.
Aus diesem Grund macht es wenig Sinn, Freihandel und Protektionismus isoliert zu bewerten. Tut man dies, begibt man sich in eine Auseinandersetzung von verschiedenen Kapitalfraktionen. Vielmehr müssen die beiden Phänomene stets im Gesamtzusammenhang aller wirtschaftspolitischen Maßnahmen gesehen werden. Das schließt keineswegs aus, dass Zölle und andere protektionistische Schritte Elemente einer linken und ökologischen Wirtschaftspolitik sein können. Bei US-Präsident Trump sind sie es aber nicht.
aus: neues deutschland, 31.3.2018