Das Phänomen ist schon älter, das Wort dafür existiert aber noch nicht lange. Erst 2007 prägte der Ökonom und Investmentmanager Paul McCulley den Begriff Schattenbanken. Einer breiteren Öffentlichkeit ist er indes kaum bekannt. Dabei sieht nicht nur die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, im Schattenbankensystem eine potenzielle Ursache für eine nächste Finanzkrise.
Doch was sind Schattenbanken eigentlich? Die kürzeste Definition lautet: Finanzinstitute, die bankähnliche Tätigkeiten ausüben, aber nicht der Bankenregulierung unterliegen. In kapitalistischen Ökonomien dürfen in der Regel nur Banken Spareinlagen annehmen, die von der staatlichen Einlagensicherung gedeckt sind. Zudem haben nur Banken einen direkten Zugang zum Geld der Zentralbank. Aus diesen Gründen müssen sich Banken an staatliche Vorgaben halten, wie zum Beispiel an die Eigenkapitalregel, die Geldinstituten vorschreibt, wie viel Geld eine Bank zur Sicherheit zurückhalten muss.
Allerdings vergeben nicht nur Banken Kredite oder handeln mit Wertpapieren. Das tun Hedgefonds, Private Equity-, Geldmarkt- und Investmentfonds ebenso wie Tochtergesellschaften von Banken oder große Vermögensverwalter; sie bilden den Schattenbankensektor.
Wie groß ist dieser Sektor? Schätzungen sind schwierig, weil die Finanzaufsicht das Phänomen immer noch nicht richtig auf dem Radar hat. Eines steht aber fest: Das Volumen ist in den letzten Jahren dramatisch angewachsen. »Seit der Jahrtausendwende ist der Sektor nach der breiten Klassifikation des FSB (Financial Stability Board) in den untersuchten Jurisdiktionen (28 Staaten und die Eurozone als Ganzes) von etwa 30 Prozent des BIP bis zur Finanzkrise auf etwa 95 Prozent des BIP angewachsen und nach einem krisenbedingten Einbruch inzwischen bei 150 Prozent des BIP angekommen«, heißt es in der Studie der Rosa Luxemburg Stiftung »Chance vertan. Zehn Jahre Finanzkrise und Regulierung der Finanzmärkte«. Auf sage und schreibe 95 Billionen US-Dollar wird das Volumen des verwalteten Vermögens derzeit geschätzt. Das ist weit mehr, als weltweit in einem Jahr an Waren und Dienstleistungen hergestellt werden.
Schaut man sich die Entwicklung in Europa an, so ist nach der Jahrtausendwende ein ebenso rasanter Anstieg des Schattenfinanzsektors festzustellen. Bis zur Krise wuchs er von unter zehn Billionen Euro auf 15 Billionen. Heute hat er sich auf 30 Billionen Euro verdoppelt.
Dieser Anstieg ist auch auf eine Lehre aus der letzten Finanzkrise zurückzuführen. Als der Kollaps der Lehman Brothers Bank 2008 zum globalen Crash führte, war schnell klar: Die Banken müssen wieder stärker an die Kandare genommen werden. In den USA regulierte man das Bankwesen sogar stärker als in Europa. (Erst mit US-Präsident Trump wird wieder dereguliert.) Aber diesseits und jenseits des Atlantiks hatte die gut gemeinte – wenngleich ungenügende Regulierung des Bankensektors – eine unerwünschte Nebenfolge: Das Rendite suchende Kapital wich in den Schattenbankensektor aus. Denn gerade in der Abwesenheit von Regulierungen liegt der Reiz, sprich die höhere Profiterwartung, dieses Sektors – zumal die Akteure ihren Hauptsitz überwiegend in den Schattenfinanzzentren haben.
Dort können sie unbeobachtet Kredite vergeben, diese bündeln und als neue Wertpapiere ausgeben sowie Derivategeschäfte betreiben. Das klingt bekannt. In der Tat war das die Methode, die bereits zur letzten Finanzkrise von 2007ff. beitrug. Schattenbanken, vor allem in Form von außerbilanziellen Tochtergesellschaften von Banken, hatten hieran ihren Anteil.
Zwar gibt es auf G20- und EU-Ebene Bemühungen, den Schattenbankensektor zu regulieren. Doch sind diese viel zu zaghaft. So stellt sich zehn Jahre nach der Krise das Problem nun noch viel drastischer. Einerseits weil das Geldvolumen im Schattenbankensektor enorm gewachsen ist und andererseits weil deren Akteure inzwischen auch ordentlich auf dem US-Immobiliensektor mitmischen. Jeder zweite Hypothekenkredit auf dem US-Häusermarkt wird von unkontrollierten Instituten ausgegeben.
Bedeutungsverlust des offiziellen Bankensektors und Aufstieg seines Pendants im Schattenreich sind somit auch ein gutes Beispiel dafür, wie gut gemeinte Regulierungsbemühungen das Problem nur verschieben und gar verschlimmern können, wenn diese auf einer Analyse beruhen, die nicht an der Wurzel des Problems ansetzt. Nicht nur ungenügende Regulierung war Ursache der letzten Krise, sondern ein finanzmarktgetriebener Kapitalismus, der auf Umverteilung von unten nach oben und Privatisierung beruht und so dem längerfristigen Problem der Überakkumulation von Kapital Vorschub leistet.
aus: analyse & kritik 640