US-Gewerkschafterin schult Aktivisten weltweit für erfolgreichere Streiks
Sie sei im Grunde von den Gewerkschaften großgezogen worden, sagte Jane McAlevey vor anderthalb Jahren im nd-Interview. Heute gilt die 55-jährige Tochter eines US-Gewerkschaftsführers als Expertin für das sogenannte Organizing. Damit ist eine spezifische Methode der Mitgliedergewinnung gemeint, die ihren Ursprung in den USA hat. Professionell ausgebildete Organizer*innen gehen gezielt in gewerkschaftlich wenig erschlossene Betriebe und versuchen dort, Beschäftigte vom Eintritt in eine Gewerkschaft zu überzeugen – mit dem Ziel, Tarifverträge durch einen Arbeitskampf abzuschließen.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) hatte die Aktivistin und Buchautorin zu einer Streikkonferenz nach Braunschweig geladen. Und sie koordiniert von Ende September bis Mitte Oktober die zweite »Strike School« mit ihr – und zwar online. McAlevey bringt seit 25 Jahren Tausenden Menschen bei, wie sie Konflikte im Betrieb kollektiv führen und gewinnen können. Ihre Methodik hat sie in dem 2019 auch auf Deutsch erschienenen Buch »Keine halbe Sachen. Machtaufbau durch Organizing« zusammengefasst. International ist ein regelrechter Hype um McAleveys Kurse ausgebrochen. Auch in Deutschland, wo sich die RLS, die auch die deutschsprachige Publikation gefördert hat, um die Verbreitung ihres Ansatzes bemüht. Der spricht gerade linke Gewerkschafter*innen an, weil er »gewerkschaftliche Erneuerung« durch kämpferischeres und politischeres Agieren verspricht: Mehr Beteiligung, weniger Stellvertreterpolitik, Konflikt statt Sozialpartnerschaft.
4 500 Personen aus 70 Ländern haben sich überwiegend in Gruppen angemeldet. Es wird simultan in sieben Sprachen übersetzt, darunter ins Koreanische und Japanische. »Ich finde es total beeindruckend, dass die Strike School es schafft, einen internationalen Austausch unter Gewerkschafter*innen und Aktivist*innen zu ermöglichen. In kleineren Runden diskutieren Teilnehmende aus Jordanien, Kanada, Nigeria und Großbritannien miteinander«, sagt Fanni Stolz, in der RLS zuständig für die Organisation im deutschsprachigen Raum.
Ungewöhnlich ist auch, dass nicht nur Gewerkschaftsmitglieder an den je zweistündigen Terminen teilnehmen, sondern auch Aktive von Mieterinitiativen und der Klimaschutzbewegung Fridays for Future. Auf der dritten Sitzung am Donnerstag ging es um das »strukturierte Organizing-Gespräch«. Zuvor waren die Themen Identifikation sogenannter Führungspersonen – von Kolleg*innen also, die im Unternehmen besonders respektiert sind, aber nicht notwendigerweise der Gewerkschaft angehören – und die Wortwahl bei der Aktivierung von Kolleg*innen (verboten z.B.: »Wir von der Gewerkschaft«) behandelt worden. Im Organizing-Gespräch selbst verdeutlichte McAlevey, was sie mit dem »Whole-Worker-Ansatz« meint. Im Fokus stehen nicht nur der Beschäftigte und seine Arbeit, sondern auch die Personen, die sich zu Hause Sorgen wegen steigender Mieten oder finanziell schlecht ausgestatteter Schulen der Kinder machen. Organizer*innen sollen den Gesprächspartner also mit seinen persönlichen Sorgen, Wünschen und Bedürfnissen jenseits des Arbeitslebens ernst nehmen.
Dass das tatsächlich funktionieren und zu mehr Beteiligung an gewerkschaftlichen Kämpfen führen kann, konnte man am Donnerstag in achtminütigen Rollenspielübungen verfolgen – zunächst als Videopräsentation vor allen Teilnehmenden und dann in »Breakouts«, Gruppenarbeitsphasen in Kleingruppen. Am Beispiel einer Hochschule, die wegen der Corona-Pandemie Geld sparen will, musste ein Organizer einen Uni-Beschäftigten dazu bewegen, an einer Fotopetition teilzunehmen. Danach gab es Feedbackrunden. Die Adressaten der Agitation teilten mit, wie die gegebenenfalls noch überzeugender gewesen wäre.
Klar wurde: Das alles muss trainiert werden. »Übt, was das Zeug hält«, riet McAlevey den Teilnehmenden. Diese zeigen sich angetan von der Strike School. Die Organizerin Fabienne Eggenberger lobt sie als »gut strukturiert« und sehr lehrreich. Und Nicole Niedermüller aus Zürich sagt: »Ich finde die Streikschule total inspirierend, im Alltag fehlt mir oft genau diese Inspiration von erfolgreichen organizing-geführten Arbeitskämpfen rund um den Globus.« Es tue gut, in der Gruppe zu üben und sich unabhängig von laufenden Kampagnen kollektiv weiterzubilden. Bei den nächsten Terminen wird es um (Tarif)-Verhandlungen, das »Charting«, mit dem Machtstrukturanalysen im Betrieb durchgeführt werden, und zuletzt die Rolle der Organizer*innen im Streik gehen.
aus: nd – der Tag, 4.10.2020