Nicht das Individuum hat Verantwortung für die ökologische Umgestaltung, sondern die Gemeinschaft, sagt der Politologe Raul Zelik
Vielleicht ist es alles viel einfacher als gedacht. Vielleicht besteht die linke Utopie in dem, was man bereits Kindergartenkindern beizubringen versucht: teilen, sich einfühlsam verhalten und zusammenarbeiten. Warum aber erscheinen dann neue Bücher, die den Versuch unternehmen, eine neue linke Erzählung zu präsentieren oder dem Begriff des Sozialismus neues Leben einzuhauchen? Weil die Sache wohl doch etwas komplexer ist. Ein Mindestmaß an dialektischer Intelligenz sei vonnöten, schreibt der Berliner Politikwissenschaftler und Schriftsteller Raul Zelik. Der Verfasser selbst wird diesem Anspruch in Wir Untoten des Kapitals über weite Strecken gerecht, nur manchmal schlägt die Dialektik in Ratlosigkeit um.
Reichtum mindern
Ausgangspunkt für Zeliks Überlegungen ist die Erkenntnis, dass die gegenwärtige kapitalistische Produktions- und Lebensweise aus ökologischen und sozialen Gründen an ihre Grenzen stößt. Aus diesem Grund müssten wir über Gegenentwürfe nachdenken, die über den Kapitalismus, aber auch den Sozialismus in seinen bisherigen Ausprägungen hinausweisen. Bemerkenswert ist, dass der Autor im Unterschied zu seinem Buch Nach dem Kapitalismus? (VSA 2011) ausdrücklich am Begriff des Sozialismus festhält, obwohl diesem doch etwas Zombiehaftes anhafte. „Kaum etwas scheint toter als er, leblos taumeln seine Anhänger*innen, unverständliche Satzfetzen vor sich hinstammelnd, umher. Und noch viel zombiehafter war das untergegangene System. Gesichtslose Massen zogen wie fremdgesteuert unter Tribünen vorüber, auf denen blasse, alte Männer zitternd winkten.“
Zelik begründet seinen Sozialismus-Bezug mit dem enormen Erfahrungsschatz, den die sozialistischen Bewegungen bieten. Und damit, dass der Sozialismus die einzige Kraft sei, die die Bedeutung der Eigentumsfrage erkannte. Gemeineigentum ist für ihn zwar noch nicht die Lösung schlechthin, aber eine unverzichtbare Voraussetzung.
Gleichzeitig grenzt der Verfasser sich von – nennen wir es traditionellen – Sozialismus-Vorstellungen ab. Nicht im Sinn hat er die sozialdemokratische Variante der Stärkung des Staates, und schon gar nichts mit dem, was zwischen 1917 und 1989 in Osteuropa als Sozialismus bezeichnet wurde – oder gegenwärtig in Venezuela existiert. Angenehm hebt sich Zelik aber von anderen sozialistischen Autor*innen ab, die bei der Verdammung des „Stalinismus“ oder „Staatskapitalismus“ stehenbleiben. Er macht sich die Mühe der tiefergehenden Analyse. Davon zeugen die Abschnitte zu den sozialistischen Revolutionen in Russland, China und Jugoslawien, die Kenntnis marktsozialistischer Debatten in der DDR sowie der lange Exkurs zur Bolivarischen Revolution in Venezuela.
Keine dieser Sozialismen konnte die Akkumulation politischer Macht verhindern, löste mithin das Demokratieproblem. Für Zelik ist daher klar: „Die Herausforderung für ein sozialistisches Demokratiekonzept besteht in diesem Sinne darin, netzwerkartige Machtstrukturen zu schaffen, die nicht hinter die Errungenschaften des liberalen Staates zurückfallen.“ Was in der Zusammenfassung recht allgemein klingt, wird in Passagen über rätedemokratische Modelle näher ausgeführt.
Zeliks positive Bestimmung lautet: Sozialismus ist eine Bewegung zur Dekommodifizierung des Lebens, die bereits bestehende sozioökonomische Praktiken miteinander verbinde. Er betrachtet ihn als dreifache Bewegung. Erstens als Stärkung des Gemeineigentums, zweitens als Demokratisierung vor allem von Produktion, Konsum und Entwicklung und drittens als Kritik des Eigentumsbegriffs zugunsten von Nutzungsregeln ohne Eigentumsverfügung. Auch das wird ausführlich, kenntnisreich und mit zahllosen Verweisen auf die relevante linke Literatur ausgeführt.
Grün wird Zeliks Sozialismus, weil er die biophysikalischen Schranken der Erde zum materiellen Ausgangspunkt seiner ökonomischen Überlegungen macht – ein Herangehen mit weitreichenden Folgen. Denn klar ist ja, dass der Energie- und Ressourcenverbrauch und damit der Stoffwechsel mit der Natur immer weitere planetarische Grenzen zu überschreiten droht. Die Aufgabe des grünen Sozialismus sei daher nicht, den Reichtum zu mehren, sondern ihn gewissermaßen zu mindern – ein radikaler Bruch mit bisherigen sozialistischen Bewegungen vor allem marxistischer Herkunft. Auch zu gegenwärtigen linken Beiträgen steht Zeliks Argumentation im Gegensatz.
Man denke etwa an den voll automatisierten Luxuskommunismus (der Freitag 30/2019) oder den Akzelerationismus. Im Widerspruch zu Letzterem geht es Zelik um die Verlangsamung der Einführung von neuen Techniken und die Begrenzung und globale Umverteilung der Reichtumsproduktion. Zum grünen Sozialismus gehöre somit auch die Regionalisierung und Dezentralisierung von Infrastrukturen und Wirtschaftskreisläufen. Im Fokus müsse anstatt Lohnarbeit und Effizienz das Caring, die Sorge um Leben, Mensch und Gemeinschaft stehen.
Erfolg zählt, nicht Radikalität
Das klingt nach Wachstumskritik. Aber es ist eine Wachstumskritik, die anders als die dominierenden Strömungen der Degrowth-Bewegung nicht den individuellen Konsumverzicht ins Zentrum stellt, sondern den Gesamtzusammenhang von kollektiver Bescheidenheit, technischen Verfahren, Zwang zur Kapitalakkumulation sowie einer neuen Eigentumsordnung.
Ob der Markt oder der Plan besser geeignet ist, die notwendige ökologische Konversion der Produktions- und Lebensweise zu vollziehen, lässt der Autor nach Abwägung von Vor- und Nachteilen beider Prinzipien offen. Stattdessen übt er sich mit Karl Polanyi in Bescheidenheit.
Die Alternative zum Kapitalismus müsse sich mit dessen Definition begnügen: „Sozialismus ist dem Wesen nach die einer industriellen Zivilisation innewohnende Tendenz, über den selbstregulierenden Markt hinauszugehen, indem man ihn bewusst einer demokratischen Gesellschaft unterordnet.“ Das klingt – nun ja – politisch recht zahm. Aber möglicherweise hat Zelik recht damit, dass sich Radikalität nicht an möglichst weitreichenden Forderungen, sondern an den möglichst weitreichenden Erfolgen misst.
Insgesamt weiß Raul Zelik mit seiner ökosozialistischen Reformulierung des Sozialismus zu überzeugen, für manches jedoch hätte man sich eine vertiefendere Darstellung gewünscht. Zum Beispiel für die Aussage, dass wir mehr arbeiten werden müssen, wenn wir die Ökonomie ökologisch umgestalten wollen. Geschmackssache ist allerdings die Rahmung des Themas über die Figur des Zombies mit ihren vielen ausführlichen popkulturellen Bezügen. Wer die Serien, Filme oder Romane nicht gesehen oder gelesen hat, neigt zum Überblättern.
aus: der Freitag 30/2020, 23.07.2020