Die Maskenaffäre lenkt vom Versagen in der Corona-Pandemie ab
Immer wenn es um Korruption oder Bestechlichkeit geht, wird hochmoralisch argumentiert. So auch im Fall von Georg Nüßlein (Ex-CSU) und Nikolaus Löbel (Ex-CDU), die Provisionen in sechsstelliger Höhe für die Vermittlungen von Masken kassiert haben sollen, als diese zu Beginn der Corona-Pandemie Mangelware waren. Eine derart niedrige moralische Hemmschwelle, so etwas zu tun, das habe sich der CDU-Vorsitzende Armin Laschet nicht vorstellen können. Von »moralischer Bankrotterklärung« ist die Rede und natürlich vom »Fehlverhalten einzelner Personen«.
Sicher, Nüßlein und Löbel sind kein Ausbund an Tugend. Das zeigt vor allem Nüßleins Weigerung, sein Bundestagsmandat sofort niederzulegen. Offenkundig, um seine Pensionsansprüche in die Höhe zu treiben.
Aber nützt es, in den Skandalisierungschor einzustimmen? Nein, denn damit würde nur ein Bild von Korruption gepflegt werden, das von der sauberen Trennung zwischen Unternehmerinteressen und Gemeinwohlsphäre ausgeht und Abweichungen davon zum Ausnahmefall stilisiert. Die Wirklichkeit ist komplexer. Kapitalinteressen und Interessen des vermeintlich neutralen Staates vermischen sich nicht nur, wenn »Maskenraffkes« in Notlagen zuerst an das Bankkonto der eigenen Firma denken. Es gibt einen systematischen Einfluss von Kapitalinteressen auf die gesetzliche Ebene, der »oft massenhafte Umverteilungen zuungunsten der unteren Klassen nach sich zieht.«
Zwei Beispiele: Es ist gut belegt, dass Banken, Versicherungen und Investmentfonds massiv auf die Rentengesetzgebung Anfang der 2000er Jahre Einfluss nahmen, um sich ein neues profitables Geschäftsfeld zu erschließen. Die teilprivatisierte Rente bedeutet für Hunderttausende Rentner*innen Altersarmut. Und mit den Bankenrettungen in der Finanzkrise wurden Verluste sozialisiert, während die Gewinne in privater Hand blieben. Empörung darüber? Weitgehend Fehlanzeige. Es wurde ja kein Recht verletzt, nichts Illegales gemacht – mithin das, womit man Korruption gemeinhin verbindet und worüber sich leicht empören lässt.
Für die CDU, die sich selbst als wirtschaftskompetent sieht, was nur auf ihre wohlbekannte Überschneidungen mit Kapitalinteressen verweist – Schwarzgeldkassen, Drehtür-Effekt, Widerstand gegen einen »gesetzlichen Fußabdruck« – kam die Maskenaffäre zur Unzeit: möglicherweise vor einer dritten Corona-Welle und kurz vor den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Das erklärt die besondere Härte, mit der die Unionsfraktionsführung auf die Vorfälle reagiert.
Es liegt der Verdacht nahe, dass die Stilisierung von Nüßlein, Löbel und Co. als Sündenböcke für das Versagen in der Corona-Pandemie herhalten muss. Je doller die moralische Empörung über sie, desto stärker rückt in den Hintergrund, dass die unionsgeführte Regierung beim Schutz der älteren Heimbewohner*innen, bei der Beschaffung von Massentests und vor allem beim Impfen versagt.
aus: analyse & kritik 669, 16.3.2021