Anlässlich der Ankündigung der Europäischen Zentralbank (EZB) von 2016, die 500-Euro-Noten allmählich aus dem Verkehr ziehen zu wollen, bekundete der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU): Er kenne niemanden, der das Bargeld abschaffen wolle. Eine Beteuerung, die hellhörig machen sollte. Knapp fünf Jahre später sorgt die EZB mit ihren Überlegungen zur Einführung eines digitalen Euros für Aufsehen. Wäre die Einführung von digitalem Zentralbankgeld (Centrak Bank Digital Currency, CBDC) das Aus für das Bargeld? Ausgemacht ist das noch nicht. Erst im Frühjahr entscheidet die EZB, ob und – wenn ja, wie – der digitale Euro kommt. Und von der Abschaffung des Bargeldes, versichert die EZB, könne ohnehin keine Rede sein. Dennoch ist klar: Mit dem digitalen Euro ginge es diesem an den Kragen.
Ist das schlecht? Lebte Dostojewski noch, würde er, »Ja, doch!« sagen. Für ihn war Bargeld geprägte Freiheit. Ja sagen auch jene, die – mit guten Gründen – die Fahne des Datenschutzes hochhalten. Ein digitaler Euro würde ohne Zweifel die Überwachungsmöglichkeiten potenzieren.
Welche Gründe für den digitalen Euro führt die EZB an? Dieser würde ein schnelles, einfaches und sicheres Zahlungsmittel für den alltäglichen Zahlungsverkehr sein, die EU-Wirtschaft in ihrem Übergang in »das digitale Zeitalter« unterstützen, »Innovationen im Massenzahlungsverkehr aktiv fördern« und die »finanzielle Inklusion« fördern. Kritiker*innen monieren, dass sicher und schnell auch heute schon digital bezahlt werden kann und finanzielle Inklusion eher von guten Löhnen und sozialer Absicherung abhängt. Seit der Corona-Pandemie wird auch der Hygieneaspekt als Pro-Argument für digitales Geld genannt. Doch dass sich jemand an einem Zehn-Euro-Schein mit dem SARS-Cov-2-Virus infiziert hat, ist nicht belegt.
Mehr dran ist an dem EZB-Argument, dass ein digitaler Euro verhindern würde, dass der Euroraum von digitalen Zahlungsmitteln außerhalb der EU abhängig wird. Diese könnten unter Umständen die finanzielle Stabilität und geldpolitische Souveränität der Währungshüter*innen in Frankfurt untergraben. Dieser Satz ist ohne Facebooks Ankündigung von vor zwei Jahren, eine eigene digitale Währung namens Libra einzuführen, nicht verständlich. Das hat die Zentralbanken und Regierungen weltweit aufgeschreckt. (ak 651) Denn Facebook mit seinen über 2,5 Milliarden Nutzer*innen wäre mit einer Privatwährung eine Riesenkonkurrenz zu den nationalen Zahlungsmitteln. Der Widerstand seitens der Nationalstaaten und ihren Zentralbanken war entsprechend heftig. Inzwischen hat Facebook sein Projekt entschärft und umbenannt. »Diem«, so der neue Name, soll nur noch ein Zahlungssystem sein und staatliche Währungen digital repräsentieren.
Spätestens seit dem Libra-Schock stellen weltweit Zentralbanken verstärkt Überlegungen zu einer eigenen digitalen Währung an. In Schweden, China und der Schweiz wird bereits experimentiert, und die Bahamas und Uruguay haben schon digitales Zentralbankgeld. Niemand will mit seinem Projekt zu spät kommen und damit die eigene Währung schwächen.
Die Sorge um das Geldmonopol des Staates angesichts der »Plattformisierung des Geldes« ist nachvollziehbar. Allerdings unterschlägt die EZB, dass sie dieses im Grund schon verloren hat – und zwar an die privaten Banken. Euronoten und Münzen, die von der Zentralbank ausgegeben werden, stellen nur rund zehn Prozent der Geldmenge dar. 90 Prozent werden von Geschäftsbanken aus dem Nichts geschöpft. Und zwar per Kredit, der gegen Zinsen an Unternehmen oder Privatpersonen vergeben wird. Dieses sogenannte Giral- oder Buchgeld entsteht elektronisch per Eintrag auf dem Girokonto und stellt nur ein Versprechen dar, es in Bargeld einzutauschen. Wollten alle Kund*innen einer Bank ihr Geld abheben, wären diese pleite.
Abhängig davon, wie der digitale Euro tatsächlich einmal ausgestaltet sein wird – bekäme etwa jede*r ein Konto bei der EZB? –, könnte dessen Einführung potenziell ein Substitut für das Giralgeld sein – und damit ein Versuch, die Geldschöpfungsmacht des Staates wiederzubeleben. Doch gerade das, was an prominenter Stelle auf der EZB-Seite noch als offen dargestellt wird, wird unter dem ausklappbaren Feld »Mögliche Auswirkungen eines digitalen Euro« relativiert: »Zu vermeiden wäre, dass der digitale Euro in großem Stil als Anlageform genutzt und dass damit einhergehend Bankguthaben plötzlich massiv in den digitalen Euro umgeschichtet werden. Der digitale Euro müsste über beaufsichtigte Intermediäre zur Verfügung gestellt … werden.« Womit das lukrative Spiel der Geldschöpfung für die Geschäftsbanken weiterginge.
aus: analyse & kritik 669, 16.3.2021