Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Von Johannes Bähr, Axel Drecoll, Bernhard Gotto sowie Kim C. Priemel, Harald Wixforth, hrsg. durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München 2008, 1018 S., 64,80 Euro
Der Stern der Bundesrepublik Deutschland im 60. Jahr ihrer Existenz könnte nicht heller strahlen. Einen besseren deutschen Staat scheint es nie gegeben zu haben. Das vorherrschende Muster dieser Interpretation erfolgt dabei folgendermaßen: Umso schlechter man die so genannten beiden deutschen Diktaturen – Nationalsozialismus und DDR – zeichnet, umso besser erscheint die Bundesrepublik. Kritische Stimmen gibt es nur selten, Anlässe zur Kritik indes reichlich. Zum Beispiel im Umgang der BRD mit dem Nazi-Faschismus, als dessen Rechtsnachfolger sie sich versteht. Blenden wir zehn Jahre zurück: In der Öffentlichkeit tobte damals – fünf Jahrzehnte zu spät und erst als Sammelklagen aus den USA drohten – eine Debatte über die Entschädigung der Zwangsarbeiter während der faschistischen Diktatur. Immerhin gingen die Opfer diesmal nicht ganz leer aus – vorausgesetzt sie hatten bis dahin noch nicht das Zeitliche gesegnet. Doch ging es der deutschen Industrie und der Politik weniger um diese viel zu geringe Entschädigung als vielmehr um die »Rechtssicherheit« vor weiteren Klagen. Der Wirtschaftshistoriker Thomas Kuczynski zeigt in seiner Studie »Brosamen vom Herrentisch« (Berlin 2004), dass sich der Gewinn durch Lohnraub auf ca. 40% der während des Krieges getätigten deutschen Bruttoinvestitionen beläuft. Mit anderen Worten: Das, was heute im Supergedenkjahr 2009 erneut als deutsches Wirtschaftswunder gefeiert wird, beruht auch auf der tödlichen Auspressung der ausgebeuteten Zwangsarbeiter. Nicht die vereinbarten 8,1 Mrd. DM Entschädigung, sondern bis zu 228 Mrd. DM vorenthaltene Löhne ständen den ehemaligen Arbeitssklaven insofern zu. Dass die 8,1 Mrd. der deutschen Industrie noch zu viel waren und manche die Zahlung (Empfehlung: ein Tausendstel des Jahresumsatzes!) verweigerten, verwundert daher nicht.
Prominentestes Beispiel war der Neffe und Erbe des Gründers des Flick-Konzerns, Friedrich Christian Flick. Dabei steht der Flick-Konzern wie kaum ein anderer für die Komplizenschaft der deutschen (Groß)Industrie mit den Verbrechen der Nazis. Das kann man detailliert in der voluminösen mit vielen Quellen ausgestatteten Studie »Der Flick-Konzern im Dritten Reich« nachlesen. Die Autoren beschreiben, wie der Unternehmenspatriarch Friedrich Flick seinen Konzern durch die Weltwirtschaftskrise von 1929ff. brachte: durch die geschickte Streuung von Gerüchten, dass die Gefahr einer ausländischen Übernahme drohe. Damit erzwang er, dass die Reichsregierung Teile des Konzerns zu überhöhten Preisen aufkaufte. Als 1933 die Nazis die Macht übergeben bekamen – die Studie benutzt tatsächlich den Begriff Machtübergabe, und deutet damit implizit an, dass es ohne das Bündnis zwischen Konservativen und Nazis nie so weit gekommen wäre – hatte Flick diese schon seit einem Jahr in seine politische Landschaftspflege miteinbezogen, wenngleich er die Konservativen weitaus stärker bedachte. Gleichwohl zögerte er keinen Augenblick, sich den Nazis anzudienen; 1937 wurde Flick Parteimitglied. Er erkannte früher als andere, dass der Nazi-Spuk nicht von kurzer Dauer sein würde. Sein Verhältnis zu den Faschisten verstand er als eines von Geben und Nehmen. Das zahlte sich aus: Flick war im Dritten Reich so erfolgreich wie kein anderer Eigentümerunternehmer. Herausragende Beispiele dafür sind etwa die Arisierungen des Hochofenwerkes Lübeck und die Übernahme der Petschek-Konzerne. »Kein anderer Vertreter der privaten Schwerindustrie hat von der nationalsozialistischen Rassenpolitik so sehr und so bedenkenlos profitiert wie Friedrich Flick bei diesen Geschäften«, stellen die Autoren fest. Die Raffinesse Flicks bestand bei der Petschek-Übernahme darin, darauf zu drängen, den Konzern von den staatseigenen Reichswerken übergeben zu bekommen, so als ob er sich des verbrecherischen Aktes bewusst war und eine eventuelle strafrechtliche Verfolgung voraussah. Auf diese Weise konnte er auf staatlichen Druck verweisen, der ihm den Konzern quasi aufgenötigt habe. Genau das sollte er in dem Nürnberger Nachfolgeprozess u.a. zu seiner Verteidigung anführen.
Flick antizipierte die nationalsozialistische Politik nicht nur und arbeitete ihr nicht nur entgegen, in manchen Fällen trieb er sie gar voran. So nach dem Anschluss Österreichs: Der »Ariseur mit staatlichem Mandat« drängte nun auf die beschleunigte Einführung von Bestimmungen, die die Arisierung nochmals forcierten. Umgehend ließ er seinen Anwälten einen entsprechenden Gesetzesentwurf ausarbeiten. Und siehe da: Kurz darauf erhielt er durch die Naziregierung tatsächlich Gesetzeskraft. Allerdings mussten Flicks Bestrebungen auch Rückschläge hinnehmen. Bei den Eroberungen im Osten kam er nicht in der Weise zum Zuge, wie er es gern hätte. Vorrang im schwerindustriellen Sektor hatten hier die staatseigenen Reichswerke Hermann Göring. Im Gegensatz zu den Berliner Großwerken konnte er, wie auch die anderen Montankonzerne, die Ausbeutung der eroberten Gebiete nicht wesentlich mitgestalten. Keineswegs heißt das, dass er nicht etwa von der Versklavung der dortigen Bevölkerungen profitierte. Im Gegenteil: Die enorme Ausweitung der Rüstungsproduktion sorgte dafür, dass Flick seine Betriebe ohne den Einsatz der so genannten Fremdarbeiter gar nicht aufrechterhalten konnte. Im Schnitt bestand die Hälfte der Belegschaft in den Kriegsjahren aus Zwangsarbeitern, in absoluten Zahlen 60-65.000.
Flicks Verhältnis zum NS-Regime lässt sich nicht auf eine Formel bringen. Er durchschaute die NS-Herrschaftsstruktur als – wie es in der NS-Forschung heißt – polykratische. Das heißt, dass neben offiziellen Ämtern, Ministerien etc. neue auf persönliche Ermächtigungen von Hitler beruhende Machtinstanzen entstanden. In der Studie wird die Beziehung zu Hermann Göring, dem Chef der Reichswerke, als Musterbeispiel beschrieben. Das hatte er anderen Unternehmern voraus, und deshalb profitierte er überdurchschnittlich, obgleich seinem Einfluss dadurch auch Grenzen gesetzt waren. Zu Albert Speer etwa konnte Flick keinen guten Draht aufbauen.
Die US-Besatzungsmacht klagte Flick als Exponenten der Schwerindustrie an, verurteilte ihn zu sieben Jahre Gefängnis, von denen er nur fünf absitzen musste. Der Konzernführer verstand es geschickt, seine Verteidigung auf eine »Opferkette« aufzubauen: Zunächst sei er Opfer des Zwangs der Nazis (dazu diente u.a. das oben angesprochene Manöver), dann der Sowjetunion, durch die er einen Großteil seiner Unternehmen in den von der Roten Armee besetzten Gebieten verloren hatte, und schließlich der Siegerjustiz der Alliierten geworden. Der Kalte Krieg war bereits ausgebrochen, die Tradition des Antikommunismus in die Bundesrepublik übergegangen. Die Öffentlichkeit war mithin nicht nur bereit, ihm hierin Recht zu geben, sondern sie und die Politik sprang Flick sogar tatkräftig zur moralischen Rehabilitierung bei. Er, die anderen Großkonzerne, ja eigentlich fast alle Deutsche waren doch alle irgendwie Opfer des totalitären Gewaltherrschers Hitlers geworden. Und im Osten – auf deutschem Boden – hatte ein zweiter Tyrann – Stalin – seine Herrschaft ausgebaut und konsolidiert, der es entgegenzutreten galt.
Flick verinnerlichte die Vorgaben der NS-Politik, prägte sie gelegentlich, doch er war kein überzeugter Nationalsozialist und Antisemit. Und das ist im Grunde genommen das viel Erschreckendere: Sein grundlegendes Motiv war die Machtausweitung seines Konzerns. Dieser ökonomischen Rationalität, die dem Konkurrenzkampf in kapitalistischen Gesellschaften entspringt, ordnete er alles unter. Insofern ist sein Verhalten gar nicht so verschieden von vor 1933 und nach 1945 gewesen. Diese Kontinuität arbeitet die Studie gut heraus. Man kann ihr, wie das geschehen ist (Deutschlandradio 30.7.2008), einen mangelnden anklagend-moralischen Ton vorwerfen – doch spricht die Aufbereitung dieser handlungsleitenden Kontinuität für sich: Sie ist uns wohlbekannt.
Postscriptum: Mittlerweile ist eine weitere Studie zu Flick erschienen: »Flick. Der Konzern, die Familie, die Macht«, verfasst von Norbert Frei u.a. (München 2009). Sofern das Interview mit Frei in der SZ (22.9.2009) die Quintessenz des Buches zusammenfasst, lässt sich sagen: Das Buch unterstützt viele der hier referierten Thesen, spitzt die Kritik an der Bundesregierung in Sachen Restitutionsverhandlungen aber zu, indem Frei von »antisemitischen Stimmungen« in der Adenauer-Regierung spricht. Und Frei weist zu Recht darauf hin, dass die Dämonisierung der Einzelperson Flick verschleiere, dass die gesamte deutsche Großindustrie sich auf die Nazis eingelassen habe. Nach Adam Toozes hervorragenden Generaluntersuchung über die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus (vgl. Sozialismus 2/2008) liegen nun also zwei Einzelstudien vor, die auch der marxistischen Faschismusforschung neue Impulse geben könnten.
(aus: Sozialismus 11/2009)