Filmkritik: Full Metal Village

Ein bekanntes Loblied über die Errungenschaften der Bourgeoisie hebt unter anderem hervor, dass sie enorme Städte geschaffen und „so einen bedeutenden Teil der Bevölkerung dem Idiotismus des Landlebens entrissen“ habe. Wer will, kann diesen Idiotismus anderthalb Jahrhunderte später in dem Dokumentarfilm „Full Metal Village“ von Sung-Hyung Cho erkennen: In dem schleswig-holsteinischen Dorf Wacken, bekannt durch sein jährliches Open Air, zu dem Metal-Fans aus aller Welt anreisen.
Der erste Teil des Films unternimmt kursorische filmisch-ethnologische Erkundungen, indem die Regisseurin teils mit Mitteln des klassischen Dokumentarfilms teils in Interviewform ein paar Dorfbewohner bei ihren alltäglichen Beschäftigungen begleitet bzw. sie zu Themen wie Ehe, Liebe Partnerschaft, Landwirtschaft befragt. Dabei nähert sich Cho ihrem Sujet naiv-neugierig. Niemals entsteht der Eindruck, dass hier die Bestätigung von Klischeebildern die Absicht ist. Das wäre einfach zu haben gewesen. Denn die unvoreingenommene Aufzeichnung der Bilder täuscht nicht darüber hinweg, dass Klischees im Allgemeinen und über das Landleben im Besonderen ihre reale Ursache haben. Diese werden auch in dem Film hinter der grundsympathischen Darstellung der Personen offenbar: Religiosität, Enge, kulturelles Hinterwäldlerturm, das Fluchtmotiv, Idylle und auch Rassismus (freilich beileibe kein ländliches Problem). Da ist der Bauer Tede mit der sprichwörtlichen Bauernschläue und einem unverkrampft-derben Humor. Sein Leitspruch lautet: Man muss auf das Geld zugehen, und ihm nicht hinterherlaufen. Damit hat er Erfolg. Die Idee, seine Nebeneinkünfte mit einer Biogasanlage aufzubessern – anfangs nur belächelt – hat sich bewährt. Auch den zeitweiligen Vorzügen des Finanzmarkt-Kapitalismus weiß er sich zu bedienen. Seine Börsengeschäfte laufen recht gut, so kann er abends in der Dorfschenke regelmäßig einen ausgeben. Auf die Frage, wie es mit seiner Ehe so laufe, antwortet er: Gut, er habe nämlich ein oder zwei Freundinnen, so könne er seine Frau in dem schon fortgeschrittenen Alter schonen. Bauer Plede hat diesen Ehrgeiz nicht. Während er darauf wartet, dass die Milch aufgewärmt wird, raucht er eine, und schaut, was die Nachbarn so machen oder eben auch nicht. Sein Kommentar: So macht Landwirtschaft Spaß.
Die 16jährige Katrin bringt das Fluchtmotiv zum Ausdruck – wenn auch verhalten und gut überlegt. Gern würde sie mal weg, in den Süden, zum Beispiel nach Bayern. Ihre Model-Ambitionen schätzt sie nüchtern ein. Besser ist es, was zu lernen. Die Religiosität ihrer aus Ostpreußen vertriebenen Oma findet sie krank. Da sei es doch normaler, sich schwarz anzuziehen und auf das Metal-Festival zu gehen, wovon die Oma wiederum sagt, dass das Satanisten seien. Die Oma erzählt viel von ihrer Flucht, was das Interesse ihrer Enkelin an der Geschichte des Nationalsozialismus geweckt hat. Ihr Traum ist es, einmal eine Stunde des Dritten Reiches zu erleben.
Familienvater Norbert, Mitinitiator des Festivals, doch dann wegen Familie ausgestiegen, ist bereits seit drei Jahren arbeitslos. Auf eine Umschulung – „irgendwas mit Computer“ – will er sich nicht einlassen. Vielmehr hofft er darauf, dass die Polen und Weißrussen verschwinden und er wieder als Zimmermann arbeiten kann. Das erzählt er völlig unbefangen mit einer sympathischen Art. Das macht die produktiven Widersprüche dieses bemerkenswerten Dokumentarfilms aus.
Der zweite Teil widmet sich dem schon in Gesprächen angedeuteten Thema: das Wacken-Open Air. Dokumentiert werden die Vorbereitungen dieses jährlich mit 40.000 Gästen stattfindenden Mega-Events und dieses selbst. Die komplette Dorfbevölkerung Wackens packt mit an, als Ordner, Thekenkräfte und danach als Müllsammler. Doch auch das gemeinsame Feiern findet statt. Der örtliche Spielmannzug unterhält nämlich nicht nur die älteren Dorfbewohner, sondern bringt auch die Headbanger zum Tanzen. Es zeigt sich, dass die Metalfans den Dorfbewohnern nur scheinbar so gegensätzlich sind. Beide sind aufeinander angewiesen: In der gemeinsamen Durchführung des Festivals wird die Identität des Dorfes konserviert, die wiederum den Musikfans ihren Ausbruch aus dem Alltag sichert.

(aus: Sozialismus 7-8/2007)

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