Sonnenstich

Die EU-Kommission prüft, ob sie Strafzölle auf chinesische Solarzellen verhängt. Protektionismus und Freihandel als Musterbeispiel für das Messen mit zweierlei Maß.

Die Doppelmoral der Herrschenden ist immer wieder erstaunlich. Nachdem 25 europäische Solarunternehmen eine Beschwerde bei der Europäischen Kommission mit dem Ziel eingereicht haben, sie mit Anti-Dumping-Zöllen vor angeblich unlauteren chinesischem Wettbewerb zu schützen, äußerte Umweltminister Peter Altmaier (CDU): Es müsse bei der Produktion von Solarmodulen einen fairen Wettbewerb auf dem Weltmarkt geben.
Fair nach Altmaier heißt folglich: Solange die deutschen Unternehmen Profite einfahren, ist alles gut. Drohen sie auf die Verliererseite zu geraten – und das sind die deutschen Solarhersteller angesichts der jüngsten Insolvenzwelle bereits in der Tat – liegt das an der Dumpingkonkurrenz und es wird mit dem Finger auf die Chinesen gezeigt. Frank Asbeck, Chef von Solarworld aus Bonn, einem der klageführenden Unternehmen, warnt seit Jahren vor dem Konkurrenten China. Kürzlich ließ er verlautbaren, China habe einen Industriekrieg begonnen und versuche, den Rest der Welt aus dem Markt zu drängen. Ausgeblendet wird dabei, dass der deutsche Staat durch sein Erneuerbares Energien-Gesetz (EEG) genau das getan hat, was man nun den Chinesen vorwirft: Subventionierung einer auf den Export ausgerichteten Kapitalfraktion. Um Umweltschutz und die Abmilderung des Klimawandels durch die Ersetzung von fossilen Energieträgern durch regenerative geht es dabei nur nachrangig. Süffisant hieß es aus China, die europäischen Firmen hätten sich auf dem Ruhekissen staatlicher Förderung ausgeruht und erwachten nun aus ihrem Dornröschenschlaf, der Ausbau regenerativer Energiegewinnung könne damit aufgehalten werden. Die dem freien Welthandel verpflichtete Wirtschaftswoche kommentierte »Ist Asbeck durchgeknallt?«
Das freilich ist er nicht. Er sorgt sich lediglich um das Überleben seines Unternehmens und nimmt dafür auch in Kauf, dass er in Konflikt mit marktliberalen Grundsätzen kommt.
Kaum berücksichtigt wird darüber hinaus, dass auch die chinesischen Unternehmen sich in einer Krisensituation befinden. Recherchen der FAZ (28.8.2012) zufolge wiesen im ersten Quartal alle acht großen Anbieter von Solarzellen aus der Volksrepublik Millionenverluste aus. Der Grund: Überkapazitäten, verringerte Subventionen im Westen und auch die Aufwertung des Renminbi (Yuan).
Es geht um eine Menge Geld: Im Jahr 2011 verkauften chinesische Hersteller in Deutschland Solarmodule im Wert von 21 Mrd. Euro. Die EU-Kommission beschäftigt sich somit mit dem größten Anti-Dumping-Fall ihrer Geschichte. Ihr Spielraum ist groß: Sie kann schon in zwei Monaten vorläufige Strafzölle auf chinesische Importe verhängen. Die Vereinigten Staaten haben das vor kurzem in einer Höhe von 250 Prozent bereits getan. Für ein endgültiges Urteil kann sich die Kommission Zeit bis Dezember nächsten Jahres lassen. Die Chancen stehen etwas besser als fifty-fifty, dass es tatsächlich zu einer Verhängung von Zöllen kommt.
An diesem Beispiel lässt sich neben der Angst des Westens vor dem aufstrebenden Konkurrenten aus Nahost, der insbesondere seit der Weltwirtschaftskrise von 2007ff. mit seinen Wirtschaftswachstumsraten neidische Blick auf sich zieht, Folgendes anschaulich ablesen: das Messen mit zweierlei Maß, wenn es um die Themen Freihandel und Protektionismus geht.
Generell wird im Zeitalter des globalisierten Kapitalismus von der ökonomischen Elite das Hohelied auf den mutmaßlich für Wohlstand und Wachstum sorgenden Freihandel gesungen. Besonders gut konnte man das vor wenigen Jahren im Zuge des Wirtschaftseinbruchs beobachten. Allenthalben wurde von Staatenlenkern und der veröffentlichten Meinung die Ansicht kund getan, nun keinesfalls protektionistische Maßnahmen zu ergreifen und alles dafür zu tun, den weltweiten Freihandel zu befördern. Es drohe ansonsten eine wirtschaftliche Katastrophe, wie es sie zuletzt im Zuge Weltwirtschaftskrise von 1929ff. gegeben habe.
Entgegen dieser Rhetorik pflegen die industrialisierten Staaten jedoch einen pragmatischen Umgang mit freihändlerischen und protektionistischen Praxen. Solange bestimmte Konzerne und Industriezweige nicht reif für den rauen Weltmarkt sind, werden sie geschützt. Sobald sie aber überwiegend den globalen Wettbewerbsbedingungen standhalten können, wird der Freihandel gepredigt, weiterhin werden jedoch insgeheim die (noch) unterlegenen Branchen geschützt. Das konnte man in letzter Zeit beispielhaft an der Politik der EU (und der USA) beobachten, die ihre Landwirtschaften stark subventionieren und ihre Märkte eben kaum der Konkurrenz aus den aufstrebenden Schwellenländern öffnen. Die Konsequenz: Afrikanische Märkte werden mit tiefgekühlter europäischer Ausschussware überschwemmt, in deren Folge z. B. die ghanaischen Hühnerzüchter ihre Produktion einstellen und als neue Slumbewohner in den Megacities ihr Dasein fristen müssen. Historisch betrachtet war es so, dass die führenden kapitalistischen Länder die meiste Zeit eine überwiegend protektionistische Praxis verfolgten. Protektionismus war sogar oftmals die Voraussetzung für Industrialisierung und wirtschaftliche Entwicklung, wie der südkoreanische Wirtschaftswissenschaftler Ha-Joon Chang in seinem Buch »Bad Samaritans. The Guilty Secrets of Rich Nations and the Threat to Global Prosperity« aufzeigt. England zum Beispiel habe 150 Jahre lang Protektionismus betrieben. Chang fasst dieses Phänomen mit dem Ausdruck »kicking away the ladder«: Das Mittel Protektionismus, mit dem die sogenannte Erste Welt ihren ökonomischen Aufstieg geschafft hat, wird den anderen vorenthalten. Stattdessen wird ein freier Markt gepredigt und praktiziert, der, so Chang, stets die starke Tendenz habe, den Status quo zu bewahren.
Das Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie spricht daher von einer »im real existierenden Freihandel allenthalben waltenden Doppelmoral«, weil der »Norden dem Süden offene Märkte verordnet, aber selbst noch weit davon entfernt ist, seine eigenen Märkte zu öffnen«. Im Grunde geht es um Macht und Herrschaft und um ein Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnis, welches den entwickelten kapitalistischen Staaten und ihren global operierenden Konzernen weiterhin Absatzmärkte und Profite sichern soll.
Genau darum geht es bei der Auseinandersetzung um den drohenden Solarzellen-Handelskonflikt. Die um ihre Profitmargen und ihre Existenz bangenden europäischen Unternehmen lassen Fünfe gerade sein, verabschieden sich von der Freihandels-Rhetorik, die nur solange taugt, wie sie die überlegene Weltmarktsituation widerspiegelt, und wünschen sich protektionistische Maßnahmen – ein Zeichen von Schwäche. Die Meinung innerhalb der Solarherstellerzunft, wie auch in der Politik, ist dabei nicht einheitlich. Große, ebenfalls in die Solarherstellung involvierte Konzerne wie Bosch oder Wacker Chemie haben sich gegen Strafzölle ausgesprochen. Und Kanzlerin Angela Merkel meinte kürzlich auf ihrer China-Reise, dass Verhandlungen doch der bessere Weg seien.
Gut möglich, dass sie wie Bosch und andere im Gegenzug chinesische Zölle befürchtet, die die Chancen europäischer Konzerne auf dem chinesischen Binnenmarkt beeinträchtigen. Der Zugang zu diesem sei ja eh schwer, wie der Präsident der EU-Handelskammer Davide Cucino bei der Vorstellung eines aktuellen Positionspapiers der europäischen Wirtschaft in China, die fast zeitgleich mit der Einreichung der Beschwerde der Solarzellenhersteller stattfand, beklagte. Die Rhetorik des globalisierten Kapitals hört sich dann so an: »Ein fairer Marktzugang ist die wichtigste Zutat für diese Neuausrichtung.« Nur durch mehr Wettbewerb, so Cucino, können Chinas Unternehmen produktiver und kreativer werden. Das bedeute, dass sich China weiter für internationale Industrie und Dienstleister öffnen müsse.
Mal sehen, ob dieser segensreiche Wettbewerb auch weiterhin für die europäischen Solarhersteller gelten wird.

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