K-Gruppen

Andreas Kühn, Stalins Enkel, Maos Söhne. Die Lebenswelt der K-Gruppen in der Bundesrepublik der 70er Jahre, Campus Verlag, Frankfurt/New York 2005, 358 Seiten, 39,90 Euro

Die Totalitarismustheorie erfreut sich seit der Implosion der realexistierenden sozialistischen Staaten erneut großer Beliebtheit. Einer ihrer Befürworter – Ernst Nolte – konstatierte Anfang der 90er Jahre mit Genugtuung, dass kaum ein Begriff einen so überwältigenden Sieg im alltäglichen Leben errungen habe wie der des Totalitarismus. Doch nicht nur im alltäglichen Leben, sondern auch in der Wissenschaft ist das Totalitarismuskonzept, wenn auch nicht unumstritten, so doch weitgehend dominierendes Paradigma. Zahlreiche Studien und Institute sind ihm verpflichtet. Die ehemalige linksliberale Abwehrhaltung hat sich, nachdem sich ihr prominentester Vertreter, Jürgen Habermas, zum Antitotalitarismus bekannte, nahezu vollständig verflüchtigt. Ausnahmen wie gelegentliche Kommentare Franziska Augsteins in der Süddeutschen Zeitung bestätigen die Regel. Äußerungen in feuilletonistischen Debatten, wie die von Götz Aly im Zuge der Auseinandersetzung um Wolfgang Kraushaars Buch „Die Bombe im jüdischen Gemeindehaus“, wonach die Achtundsechziger ihren Eltern vor allem im Antisemitismus auf elende Weise ähnlich seien (Die Welt 16.07.05), sind Vermittlungen, die die Erkenntnisse wissenschaftlicher Arbeiten überspitzen und den Alltagsverstand prägen.

Eine solche wissenschaftliche Arbeit ist die Dissertation von Andreas Kühn „Stalins Enkel, Maos Söhne. Die Lebenswelt der K-Gruppen in der Bundesrepublik der 70er Jahre“. Axiomatisch setzt der Autor die Totalitarismustheorie als theoretische Grundlage seiner Untersuchung. An keiner Stelle des Buches wird diese Entscheidung begründet. So verwundert es nicht, wenn der Autor die K-Gruppen mit anderen totalitären Jugendbewegungen parallelisiert. Formulierungen wie „Erziehungsmethoden“, „Heidenkulturen“, „Mutterkreuzideologien“ oder „Führer- und Jugendverehrungen wie bei den Nazis“ und die Phrase von „rationaler Kälte, die den Technokraten des Reichssicherheitshauptamts gleichkam“, erinnern doch eher an Abrechnungsberichte von einstigen K-Gruppen-Aktivisten denn an eine seriöse wissenschaftliche Untersuchung.
Nicht nur solche Formulierungen sind problematisch, die zentrale Fragestellung der Arbeit selbst ist es. Sie lautet: „Wie konnte es dazu kommen, dass in einer Periode, die bis heute in der Öffentlichkeit als eine Ära der Reformen wahrgenommen wird, eine beachtliche Menge junger, intelligenter und zum Teil auch hochqualifizierter Menschen totalitäre Ziele anstrebte, weil sie die Reformierbarkeit der Gesellschaft verneinte?“ (15).

Die Konzentration auf totalitäre Ziele und Ideologie vernachlässigt eine Einordnung in die damaligen tatsächlichen gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse. Wenn Kühn von den 70ern als Reformperiode spricht und Willy Brandts Motto „Mehr Demokratie wagen“ offenbar positiv konnotierend erwähnt, fehlt der Hinweis, dass Brandt auch Repressalien wie den Radikalenerlass zu verantworten hat. Ob damit das Urteil des Autors über den Realitätsverlust der K-Gruppen hinsichtlich staatlicher Repression keine Grundlage mehr hat, ist fraglich, aber relativiert werden muss es.

Stark zweifelhaft erscheint ferner Kühns Antwort auf die Fragestellung seiner Arbeit, die den Generationenkonflikt der K-Gruppen gegen ihre nationalsozialistische Elterngeneration als Ursache dafür sieht, dass diese sich nun gleichsam einer totalitären Ideologie zuwandten: „Die Generation, die angetreten war, ‚Auschwitz’ zu verarbeiten, gebar eine Generationskohorte, die Konzentrationslager in der Sowjetunion Stalins, im China Maos oder im Kambodscha Pol Pots ausdrücklich rechtfertigte.“ (15) Neben der Verwischung der Unterschiede zwischen Konzentrations- und Vernichtungslagern, 68er Bewegung und K-Gruppen, ist das Hauptproblem, dass für Kühn, der auch hier der Totalitarismustheorie folgt – kommunistische bzw. marxistische und Nazi-Weltanschauung gleichermaßen inhuman sind. Insofern wird auch nicht der Widerspruch zwischen einer emanzipatorischen Weltanschauung, die dem Marxismus zugrunde liegt, und einer in der Tat terroristischen Praxis bspw. in der Stalin’schen Sowjetunion diskutiert.

Nichtsdestotrotz bietet die Studie einen interessanten Einblick in das Innenleben der K-Gruppen der 70er Jahre in der Bundesrepublik – vor allem da das Thema bislang ein Forschungsdesiderat ist. Kühn gibt einen organisationspolitischen Abriss der drei größten K-Gruppen KPD/ML, KPD/AO und KBW; sein Schwerpunkt liegt dem Anspruch nach jedoch auf der „Erschließung eines kulturellen Feldes“, „in welchem Faktoren wie Imagination und Historisierung, gleichsam die Verweigerung des Realen, die Hauptrolle spielen.“ (11) Als Quellenmaterial dienen autobiografisch-literarische Texte und Archivalien, in erster Linie die Zentralorgane der genannten K-Gruppen.

Eine adäquate Erforschung der K-Gruppen müsste das Verhältnis zur 68er-Bewegung in Hinblick auf Kontinuität und Bruch differenzierter bestimmen. Kühns Studie bietet zwar Material für künftige Forschungen, weist jedoch die bereits erwähnten Probleme auf.

(aus: Z.Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 68, Dezember 2006)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert