Antikommunistische Integrationsideologie

Offenbar sind einige Verfechter von Kapitalismus und repräsentativer Demokratie von der Überlegenheit ihrer Ordnung nicht sehr überzeugt. Andernfalls würden sie wohl kaum 16 Jahre nach dem unrühmlichen Ende der realsozialistischen Staaten befürchten, daß „sich ein Gefühl der Nostalgie in den Köpfen der jüngeren Generation als Alternative zur liberalen Demokratie festsetzen“ könnte, wie es in dem Entwurf zur Entschließung zur „internationalen Verurteilung der Verbrechen totalitärer kommunistischer Regime“ heißt (jW-Thema 30./31.01.06). Um dem vorzubeugen, schlägt das von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) am 25. Januar verabschiedete Papier vor, eine Bestandsaufnahme der Verbrechen des „totalitären“ Kommunismus vorzunehmen und denselben als Idee feierlich zu verurteilen. 
Dem Dokument liegt – das macht allein schon der Titel deutlich – die Totalitarismustheorie zugrunde. Daß diese in erster Linie antikommunistische Integrationsideologie, die ihre enorme Wirkkraft wesentlich dem Kalten Krieg verdankte, sich auch nach dem Ende der realexistierenden sozialistischen Staaten großer Beliebtheit erfreut, ist nichts neues. Bemerkenswert war hingegen der Versuch, die Verurteilung des Kommunismus auf Grundlage der Totalitarismustheorie zur gesetzlichen Grundlage der europäischen Staaten zu machen. Dieser Versuch mißlang jedoch, da auf der Sitzung der dem Europarat angeschlossenen Versammlung die notwendige Zweidrittelmehrheit verfehlt wurde. Doch weitaus bedeutender als die gesetzliche Verankerung der Totalitarismustheorie ist ihre kulturelle Hegemonie, d.h. ihre Verbreitung und Akzeptanz in Wissenschaft, politischer Publizistik, Zeitgeschichtsschreibung bis hinein in den Alltagsverstand. Daß die Totalitarismustheorie seit 1990 eine Renaissance erfährt und erneut „zur hegemonialen Ideologie der BRD“ (Roth 1999, 101) wurde, ist relativ unstrittig. In Wissenschaft, insbesondere in der DDR-Forschung, erscheint nur selten eine Studie, die nicht einer der zahlreichen Varianten des Totalitarismuskonzepts verpflichtet ist. Von staatlichen Stellen bezuschußte Forschungsinstitute wie das Hannah-Arendt-Institut in Dresden und der Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin sind dem Paradigma verbunden. Gedenkstättenkonzepte, etwa in Sachsen, wollen das Andenken an die Opfer der „zweiten deutschen Diktatur“ – so die eine Gleichsetzung mit dem Nazifaschismus suggerierende Bezeichnung für die DDR – mit denen des deutschen Faschismus gleichrangig behandelt wissen.
In der für den breiten Alltagsverstand wichtigeren Sphäre der vermittelnden und popularisierenden politischen Öffentlichkeit, den Debatten in Feuilletons, Politikerreden, Zeitungskommentaren etc. war die aufsehenerregende Debatte um das „Das Schwarzbuch des Kommunismus“ von 1998 nur die Spitze eines Eisberges, der von der Lebendigkeit der Totalitarismustheorie zeugte. Und jüngst erfährt sie nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 und im Zuge des sogenannten Karikaturenstreits mit der Debatte über den Islamismus als neuen oder dritten Totalitarismus einen Höhepunkt. Die Diskussion um das Manifest „Gemeinsam gegen den neuen Totalitarismus“ (Die Welt, 2.03.2006) zeugt hiervon.
Anlaß genug also, um einen kleinen Rückblick auf die Geschichte der Totalitarismustheorie, ihrer Kritik und der politischen Instrumentalisierung zu geben. Dieser wird zunächst die Entstehungsgeschichte des Konzepts sowie die zwei einflußreichsten Varianten, die von Carl Joachim Friedrich und Hannah Arendt skizzieren, um sodann die politische Wirkung in der Bundesrepublik und die Kritik an dem Konzept nachzuzeichnen. Vorab sei gesagt, daß – wie zu zeigen sein wird – nicht von einer Theorie im eigentlichen Sinne gesprochen werden kann, hier die Begriffe Totalitarismustheorie, -konzept, -begriff etc. jedoch synonym genutzt werden.

Entstehungsgeschichte
Die Ursprünge der Totalitarismustheorie liegen in der politischen Auseinandersetzung der italienischen Antifaschisten mit dem Faschismus Mussolinis. Der Begriff „totalitär“ wird als erstes von Giovanni Amendola Anfang der 1920er Jahre benutzt, um Faschismus und Bolschewismus gleichzusetzen. Auch in der deutschen Sozialdemokratie wurde das Adjektiv in dieser Weise verwendet. Das SPD-Organ Neue Zeit schrieb 1922, Faschismus sei lateinischer Bolschewismus. Die Entgegensetzung von Diktatur und liberal-demokratischem System findet sich somit bereits in embryonaler Form in der italienischen und deutschen Diskussion. Francesco Nitti, früherer italienischer Ministerpräsident stellte 1926 die These auf, daß „Bolschewismus und Faschismus (…) die zwei vollkommenen Verleugnungen des liberalen Systems und der Demokratie“ seien. Der Führer der katholischen Partei, Luigi Sturzo, spitzte die Gleichsetzung zu. Er könne „zwischen Russland und Italien nur einen einzigen Unterschied feststellen, daß nämlich der Bolschewismus eine kommunistische Diktatur oder ein Linksfaschismus ist und der Faschismus eine konservative Diktatur oder ein Rechtsbolschewismus.“ Auf der anderen Seite usurpierten die italienischen Faschisten das Adjektiv „totalitär“ und gebrauchten es – nicht zuletzt um somit ihre Gegner zu schwächen – affirmativ zur Selbstbezeichnung.
Erst mit der Machtübernahme der deutschen Faschisten 1933 allerdings fand die Bezeichnung der politischen Systeme in Italien, Deutschland und der Sowjetunion als totalitär eine weitere Verbreitung. 1939 fand die erste wissenschaftliche Konferenz statt, die sich der Analyse der Stalinschen Sowjetunion und des Nazifaschismus zum Thema setzte. Nicht zufällig wird diese Konferenz unmittelbar nach Abschluß des Nichtangriffspakts zwischen Hitler und Stalin organisiert. Die weltpolitische Lage schien zu diesem Zeitpunkt tatsächlich für die liberalen Demokratien in Großbritannien, Frankreich und den USA eine Gefahr darzustellen. Doch mit dem Überfall der faschistischen Wehrmacht auf die Sowjetunion 1941 war die erste Konjunktur des immer noch im Entstehen begriffenen Totalitarismusmodells bereits wieder Geschichte. Die bürgerlichen Demokratien befanden sich nun in einem Bündnis mit der Sowjetunion gegen das faschistische Deutschland. Eine Theorie, die während eines Krieges den Bündnispartner diskreditierte, war das letzte, was man brauchen konnte.
Insbesondere linke, deutsche Emigranten wie Franz Neumann und Ernst Fraenkel schrieben in dieser Phase wegweisende Studien, die den deutschen Faschismus analysierten. In diesen taucht gelegentlich auch das Wort totalitär auf. Das reicht allerdings nicht aus, diese – insbesondere den Marxisten Neumann – als Totalitarismusforscher zu charakterisieren, wie dies spätere Befürworter der Theorie taten, da sie den Begriff nicht komparativ benutzten, sondern ausschließlich in Bezug auf den Faschismus.
Der Ausbruch des Kalten Krieges, die Systemkonfrontation zwischen dem kapitalistischen Lager unter Führung der USA und dem sozialistischen Lager mit der Sowjetunion als Führungsmacht, hatte die weltpolitische Situation erneut grundsätzlich verändert. Die einstigen Verbündeten standen sich nun als Feinde gegenüber. Die Voraussetzung für ein erneutes Aufblühen der Totalitarismustheorie war somit gegeben.

Das statische Modell
Jetzt entstanden die wegweisenden, bald klassisch zu bezeichnenden, Werke mit wissenschaftlichem Anspruch. Unter Mitarbeit von Zbigniew Brzezinski verfaßte Carl Joachim Friedrich 1956 die ein Jahr später auf deutsch erschienene Studie „Totalitär Diktatur“. Ihre idealtypische Totalitarismuskonzeption war die in der Bundesrepublik einflußreichste. Sie wurde oft auf die Kommunismusforschung, im geringeren Ausmaße auf die Faschismusanalyse angewandt. Die ideengeschichtliche Herleitung des Totalitarismusmodells bei Friedrich war – wie er in einer späteren Ausgabe selber zugesteht – eher dürftig. Hypothese seines Buches ist, daß „die totalitäre Diktatur historisch einzigartig und sui generis ist und daß auf Grund der uns jetzt vorliegenden Tatbestände behauptet werden kann, daß die faschistischen und kommunistischen Diktaturen in ihren wesentlichen Zügen gleich sind, d. h. daß sie sich untereinander mehr ähneln als anderen Systemen staatlicher Ordnung, einschließlich älteren Formen der Autokratie.“ Friedrich betont jedoch, daß die totalitären Diktaturen nicht vollkommen gleich sind, in späteren Äußerungen hat er das erneut hervorgehoben. Folgende berühmten und immer wieder zitierten sechs Wesenszüge sind ihm zufolge totalitären Diktaturen gemeinsam: eine Ideologie, die sich auf alle wichtigen Bereiche des Lebens erstreckt, eine Massenpartei, die im alleinigen Besitz der formellen Herrschaft ist, eine terroristische Geheimpolizei, das fast vollständige Monopol über die Nachrichtenmittel in der Hand der Partei, das ebenso wie das Nachrichtenmonopol technisch bedingte Waffenmonopol und schließlich die zentrale Lenkung und Beherrschung der gesamten Wirtschaft. Methodisch handelt es sich um eine idealtypische, statische Bestimmung. Gesellschaftliche Veränderungen kann diese Theorie daher so gut wie nicht fassen.

Hannah Arendts Ansatz
Während die Theorie Friedrichs eine idealtypisch-statische ist, kann die Hannah Arendts als eine historisch-beschreibende charakterisiert werden. Auf ihr wurde und wird oft lobend Bezug genommen, wenngleich sie häufig mißverstanden wurde. In ihrem umfangreichen Werk „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ (1956) leitet sie die Formen des „totalitären“ Faschismus in Deutschland vornehmlich aus dem Imperialismus und Rassismus des 19. Jahrhunderts ab. Ihre detaillierte Untersuchung führt Arendt zu der These, daß eine soziale Schicht – von ihr als der Mob bezeichnet – ein Bündnis mit dem Kapital eingegangen ist. Dieser Mob sei bereits von den imperialistischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts instrumentalisiert worden und habe später den eigentlichen Kern des Faschismus gebildet. Der von Arendt untersuchte Rassebegriff, den sie als Lehre von einem von der Natur vorgeschriebenen Rassekampf, aus dem sich der Geschichtsprozeß, vor allem der Auf- und Abstiegsprozeß von Völkern ableiten läßt, sei ähnlich wie die marxistische Lehre des Klassenkampfes eine geschichtsmächtige Ideologie geworden. Drei Elemente sind nach Arendt für das Verständnis des Totalitarismus zentral. Zum einen die Erkenntnis, daß der Antisemitismus durch den Rassismus eine neue Qualität erfahren habe, zum anderen, daß es einen spezifisch deutschen Rassebegriff gegeben habe, der „völkische und der Rassenideologie nah verwandte Elemente in sich aufgenommen hat.“ Und drittens, daß sich der moderne Rassegedanke mit der modernen Bürokratie verquickt habe.
Es fällt auf, daß im Zentrum Arendts Argumentation hauptsächlich die eine Seite des sogenannten Totalitarismus, nämlich der Faschismus steht. Lediglich in einem Abschnitt versucht sie, die Elemente totaler Herrschaft auch in der Sowjetunion zu erklären. Beide Systeme seien demnach Resultate der Klassenherrschaft und der hierauf folgenden Atomisierung der orientierungslos gewordenen Massen. Daraus entstehe das besagte Bündnis zwischen Mob und Elite. Kennzeichen dieser neuen Staatsform seien Ideologie und Terror. Arendt setzt somit, wie beispielsweise von Wolfgang Wippermann kritisiert wird, die rassenhygienischen Ziele des Nationalsozialismus mit den klassenkämpferischen der russischen Bolschewisten gleich. Unterschiede zwischen den nationalsozialistischen Vernichtungslagern und den sowjetischen Arbeitslagern werden von ihr nicht herausgearbeitet. Daß diese Parallelisierung auf schwachen Füßen ruht, war ihr offensichtlich bewußt, hat sie doch 1967 ihre Einschätzung der Sowjetunion nach Stalins Tod als totalitär revidiert.

Wirkung in der BRD
Allgemein diente die Totalitarismustheorie in der politischen Kultur der westlichen Staaten durch die Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus als Typen totalitäre Herrschaft zur ideologischen Waffe im Kalten Krieg. Ziel war die Diskreditierung des realexistierenden Sozialismus in Osteuropa. Durch den Verweis auf den Totalitarismus dort und die parlamentarische Demokratie im Westen wurde somit das eigene System legitimiert. Im wesentlichen war und ist das der Kern der Totalitarismustheorie. Natürlich spielte sie nicht in allen Staaten des Nato-Bündnisses dieselbe Rolle. In Frankreich etwa fand sie zunächst kaum Aufnahme in den Debatten der politischen Kultur. Das änderte sich mit dem sogenannten „Gulag-Schock“. Als die französische Ausgabe von Alexander Solschenizyn „Archipel Gulag“ erschien, gewann das Totalitarismusmodell in den 1980er auch dort an Einfluß.
In der BRD hingegen war sie von Anbeginn des Kalten Krieges weit verbreitet und hatte den Rang einer beinahe offiziellen Staatsdoktrin inne. Schon der Kern der bundesrepublikanischen Verfassung – die sogenannte freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO) – wird nicht positiv definiert, sondern laut des maßgeblichen Kommentars von Maunz/Herzog in negativer Abgrenzung zum „Totalitarismus“. Im Geist dieser Staatsdoktrin wurde der Adenauer-Erlaß 1950 beschlossen, die KPD 1956 verboten und der Radikalenerlaß 1972 unter Willy Brandt verabschiedet. Vor allem sind auch in diesem Zusammenhang die Richtlinien für die Behandlung des Totalitarismus im Unterricht vom 5. Juli 1962 zu nennen. Die Totalitarismustheorie drückte also dem politischen und kulturellen Leben in Deutschland einen besonderen Stempel auf. Das war zum einen in der Tatsache begründet, daß der Kalte Krieg in Deutschland intensiver geführt wurde als in anderen Staaten. Quer durch das ehemalige deutsche Reich verlief die Grenze des Kalten Krieges, hier die kapitalistische BRD, dort die sozialistische DDR. In der alten Bundesrepublik, vornehmlich in der Adenauer-Ära, war die Totalitarismustheorie zudem äußerst funktional, um eine Auseinandersetzung mit der eigenen faschistischen Vergangenheit zu vermeiden. Indem man anklagende auf den derzeit herrschenden „Totalitarismus“ im Osten deutete und diesen zu bekämpfen suchte, rückte der vergangene in den Hintergrund. Dabei konnte man an den nationalsozialistischen Antikommunismus anknüpfen. Arendts existenzphilosophische Passagen in „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ über das Verlassensein des einzelnen in der Massengesellschaft lieferten – gegen Arendts Intention – Argumente, die ehemaligen Nazis eine Brücke baute, sich nun mit Freuden dem „antitotalitären Konsens“ des Antikommunismus zu unterwerfen. (Roth 1998, 90)
Auch im Falle der Bundesrepublik zeigt sich, daß die Konjunkturen der Totalitarismustheorie von politischen Kontexten abhängig sind. Als mit der sozial-liberalen Koalition und mit Willy Brandts Ostpolitik eine Entspannung des Kalten Krieges eintrat, verloren die Gedanken Friedrichs, Arendts und anderer deutlich an Einfluß. Eine Delegitimierung der Sowjetunion und der DDR war genau das Gegenteil des herrschenden politischen Zeitgeistes. Hinzu kam noch eine andere Tatsache: Die 68er-Bewegung rief in der Bundesrepublik in den 70er Jahren eine kurze Blüte marxistischen Denkens an den Universitäten hervor, die Ausstrahlungskraft auf die ganze Gesellschaft hatte. In der Zeitgeschichts- und Politikwissenschaft ersetzte die (marxistische) Faschismustheorie das Totalitarismusmodell. Letzteres geriet auch durch die Sozialgeschichtsschreibung linksliberaler Historiker massiv unter Druck, so daß es – zumindest was die Wissenschaft betraf – als überholt galt. In den USA war der Konjunktureinbruch schon Mitte der 60er Jahre zu erkennen gewesen. Wesentlichen Anteil daran hatte die amerikanische Neue Linke. Sie deckte auf, daß die CIA als Organisationszentrum des „antitotalitären“ Diskurses mittels finanzieller Förderung von Zeitschriften und Organisationen in Europa fungierte (ebd., 91).
Als sich der Kalte Krieg mit dem Nato-Doppelbeschluß 1979, zu dem der sozialdemokratische Bundeskanzler Helmut Schmidt seine Zustimmung gab, erneut verschärfte, gewann prompt auch die Totalitarismustheorie in Wissenschaft wie politischer Öffentlichkeit an Boden. Nicht zuletzt Helmut Kohls geistig-moralisch Wende trug dazu bei. Kohls Berater, der Historiker Michael Stürmer, schien Gedanken Antonio Gramscis über die kulturelle Hegemonie aufgenommen zu haben, als er schrieb, „daß im geschichtslosem Land die Zukunft gewinnt, wer die Erinnerung füllt, die Begriffe prägt und die Vergangenheit deutet.“ Im Historikerstreit 1986, in dem der Historiker Ernst Nolte die These aufstellte, daß der bolschewistische Klassenmord der Bolschewiki das logische und faktische Prius des „Rassenmords“ der Nationalsozialisten sei, kulminierte dieser Kampf um die Begriffe. Der Kern der erbittert geführten Debatte waren Bestrebungen rechtskonservativer Geschichtswissenschaftler und Publizisten, den Totalitarismusansatz zu fördern, während Linksliberale, allen voran Jürgen Habermas, dies abzuwehren versuchten und einen antifaschistischen Ansatz vertraten. Ende der 1980er Jahre gingen Habermas und andere als Punktsieger aus der Auseinandersetzung hervor.

Renaissance nach 1990
Doch nur wenige Jahre später, mit dem Zusammenbruch des Sozialismus in Osteuropa, hatte sich die politische Situation zugunsten konservativer Kräfte verschoben. Die Totalitarismustheorie erlebte einen enormen Aufschwung. Ernst Nolte, einer ihrer Vertreter, faßte dies mit Genugtuung in die Worte: „Nie hat eine scheinbar theoretische Konzeption einen so überwältigenden Sieg im alltäglichen Leben errungen wie der Begriff des Totalitarismus, denn er taucht in allen relevanten Äußerungen auf, die im ehemaligen Ostblock bei der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gemacht werden […]“. Auf Grund der veränderten politischen Rahmenbedingungen bekannten sich nun ehemalige Kritiker wie Jürgen Habermas zum Antitotalitarismus. Die ehemalige linksliberale Abwehrhaltung hat sich heute bis auf wenige Ausnahmen verflüchtigt. Nur noch selten findet man in liberalen Publikationen eine grundsätzliche Kritik des Totalitarismusansatzes, wie sie unlängst etwa Franziska Augstein in Kommentaren übte (Süddeutsche Zeitung, 4.11.2005 u. 8./9. 4.2006).
Die Renaissance der Totalitarismustheorie nach 1990 bedarf der Erläuterung, erscheint sie doch auf den ersten Blick als paradox. Mit dem Ende des „Linkstotalitarismus“ in Osteuropa, so könnte man annehmen, habe die Theorie ihren Gegenstand verloren. Abwegig erscheint die Renaissance jedoch lediglich dann, wenn von der Dimension des kulturellen Kampfes um hegemoniale Deutungsmuster des vergangenen Jahrhunderts und eben der damit verknüpften Besetzung der Begriffe für die Zukunft abgesehen wird. Zur Absicherung der These vom „Ende der Geschichte“ (Fukuyama), die besagt, daß nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus nun die Prinzipien des Liberalismus in Form von Demokratie und Marktwirtschaft überall durchgesetzt würden, diente die reaktivierte Totalitarismustheorie zur nachträglichen wie prophylaktischen Diskreditierung jeglicher gesellschaftlichen Alternative zum Kapitalismus. Sie hatte somit eine anti-utopistische Funktion, denn nunmehr wurde und wird jede Absicht der grundlegenden Systemänderung bzw. der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates als totalitäre Bestrebung verleumdet. Insbesondere das Extremismuskonzept der Politologen Eckhard Jesse und Uwe Backes hebt hierauf ab und übernimmt somit die Terminologie des Verfassungsschutzes und anderer staatlicher Behörden.
Das wiedervereinigte, an politischen Einfluß gewonnene Deutschland meldete sich auf der Weltbühne zurück und suchte verstärkt seine Interessen durchzusetzen. Mit der verhängnisvollen Anerkennungspolitik von Kroatien und Slowenien trug es zur Eskalation der Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien bei. Schritt für Schritt trachteten die politischen Eliten danach, aus dem Schatten der Geschichte zu treten. Erst mit der Beteiligung an den Luftangriffen gegen Jugoslawien 1999 war die Maxime „Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen“ ad acta gelegt. Die Unterstützung für diesen Krieg in der Bevölkerung wurde u.a. mit der unsäglichen Begründung, im Kosovo ein neues Auschwitz verhindern zu wollen, erreicht. Der Entsorgung der Lehren aus der Geschichte Deutschlands in den diese Politik begleitenden und legitimierenden geschichtspolitischen Debatten lag mal mehr, mal weniger offenkundig die Totalitarismustheorie zugrunde. Mit dem Verweis auf die ja auch schlimmen Verbrechen des Kommunismus konnte der Nazifaschismus relativiert werden.
In der neuen BRD erwies sich die Theorie in den Jahren unmittelbar nach dem Anschluß der DDR des weiteren ebenso für ganz praktische Absichten funktional. Die Abwicklung der verblichenen DDR, insbesondere der Austausch ihrer Eliten durch zumeist westdeutsches Personal, wurde mit der Rede von „zwei Diktaturen“, „SED-Staat“ etc. ideologisch abgesichert. Später, als die von Helmut Kohl versprochenen blühenden Landschaften auf sich warten ließen, diente die Totalitarismustheorie zur „Beschwörung des ins Schlingern geratenen Einigungsprozesses“ (Roth 1999, 101). Die Funktion des Totalitarismuskonzepts nach 1989 in Deutschland kann mit dem Historiker Karl Heinz Roth wie folgt zusammengefaßt werden: „Sie wird die altbekannten Konstruktionen des objektiven Feinds als Versatzstücke benutzen, um die Geschichte des Kalten Krieges umzuschreiben, mit den Akteuren der Entspannungspolitik im eigenen Lager ex post abzurechnen, den Elitenwechsel in der DDR zu legitimieren, die dramatische Pauperisierung der Mehrheit der DDR-Bevölkerung zu rechtfertigen und sozialistische Alternativmodelle jeglichen Couleur auszugrenzen.“ (Roth 1998, 109)

Die Kritik
Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Totalitarismuskonzept kann sich nicht darauf beschränken, auf die politische Instrumentalisierung der Theorie im Kalten Krieg hinzuweisen bzw. die Theorie als Produkt des Kalten Krieges zu bezeichnen. Sie muß darüber hinaus immanente Kritik üben, um so auch die Überlegenheit von anderen theoretischen Erklärungen beweisen zu können. Hier soll auf wenige fundamentale Kritikpunkte eingegangen werden.
Die grundlegenden Probleme vor allem der statischen oder auch identifizierenden Variante der Totalitarismustheorie liegen in der Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus aufgrund rein formaler Ähnlichkeiten sowie in der normativen und ahistorischen Herangehensweise. Die Unterschiedlichkeit der Ziele und der weltanschaulichen Grundlagen ist nicht Untersuchungsgegenstand. Als normativer Ausgangspunkt dient der demokratische Verfassungsstaat, dem die totalitäre Diktatur gegenübergestellt wird. Dies ist besonders offenkundig im an Friedrich anknüpfenden Extremismuskonzept von Jesse und Backes. Doch gerade diese Entgegensetzung von parlamentarischer Demokratie und totalitärer Herrschaft kann sich – wie Hans J. Lietzmann in seiner 1999 veröffentlichten Studie „Politikwissenschaft im ‚Zeitalter der Diktaturen’“ zeigen konnte – nicht auf Friedrich berufen. Nicht den demokratischen Verfassungsstaat befürwortete der in die USA emigrierte deutsche Politikwissenschaftler als Abgrenzung zum Totalitarismus, sondern die konstitutionelle Diktatur. Ohne den politischen Hintergrund der Entstehung des Friedrichschen Konzeptes ist dies nicht zu verstehen. „Es ging ihm darum, die Legitimität einer ‚konstitutionellen Diktatur, als die er die amerikanische Militärregierung beschreibt, plausibel zu machen.“ (Lietzmann, 299) Wie Lietzmann ebenfalls zeigen konnte, steht Friedrich in der Tradition des Konservatismus der Weimarer Republik, insbesondere in der des Nazi-Kronjuristen Carl Schmitts. So ergibt sich – trotz aller historischen wie theoretischen Unterschiede – eine Kontinuität der politik-theoretischen Grundlage der Legitimation der Weimarer Notverordnungspraxis, der Rechtfertigung der Nazi-Herrschaft, der amerikanischen Besatzungspolitik sowie des bundesrepublikanischen Verfassungsstaats. In den Worte Lietzmanns: „Die Überlegungen zur Diktatur standen an der Wiege einer Theorie des Verfassungsstaates. Auch die gängige und im Kalten Krieg zur Gewohnheit gewordene Gegenüberstellung von ‚Totalitarismus’ einerseits, und ‚Demokratie’ andererseits, beruht deshalb auf einem populären, aber falschen Vorurteil. Friedrich zeichnet sein Bild der ‚totalitären Diktatur vielmehr aus der Perspektive seiner Option für eine ‚konstitutionelle’ Diktatur. Seiner Kerntheorie eines ‚benevolent despotism’ liegt aber gerade keine Demokratietheorie zugrunde.“ Lietzmanns Resümee lautet, daß „eine pluralistische Theorie der Demokratie – die umgangssprachlich als Alternative des Totalitarismus gemeint wird – auf ihrer Basis nicht zu haben (ist). Sie hat einen durch und durch autoritären Kern.“ (ebd., 303) Antitotalitarismus kann somit per se nicht demokratisch sein.

Relativierung des Nazismus
Ein zentraler und moralisch aufgeladener Einwand gegen die Totalitarismustheorie ist, daß sie die Singularität des Holocausts durch ihre Gleichsetzung negiert. Nun ist die Rede von der Singularität des Holocaust oder der Shoah selbst heftig umstritten. Sie reicht von der Aussage, daß alle geschichtlichen Ereignisse singulär sind bis zur Definition des Holocaust als singulär, weil diesem – Hannah Arendt zufolge – jedes utilitaristische Motiv fehle. Der Historiker Dan Diner wiederum sah die Singularität durch die Unerklärlichkeit – er nennt es black box – gekennzeichnet. Damit jedoch wird die Shoah aus ihren geschichtlichen Kontinuitäten herausgenommen, sie wird zu einem außergeschichtlichen, quasi mythischen Ereignis. Die Kontroverse kann an dieser Stelle nicht erschöpfend behandelt werden, sinnvoll erscheint es jedoch, eine wissenschaftliche und politisch-moralische Ebene zu unterschieden. Relevant für unser Thema ist vielmehr die Tatsache, daß Friedrich, Jesse und andere Vertreter des Totalitarismusansatzes nicht an der Erklärbarkeit der Judenvernichtung – ja nicht einmal an der des Expansions- und Vernichtungskriegs – interessiert sind (wenngleich rhetorisch die Singularität durchaus anerkannt wird). Gelegentlich wird das sogar explizit ausgesprochen. Insofern ist der Vorwurf gerechtfertigt, daß sie durch ihre Gleichsetzung von faschistischen und kommunistischen Verbrechen erstere, insbesondere aber die Vernichtung der Juden und Sinti und Roma, relativieren. Folgendes Zitat von Eckard Jesse spricht für sich: „Wer etwa (…) die Anwendung des Totalitarismusbegriffs wegen ‚struktureller Unterschiede’ zwischen dem Dritten Reich und der DDR ablehnt (nach Wolle [Stefan, Verfasser eines Buches über die DDR, mit dem Jesse sich auseinandersetzt, GS]: In dem einen System blieb die Wirtschaft privat organisiert, in dem anderen kam es zur Verstaatlichung; das eine System fand breite Zustimmung, das andere stützte sich auf die Bajonette einer Besatzungsmacht; das eine fing einen Krieg an und beging organisierten Massenmord, das andere nicht), wer so argumentiert, muß sich den Vorwurf gefallen lassen, offenkundig mit einem Popanz zu hantieren.“ (Jesse 1998, 7) Wer also – um Jesses Argument zuzuspitzen – den Unterschied von sechs Millionen ermordeter Juden und sechs Millionen Stasiakten für einen Popanz hält und damit das wesentliche Charakteristikum des Faschismus, insbesondere des deutschen, nämlich Massenmordprogramme und Vernichtungskrieg, negiert, der kann nicht ernstlich behaupten, daß das Totalitarismuskonzept auch nur annähernd als wissenschaftliche Theorie ernstgenommen werden kann. Die politische Instrumentalisierung des sich wissenschaftlich gebenden Ansatzes ist hier so deutlich wie selten erkennbar: Sie zielt auf die Relativierung des Nazifaschismus.

Form und Inhalt
Das alles bedeutet nicht, daß das Totalitarismuskonzept nicht durchaus den Fokus auf Probleme richtet, die gerade auch für eine an der grundsätzlichen Alternative zum Kapitalismus festhaltenden Linken von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind. Erst indem die Haltlosigkeit des Modells nachgewiesen wird, schafft die Linke die Voraussetzung, sich das besetzte Terrain selbst wieder anzueignen. In diesem Zusammenhang sind etwa folgende sowohl in der Stalinschen Sowjetunion als auch in Nazideutschland zu konstatierende ähnliche Phänomene zu nennen: das Streben nach umfassender Kontrolle, die versuchte Politisierung aller Aspekte des sozialen Lebens, die Rolle der Ideologie, das Motiv der Schaffung eines neuen Menschen, die simplifizierenden Freund/Feind-Schemata sowie die Propagierung eines historischen Determinismus.
Die Ähnlichkeiten betreffen jedoch nur die Form der Herrschaftsausübung, nicht das Wesen oder den Inhalt. Die grundsätzliche Schwäche der Totalitarismustheorie liegt demnach darin, daß sie eine Komponente der Dichotomie Inhalt/Form völlig vernachlässigt, nämlich Inhalt, Zweck und Intention, „um gleichzeitig die andere Komponente um so stärker hervorzuheben: Form, Mittel und Umsetzung von Herrschaftsprinzipien.“ (Erlinghagen/Wiegel, 157) Das Niveau wissenschaftlicher Analyse und Erklärung wird daher nicht erreicht, da die Aufgabe von Wissenschaft die Erklärung von Kausalbeziehungen und historischen Prozessen sein sollte. Gerade aber wenn man nach den historischen und sozial-ökonomischen Ursachen, nach der sozialen Zusammensetzung der Parteien und nach dem Verhältnis zur herrschenden Klasse der beiden „Totalitarismen“ gefragt wird, treten wesentliche Unterschiede zutage. Kurz gesagt, zielte das kommunistische Projekt in der Sowjetunion auf die völlige Umwälzung der alten politischen und sozialen Ordnung, „während der Faschismus und der Nationalsozialismus ‚nur’ auf die totale Zerstörung der politischen Ordnung aus waren (…), die ökonomische und soziale Ordnung aber nicht grundlegend veränderte.“ (Glaeßner, 928) Während Sozialismus und Kommunismus Versuche der Alternative zu Kapitalismus und Dominanz des Bürgertums darstellen, ist der Faschismus – wie Reinhard Kühnl es formulierte – eine andere Form bürgerlicher Herrschaft.
Neben dieser fundamentalen Kritik gibt es eine Reihe von partiellen Kritikpunkten. Vor allem einem sozialgeschichtlichen Ansatz verpflichtete Historiker, die über die Sowjetunion und Nazideutschland forschen, haben nachweisen können, daß das Schema Friedrichs zur Beschreibung der Realität keineswegs tauglich ist. Etwa existierte in der Sowjetunion keine effektive Gedankenkontrolle und der Marxismus-Leninismus als Ideologie war für das Leben der meisten Menschen irrelevant. Auch das Bild vom faschistischen Deutschland als perfekter Diktatur stimme, so Martin Broszat und Hans Mommsen, keineswegs mit der Wirklichkeit überein. Mommsen zeigte zudem, daß die Rolle der Wirtschaft und die Funktionen des Diktators und der Partei sehr verschieden waren. Des weiteren wurde darauf hingewiesen, daß die statische Totalitarismustheorie nicht den Wandel der kommunistischen Systeme erklären konnte, deren Reformfähigkeit unterschätzt und schließlich den Zusammenbruch des Realsozialismus nicht vorausgesehen hat.

Kritik des dynamischen Ansatzes
Die Kritik der weniger einflußreichen dynamischen Variante des Totalitarismusmodells, die auf Arendt zurückgeht und mit der Krise der statischen Variante und durch empirische Forschungen an Bedeutung gewann, soll hier nur kurz angesprochen werden. Generell ist ihr mehr Erklärungskraft über die historischen Entwicklungen und Dynamiken zuzugestehen. Ferner beschränkten sie den Totalitarismus auf bestimmte Phasen – zumeist auf die Sowjetunion bis zu Stalins Tod 1953 und den Faschismus. Die poststalinsche UdSSR, die DDR und die anderen osteuropäischen Staaten werden nicht als totalitär charakterisiert. Der britische Historiker Ian Kershaw, der neben Martin Drath und Martin Jänicke als Protagonist der dynamischen oder auch konflikttheoretischen Totalitarismustheorie gilt, will den Totalitarismus als Begriff verstanden wissen, der „das Struktur- und Systemlose in einer revolutionären Übergangsphase der modernen Diktatur in den Vordergrund“ stellt.
Doch auch hier stellt sich die Frage, ob die Gemeinsamkeiten der Herrschaftssysteme die Unterschiede überwiegen. Wenn – um bei Kershaws Argumentation zu bleiben – eine entscheidende Gemeinsamkeit das „Ausmaß des Angriffes auf die vorhandenen gesellschaftlichen und politischen Strukturen, das weitgehend durch die ideologische Dynamik des Regimes in seiner revolutionären Phase bestimmt wird“ (Kershaw, 216) ist, so ist auf folgendes bereits angesprochenes Argument hinzuweisen: Einen gleichermaßen heftigen Angriff auf die sozialen Strukturen hat es in Deutschland nach 1933 und in Rußland nach 1917 keineswegs gegeben, wenngleich freilich die Intensität der politischen Umwälzungen eher zu vergleichen ist. In Deutschland wurden im Gegenteil viele bereits zuvor existente Phänomene – wie Rassismus, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Kapitalismus etc. – aufgenommen und zugespitzt, während in Rußland tatsächlich eine umfassende soziale Revolution in Gang gesetzt wurde.
Mit einem Wort: Obwohl die dynamische Variante der Totalitarismustheorie mehr Erklärungskraft als die auf Friedrich zurückgehende hat, überwiegen doch auch hier bei näherer Betrachtung die Unterschiede der beiden gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse.

Fazit und Ausblick
Überraschend ist, daß selbst vehemente Verfechter des Totalitarismusansatzes sich der Plausibilität ihrer favorisierten Theorie nicht ganz sicher zu sein scheinen. Die Hochkonjunktur führen sie nicht auf wissenschaftsimmanente Fortschritte zurück, sondern auf außerwissenschaftliche, politisch-gesellschaftliche Faktoren. Im Gegenteil: Eckhard Jesse etwa konstatiert einen Forschungsbedarf (Jesse 1999, 20). Der allenfalls vorwissenschaftliche Charakter der Theorie bzw. ihre nur sehr geringe Erklärungskraft scheint auch einem jüngeren Vertreter wie Steffen Kailitz bewußt zu sein, wenngleich er sich eindeutig zum Totalitarismusbegriff bekennt. Fast schon mit resignierendem Unterton schreibt er: „Man würde sich vor allem etwas vormachen, wenn man glaubte, die Totalitarismusforschung könne konkrete Vorhersagen treffen, wie totalitäre Systeme entstehen, sich entwickeln und untergehen. Der Totalitarismusbegriff ist ein bedeutendes Instrument zur klassifikatorischen Analyse von Herrschaftssystemen. Mehr kann er vorläufig nicht und mehr braucht er auch nicht zu leisten.“ (Kailitz, 249) Mit anderen Worten: der Begriff ist ein „Catchword“ (Glaeßner), taugt jedoch nicht für theoretisch und politisch anspruchsvolle Reflexionen des 20. Jahrhunderts.
Wolfgang Kraushaar ist neben Klaus von Beyme, einem Schüler Friedrichs, einer der wenigen Befürworter der Totalitarismustheorie, der die Kritik Lietzmanns aufgenommen hat: Er gesteht zu, daß es Friedrichs Theorie an einem demokratietheoretischen Anspruch mangelt. Sein Fazit der Totalitarismusforschung liest sich wie ein Schlag ins Gesicht ihrer Fürsprecher: „Zumindest im deutschsprachigen Raum haben die Ansätze zu einer Reformulierung der Totalitarismustheorien eher in eine Sackgasse geführt. Solange jedenfalls die historisierenden Ansätze derartig dominant bleiben, wird es kaum eine Aussicht auf eine zeitgemäße Begriffsbestimmung und eine ungeteilte wissenschaftliche Akzeptanz geben.“ (Kraushaar, 242) Der mit einem Mindestmaß an logischem Denkvermögen ausgestattete Leser erwartet nun eigentlich, daß Kraushaar den Totalitarismusbegriff insgesamt verwirft. Doch dem ist nicht so. Er ist sogar bestrebt, der Linken – was immer er darunter versteht – „Denkanstöße für eine antitotalitäre Linke“, so der Untertitel seines Buches „Linke Geisterfahrer“ (Kraushaar 2001), zu geben. Erklären kann man das nur, ähnlich wie im Fall von Götz Aly, mit den Bemühungen unter veränderten politischen Rahmenbedingungen durch die Annahme der Totalitarismustheorie mit seiner eigenen linksradikalen Vergangenheit abrechnen zu wollen. Bleiben wir kurz beim Beispiel Aly, da er im letzten Jahr mit einer Buchpublikation und anderen Äußerungen für enormen Diskussionsbedarf sorgte.
Für Aly hatte sich nach Lektüre von Kraushaars jüngstem Buch „Die Bombe im jüdischen Gemeindehaus“ (2005) die Erkenntnis ergeben, daß die Achtundsechziger ihren Eltern vor allem im Antisemitismus auf elende Weise ähnlich seien. (Die Welt 16.07.2005) Eine derart platte Anwendung von Rot=Braun, zumal auf die Studentenbewegung, hat man selten lesen können. Etwas subtiler argumentiert Aly in seinem viel diskutierten Buch „Hitlers Volksstaat“, wobei schon der Untertitel „Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus“ andeutet, worum es ihm geht: der Verschiebung des politischen Koordinaten-Systems. Was einst wie Sozialpolitik oder Revolution links besetzt war, erscheint nun als rechts oder faschistisch. Infolgedessen verwundert es nicht, wenn Aly in seinen politisch-polemischen Äußerungen deutlicher als im Buch selbst durchblicken ließ, welche Schlußfolgerungen aus seinen Erkenntnisse zu ziehen sind. Der Abbau des Sozialstaates muß als Beseitigung der letzten Überreste der „kommunofaschistischen“ Vergangenheit – wie Thomas Kuczynski mit Bezug auf den Philosophen Adam Schaff formulierte – interpretiert werden. Kuczynski sprach daher in seiner Rezension zu „Hitlers Volksstaat“ von einer modernisierten Totalitarismustheorie. (Jungle World 16.04.2005)
Mit der Übertragung von totalitarismustheoretischen Versatzstücken auf den radikalen Islamismus versuchen derzeit (Neo)Konservative der westlichen Welt ihren Herrschaftsanspruch über den Rest der Welt ideologisch zu legitimieren. Der britische Historiker Niall Ferguson meinte unlängst in Die Welt (22.02.2006), daß der entscheidende Wendepunkt der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht das Jahr 1989 gewesen sei, sondern 1979. Die iranische Revolution sei der Anfang vom Aufstieg des militanten Islamismus. Aus diesem Grund bekundet Ferguson, „Sehnsucht nach einem Kalten Krieg“ zu haben. „Ein neuer Kalter Krieg könnte also ebenso gut für Westeuropa sein (…) einfach, weil er uns an den Wert unserer harterkämpften Freiheiten, (…) erinnern würde.“ Ferguson spricht deutlich aus, was bereits seit 1990 – dem Jahr nicht nur des Zusammenbruchs des Realsozialismus, sondern auch des Kuwaitkriegs – sukzessive zu beobachten ist. Zur Selbstlegitimation benötigt das ‚Wir’ des Westens das ‚Andere’ als Projektionsfläche. Bis 1990 war dies der Kommunismus, spätestens seit dem 11. September 2001 und jüngst dem sogenannten Karikaturenstreit ist es der Islam. Fehlt das ‚Andere’ droht ein Lücke in der Selbstbeschreibung des ‚Wir’. „Der Islam wird nun nicht nur als ideologische Antithese gegriffen, sondern als gesamtkulturelle Antithese zum Westen und seiner universalistischen Identität. Der Islam gerät so zur Begründung des Gegen-Westens, zur Gegen-Moderne, ja zur Gegen-Zivilisation.“ (Schulze 1991, 7).
Auch für die nächste Zukunft dürfte also die Geschichte der Totalitarismustheorie als Herrschaftsprojekte legitimierende Integrationsideologie ihre Fortsetzung finden.
Eine sozialistische oder kommunistische Linke muß sich dem angemessen stellen und die angesprochenen Themen für sich besetzen. Allein ein Verweis auf die Tatsache der Instrumentalisierung der Totalitarismustheorie im Sinne der Machtausübenden reicht mitnichten. Im Fall der aktuellen Debatte um den angeblichen totalitären Charakter des Islamismus laufen Teile der Linken Gefahr, religiös motivierten Terror zu verharmlosen. Vor allem müssen vermittelbare Erklärungen – wissenschaftliche Ansätze gibt es ja bereits – für die äußerlichen Ähnlichkeiten der Sowjetunion unter Stalin und dem Faschismus in Italien und Deutschland gefunden werden. Andernfalls wird es die Linke schwer haben, eine kulturelle Hegemonie für die Ausweitung der Demokratie auf soziale und wirtschaftliche Bereiche, also für einen neuen sozialistischen Anlauf, zu gewinnen.

Literatur
Erlinghagen, Robert/Wiegel, Gerd (1999), Das Totalitarismuskonzept. Zum wissenschaftlichen Gebrauchswert einer politischen Theorie: Joachim Klotz (Hg.), Schlimmer als die Nazis. „Das Schwarzbuch des Kommunismus“ und die neue Totalitarismusdebatte, Köln, S. 156-187.
Glaeßner, Gert-Joachim (1995), Das Ende des Kommunismus und die Sozialwissenschaften. Anmerkungen zum Totalitarismusproblem, in: deutschland archiv, Jg. 28. Nr. 9, S. 920-936.
Jesse, Eckhard (1998), Die Totalitarismusforschung und ihre Repräsentanten. Konzeptionen von Carl J. Friedrich, Hannah Arendt, Eric Voegelin, Ernst Nolte und Karl Dietrich Bracher, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/98.
Ders. (1999), Die Totalitarismusforschung im Streit der Meinungen, in: ders (Hg.), a.a.O.
Kailitz, Steffen (1997), Der Streit um den Totalitarismusbegriff. Ein Spiegelbild der politischen Entwicklung, in: Eckhard Jesse/Steffen Kailitz (Hg.), Prägekräfte des 20. Jahrhunderts, Baden-Baden, S. 219-250.
Kershaw, Ian (1999), Nationalsozialistische und stalinistische Herrschaft. Möglichkeiten und Grenzen des Vergleichs, in: Eckhard Jesse (Hg.), Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz der internationalen Forschung, S. 213-222.
Kraushaar, Wolfgang (2001), Linke Geisterfahrer. Denkanstösse für eine antitotalitäre Linke, Frankfurt/Main.
Lietzmann, Hans J. (1999), Politikwissenschaft im „Zeitalter der Diktaturen“. Die Entwicklung der Totalitarismustheorie Carl Joachim Friedrichs, Opladen.
Roth, Karl Heinz (1998), Der Einfluß der Totalitarismustheorie auf die Bundestags-Enquete „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ und die Auswirkungen auf die politische Kultur der Bundesrepublik, in: Ansichten zur Geschichte der DDR, hgg. von Ludwig Elm u.a., Bonn/Berlin.
Ders.: (1999), Geschichtsrevisionismus. Die Wiedergeburt der Totalitarismustheorie, Hamburg.
Schulze, Reinhard (1991): Vom Antikommunismus zum Antiislamismus. Der Kuwait-Krieg als Fortschreibung des Ost-West-Konflikts, in Peripherie Nr. 41, S. 5-12.

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