Michael Brie (Hrsg.), Die Linkspartei. Ursprünge, Ziele, Erwartungen, Karl-Dietz Verlag, Berlin 2005 (Rosa-Luxemburg-Stiftung, Texte 23), 96 S., 9,90 Euro; Ulrich Maurer/Hans Modrow (Hrsg), Überholt wird links. Was kann, was will, was soll die Linkspartei, edition ost, Berlin 2005, 232 S., 12,90 Euro.
Kaum war das Gespenst der Linkspartei in der bundesdeutschen Politik aufgetaucht, da lagen auch schon die ersten Gespensteranalysen in Buchform vor. Auf zwei soll hier in kursorischer Form eingegangen werden. Bei der aus dem engeren Umfeld der nunmehr umgetauften PDS – der Rosa-Luxemburg-Stiftung – hervorgegangen Publikation handelt es sich um eine Textsammlung, die sowohl Analysen, eine Chronologie des Zusammengehens von PDS und WASG, sowie Dokumentationen von Presseeinschätzungen etc. enthält. Analysiert werden die Ursprünge der Linkspartei, die erstens in einer Suche breiter Bevölkerungskreise nach Alternativen zum Neoliberalismus, zweitens in sich neu orientierenden sozialen Bewegungen und Teilen der Gewerkschaften und drittens in den beiden Parteien WASG und PDS/Linke gesehen werden. Hieraus könne, so Michael Brie im Vorwort, eine Gegenkraft entstehen, die die Vorherrschaft des Neoliberalismus in Frage stellt. (7) Bries These, wonach große Teile der Bevölkerung der neoliberalen ‚Einheitsfront’ Skepsis bis Ablehnung entgegenbringen (11), lassen sich durch Umfrageergebnisse belegen, denen Fragen nach abstrakten Prinzipien und Werten wie sozialer Gleichheit und Gerechtigkeit zu Grunde lagen. Wenn jedoch nach der konkreten Umsetzbarkeit gefragt wird, wird ein Großteil der Bevölkerung auch neoliberalen Argumenten zustimmen, die längst in den Alltagsverstand eingedrungen sind.[1] Diese etwas undifferenzierte Einschätzung mag der derzeit großen Hoffnung auf politische Veränderungen geschuldet sein. Widersprüchlich und nicht überzeugend ist hingegen Bries Einschätzung im Vorwort. Dort wird als historische Novität der Situation konstatiert, dass es seit 1917 in Deutschland wieder eine starke Linke jenseits von KPD und SPD gebe und die Linkspartei nunmehr der SPD die Vorherrschaft unter den Linken streitig mache. (7) Wenig später wird – durchaus zutreffend – festgestellt, dass der westdeutsche Klassenkompromiss der Nachkriegszeit nun endgültig aufgekündigt worden ist und durch eine „neoliberalen Konter-Reform“ zur Stärkung der Kapitalmacht ersetzt wurde. Verwunderlich ist nur, dass Brie die SPD als seit 1998 wesentlichen Akteur dieser neoliberalen Konterreform nicht erwähnt. Die Vermutung erscheint nicht unberechtigt, dass hier die Tür zu Regierung in spe nicht zugeschlagen werden soll. Entsprechendes wird in dem von Modrow/Maurer herausgegeben Band des Öfteren geäußert. Stephan Bollinger resümiert in seinem historisch angelegten Beitrag „Brüder in eins nun die Hände? Linke Schwierigkeiten mit der Einheit“, es sei offensichtlich, dass die Linkspartei den Platz der SPD belegen wolle. Ob das deutsche politische System jedoch eine Neuauflage der SPD von Bad Godesberg brauche, bezweifelt Bollinger. (M/M, 101) Ähnlich sieht es Hans Modrow: „Es geht nicht auf, einerseits vom ‚platz links neben der SPD’ bei der Positionsbestimmung einer neuen Linkspartei zu sprechen und andererseits mittelfristige Angebote für Koalitionen mit der SPD zu machen.“ (M/M, 12) Die wesentliche Konfliktlinie verläuft Modrow und Bollinger zufolge zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Unterstützt wird diese Sichtweise auch von Heinz Niemann, der in seinem Artikel „Die Linkspartei – ein sozialdemokratischer Phönix aus der Asche?“ die klassische Systemfrage aufwirft. Für die Linke hält er ein radikal-demokratisches Reformkonzept für notwendig, „wenn es sich der notwendigen Überschreitung der Grenzen der Logik des kapitalistischen Profitsystems bewusst ist.“ (M/M, 43) Christa Luft zielt in ihrem Beitrag „Entwicklunspfade über den Kapitalismus hinaus suchen“ in eine ähnliche Richtung. Sie fordert die konkrete Beschäftigung der Linken mit Formen des Eigentums (145f.) und befürchtet, dass die Aufgabe des sozialistischen Profils die Partei längerfristig überflüssig machen würde. (141) Die Linkspartei müsse sich, „wenn sie nicht in Pragmatismus erstarren soll, an einer Gesellschaftsvision orientieren.“ (142) Luft kritisiert jedoch auch eine abstrakte radikale Kapitalismuskritik, die noch niemandem für öffentliches Eigentum begeistere. Zunächst gelte es, eine Alternative zur neoliberalen Politik herzustellen, wozu die Bundestagsfraktion Dienste leisten könne.
Die Vermittlung von Alternativen zum Neoliberalismus und Alternativen zum Kapitalismus wird von Erhard Crome in der alles andere überlagernden Bruchlinie von Neoliberalismus versus sozialer Verantwortung gesehen. „Die sozialhistorische Bruchlinie Neoliberalismus vs. Soziale Verantwortung findet in der Differenz zwischen neoliberalem Konsens aller anderen Bundesparteien und der Linkspartei ihren politischen Ausdruck.“ (61) Wenn man jedoch berücksichtig – was Crome nicht tut –, dass die Gründung der WASG gerade auch mit der Kritik an den PDS-Regierungsbeteiligungen auf Länderebene begründet wurde, könnte eine Beschreibung der Bruchlinie auch anders aussehen. Dann nämlich würde die Bruchlinie von Sozialer Verantwortung und Neoliberalismus zumindest auf der praktischen Ebene durch einen Teil der PDS selbst verlaufen. Auf der anderen Seite hat die PDS/Linkspartei zumindest auf der programmatischen Ebene noch einen (demokratisch) sozialistischen Anspruch – so auch in den Brie-Thesen zur Perspektive der Linkspartei (vgl. 64) – und in Teilen von ihr findet sich marxistisches Gedankengut, während die WASG in erster Linie als sozialdemokratische, anti-neoliberale Sozialstaatspartei zu charakterisieren ist, in der nur am Rande Marxismus und eine antikapitalistisch, sozialistische Perspektive eine Rolle spielt.
Crome referiert die interessante Einschätzung von Wolfgang und Frigga Haug, wonach hinter der Legitimitätskrise der rot-grünen Bundesregierung die der repräsentativen Demokratie lauere. Derzeit profitierten davon die Konservativen, die die neoliberale Revolution gegen den Sozialstaat weiter radikalisierten. Eine weitere Enttäuschung schein somit vorprogrammiert, die die Krise des repräsentativen Systems hervortreten lasse. Zu befürchten ist, dass dann die extreme Rechte enormen Zulauf bekommt. Auch von hier, so Crome, ergeben sich für die Linke historische Notwendigkeiten: „Die Dialektik von Nah- und Fernzielen wartet unter solchen Bedingungen mit einer Überraschung auf: Das Fernste ist das Nächstliegende. Um der Demokratie willen muß die Linke bestrebt sein, die Legitimitätskrise der repräsentativen Demokratie in die Legitimitätskrise des Kapitalismus zu überführen. Weil – noch! – keine Alternative zum Kapitalismus im Ganzen in Sicht ist, werden vielfältige Formen von Solidarökonomie, die den Kapitalismus vorgreifend im einzelnen überschreiten, zur Tagesaufgabe.“ (Haug, zit. M/M, 68).
Friedrich Wolff betont in seinem Beitrag einen weiteren Aspekt: den der fehlende Kritik der PDS/Linkspartei am politischen System der BRD sowie die damit verbundene Gefahr der Systemintegration. Entsprechend hängt für ihn Erfolg und Misserfolg sozialistischer Politik der Linkspartei von der Widerstandsfähigkeit gegenüber der Sogkraft des Systems ab. (M/M, 22)
Aus dem Rahmen fällt der Beitrag „Links wo die Nation ist“ von Robert Allertz. Zunächst fällt auf, dass Allertz als einziger die in den Massenmedien und von den etablierten Parteien genüsslich aufgegriffene und kritisierte „Fremdarbeiter“-Formulie-rung von Oskar Lafontaine zum Ausgangspunkt macht. Allertz Kritik an der „Lafontaine-Schelte“ der bürgerlichen Medien und Politiker verharrt jedoch auf einer terminologischen Ebene. Auch wenn Lafontaine statt „Fremdarbeiter“ „Arbeitsmigranten“ gesagt hätte, ließe sein Satz „Der Staat ist verpflichtet zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter zu niedrigen Löhnen ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen“ durchaus rechtsextremistische Schlussfolgerungen zu. Im Fortgang seines Artikels plädiert Allertz für einen positiven Bezug der Linken zur Nation. Erst wenn – wie in Frankreich – der oder die Vorsitzende einer deutschen Linkspartei jede Rede mit „Es lebe Deutschland“ beenden kann (M/M, 223), sieht er normale Zustände eingekehrt. Angesichts des bisherigen Scheiterns der PDS, das Verhältnis von Nation und Linke neu zu diskutieren, kann man beruhigt sein, dass Allertz Plädoyer keine Resonanz finden wird.
Abgesehen von diesem Artikel und einigen, die eher allgemeine politische Einschätzungen bieten, sind jedoch sämtliche Beiträge lesenswert im Hinblick auf eine Einschätzung der Perspektiven der Linkspartei beim Zurückdrängen der neoliberalen Politik. Die von Brie herausgegebene Broschüre erfüllt dabei in erster Linie die Funktion einer Dokumentation des Zusammengehens von PDS und WASG, während die meisten Beiträge des Maurer/Modrow-Bandes hingegen eine erste kritische Analyse darstellen. Bisweilen überwiegt dort die Skepsis. Die Möglichkeiten gerade der Vorherrschaft des Neoliberalismus in den Medien durch die vereinte Linkspartei/WASG etwas entgegensetzen zu können, sollte nicht unterschätzt werden – wenngleich eine stärkere soziale außerparlamentarisch Protestbewegung unabdingbar ist.
(aus: Z.Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 64, Dezember 2005)