Ernst Wolff: Weltmacht IWF. Chronik eines Raubzugs, Tectum-Verlag, Marburg 2014. 234 S., br., 17,95 €.
Gibt es noch etwas Neues über die Praktiken des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu berichten? Seit den 1980er Jahren ist diese Institution der Vereinten Nationen, die zusammen mit der Weltbank und der Welthandelsorganisation das Trio Infernale der Weltwirtschaft bildet, maßgeblich für die neoliberale Globalisierung verantwortlich.
Mit »Strukturanpassungsprogrammen« zwingt er den sogenannten Entwicklungsländern Reformprogramme auf, die freie Marktkräfte entfesseln sollen und den multinational operierenden Konzernen in den USA und Europa nutzen. Staaten des Südens, die ihre Bevölkerung bis dahin selbst ernährten, mussten plötzlich Nahrungsmittel importieren; die einheimischen Bauern erliegen der Konkurrenz von außen.
Ernst Wolff beschreibt diese Machenschaften als einen modernen Kreuzzug gegen die arbeitende Bevölkerung auf fünf Kontinenten. »Während am unteren Ende der Gesellschaft Millionen von Menschen durch neoliberale Austeritätsprogramme in bitterste Armut getrieben wurden, hat an ihrem oberen Ende die größte Bereicherungsorgie in der Geschichte der Menschheit stattgefunden«, vermerkt der Journalist und Drehbuchautor. Er bietet eine knappe Chronik über das Wirken des IWF, beginnend mit dessen Entstehung 1944, seiner Rolle in Chile in den 1970er Jahren und in der lateinamerikanischen Schuldenkrise sowie bei der Einführung des Kapitalismus in der früheren Sowjetunion mittels »Schocktherapie«. In Russland sank infolge der liberalen Reformen zwischen 1989 und 1995 die Lebenserwartung von Männern von 63,3 auf 58,4 Jahren, bei Frauen von 74,4 auf 72,1 Jahren. Noch drastischer minimierte sich die Lebenserwartung in Südafrika durch das »neoliberale Feuerwerk«, das der einst sozialistisch orientierte ANC nach seiner Regierungsübernahme entfachte – auf Drängen des IWF. Dies sei der wahre Grund für westliche Lobeshymnen auf Nelson Mandela.
Wolff berichtet über die Verwicklung des IWF in die Krisen der vergangenen Jahre. Besonders interessant ist das Kapitel über Island, weil Wolff der verbreiteten Sicht widerspricht, dass sich das kleine Land der Macht des globalen Finanzkapitals widersetzt und seine Banken nicht mit Steuergeldern gerettet habe: »Insgesamt haben die Maßnahmen des IWF dazu geführt, dass Island, dessen Lebensstandard zu den höchsten der Welt zählte, sich in ein Niedriglohnland verwandelt hat, dessen Bürger bis weit in die nächste Generation Schulden abtragen müssen.« Eine jüngst von UNICEF veröffentlichte Studie bestätigt: In Island ist die Kinderarmut am stärksten gewachsen.
Wolff analysiert die Praktiken des IWF zwar als »logische Konsequenz aus der Funktionsweise des bestehenden Systems, in dem die Erwirtschaftung von Profit das alles überragende Ziel ist«, doch sieht er das Movens hierzu in der »grenzenlosen Gier einer Minderheit« – und nicht in sozialen Beziehungen, die durch kapitalistische Produktionsweisen geformt sind. Gelegentlich schießt er über das Ziel hinaus, etwa wenn er überall gezielte Manipulationskampagnen der Herrschenden am Werk sieht.
aus: neues deutschland, 28.11.2014