Wird man an Adam Toozes „Ökonomie der Zerstörung“ zukünftig den Gang faschismustheoretischer Forschung messen?
Ein solches Lob – noch dazu aus so berufener Feder – liest man selten: „In der Studie ‚Ökonomie der Zerstörung'[1] von Adam Tooze über die Wirtschaft im ‚Dritten Reich‘ wird das umstrittene Problem des Verhältnisses von kapitalistischer Wirtschaft zum NS-Regime auf denkbar breiter empirischer Basis und in eindringlicher Analyse souverän geklärt. Man kann sagen: Zum ersten Mal ist das jetzt in einer überzeugenden Synthese auf gleichmäßig hohem Niveau geschehen.“[2] Der Verfasser dieser Zeilen ist Hans-Ulrich Wehler, Nestor der deutschen Sozialgeschichtsschreibung. Ob man an dem Werk des jungen britischen Wirtschaftshistorikers – bekannt geworden durch seine fundamentale Kritik an Götz Alys Buch „Hitlers Volksstaat“ (2005) – tatsächlich, wie Wehler prophezeit, von nun an den Gang der zeitgeschichtlichen Forschung über den Nationalsozialismus wird messen dürfen, bleibt abzuwarten.
Der in Cambridge lehrende Adam Tooze begibt sich mit seiner Politischen Ökonomie des Dritten Reiches auf ein Feld, das im Zentrum marxistischer Faschismustheorien steht: die Beziehung von Faschismus und Kapitalismus, die Veränderung von Klassenstrukturen, die Frage nach dem Verhältnis von Ökonomie und Politik bzw. Ideologie.
Die Antwort, die Tooze auf letztere Frage gibt, ist eindeutig: Letztlich sei die überwältigende Rolle der Ideologie ausschlaggebend gewesen (16). Damit schließt er, wie er selbst konstatiert, an den Mainstream der aktuellen NS-Historiographie an. Doch – und da liegt die Studie abseits des Mainstreams – dieses rassistisch-antisemitische Axiom einmal vorausgesetzt, haben sich sehr wohl ökonomisch-rationale Motive der faschistischen Führung um Hitler Geltung verschafft. Häufig, so auch bei der Initiierung des Holocausts, verschränkten sich ideologische und ökonomische Motive.
„Webfäden der Geschichte“
Methodisch plädiert Tooze für die in letzter Zeit aufgrund vermeintlich mangelnder Empathie mit den Opfern umstrittene so genannte Täterperspektive: „Wenn wir die schrecklichen Taten des ‚Dritten Reiches‘ begreifen wollen, dann bleibt uns nichts anderes als der Versuch, die Täter zu begreifen.“ (9) Interessanterweise begründete er diese Perspektive mit einem Rekurs auf Marx berühmtes Diktum über die ihre Geschichte selbst machenden Menschen. Tooze unterstreicht die anti-ökonomistische Interpretation dieses Gedankens, indem er auch die folgenden Sätze aus dem 18. Brumaire zitiert: „Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden. Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neue Weltgeschichtsszene aufzuführen.“ Hitler, so die Folgerung, habe in einer derart selbstgestalteten Welt gelebt. Insofern sei es nicht verwunderlich, dass sich die bürgerliche Faschismusforschung zumeist in erster Linie auf kulturelle und ideologische Aspekte konzentriert hat.[3] Freilich mit dem Nachteil, dass die „Webfäden der Geschichte“ unbeachtet blieben und relativ wenige Fortschritte im Bereich der NS-Wirtschaftsgeschichte gemacht worden seien.
Hier möchte Tooze mit seinem Konvolut für Abhilfe sorgen – und das gelingt ihm in der Tat.
Dreh- und Angelpunkt USA
Tooze zieht die vorherrschende These grundlegend in Zweifel, wonach der deutschen Wirtschaft eine spezifische Kraft innewohnte. Im Detail belegt er, und das ist eine sich durch das fast tausendseitige Buch durchziehende Behauptung: Von Anfang an waren die deutsche Ökonomie und das Militär nicht in der Lage, den Zweiten Weltkrieg zu gewinnen. Das aus heutiger Sicht bestimmende Element der Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts sieht er vielmehr in der Herausforderung der europäischen Staaten durch neue Wirtschaftsmächte – an erster Stelle die USA. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts schickten die USA sich an, ihre industriell-kapitalistische Produktionsstruktur auf eine neue Ebene einer effektiveren und rationelleren Betriebsweise fordistischer Massenproduktion zu heben und damit einhergehend auch eine neue gesellschaftliche Konsum- und Lebensweise auszubilden. Auch Europa stand in der Zwischenkriegszeit vor dieser gesellschaftsgeschichtlichen Herausforderung, die in der damaligen Zeit von marxistischer Seite aus Antonio Gramsci in verschiedenen Skizzen zu „Amerikanismus und Fordismus“ in seinen „Gefängnisheften“ immer wieder analysierte. Auch wenn Tooze die unterliegende Transformationsproblematik des Kapitalismus in der Zwischenkriegszeit nicht weiter expliziert, ordnet er doch die 1920er Jahre als Ausgangspunkt seiner wirtschaftshistorischen Fundierung der späteren „Ökonomie der Zerstörung“ in diesen Problemzusammenhang ein: „Hitler und Stresemann unterschieden sich demnach nicht nur in Bezug auf ihre Beurteilung der Lage, in der sich Deutschland im anbrechenden ‚amerikanischen Jahrhundert‘ befand, sie unterschieden sich auch in Bezug auf ihre Bewertung von Ökonomie und Politik.“ (31) Gegenüber dem „Atlantiker“ Stresemann markiert auch für Hitler Amerika einen zentralen Bezug, der sich – wie Tooze immer wieder aufzeigt – bis Anfang der 1940er Jahre durchziehen wird.
Dies veranschaulicht Tooze, indem er Hitlers „Zweites Buch“ analysiert. Dieses Manuskript wurde 1928 verfasst, jedoch zu Hitlers Lebzeiten nie veröffentlicht, da der Verkauf von „Mein Kampf“ hinter den Erwartungen zurückblieb. Der Herausforderung der USA mit ihrem Wohlstand und ihrem enormen wirtschaftlichen Potenzial wollte sich Hitler nicht kleinlaut unterordnen.[4] Er war bestrebt, das zu tun, was andere europäische Staaten im zurückliegenden Jahrhundert auch unternommen hatten: ein eigenes imperiales Hinterland erobern und kolonisieren. In Hitlers Fall den so genannten Lebensraum im Osten (15). Auf diese Weise sollte die wirtschaftliche Grundlage für Unabhängigkeit und Wohlstand Deutschlands geschaffen werden, um letztlich in der Konfrontation mit den Vereinigten Staaten obsiegen zu können. Dazu bedurfte es freilich einer „konzertierten Aktion des politischen Willens“(180). Gar nicht oft genug könne man nämlich betonen, welche Auswirkungen es hatte, dass Deutschland Anfang der 1930er auf fast 20 Jahre zurückblickte, „in denen wirtschaftlicher Verfall und Unsicherheit die Erfahrung von Wohlstand und wirtschaftlichem Fortschritt weit überwogen hatten“.(177) In einem Wort: der Kapitalismus schien aus dem Wachstumsdilemma nicht hinauszukommen und damit zusammenhängend war vom liberalen Fortschrittsversprechen nicht mehr viel übrig (das gelte im Übrigen auch für den Keynes der 1930er Jahre, der Skepsis gegenüber der Möglichkeit eines langfristigen Wirtschaftswachstums hegte.)
Das Regime Hitlers ersetzte quasi, um die These Toozes zuzuspitzen, das liberale Evangelium, durch die „konzertierte Aktion“ des sozialdarwinistischen, rassistischen Kampfes um Lebensraum, orientierte sich statt am US-Fordismus an einem völkisch-rüstungswirtschaftlichen (deformierten) Fordismus. Wirtschaftlicher Erfolg erschien nur noch möglich durch eine „aggressive, auf militärischer Stärke beruhende Außenpolitik“.(179) Der Weg Gustav Stresemanns einer nationalen inneren Landnahme kombiniert mit einem internationalen Multilateralismus wurde somit aufgegeben, wenngleich Reichsbankpräsident und -minister Schacht eine zwischen beiden Polen vermittelnde Position einnahm.
Vor diesem Interpretationsrahmen wird eine neue Deutung der Politischen Ökonomie, der Diplomatie- und der Militärgeschichte des deutschen Faschismus präsentiert. Allerdings deutet Tooze nur an, dass Deutschlands Aggressivität etwas mit der ungleichen Entwicklung im globalen Kapitalismus zu tun hat (16). Zwar erinnert dieses Argument an die imperialismustheoretisch fundierte These (marxistischer) Autoren über den so genannten deutschen Sonderweg, doch führt Tooze weder dies aus, noch diskutiert er das Amerikanismus/Fordismus-Paradigma in der Tradition Antonio Gramscis – wenngleich er sehr wohl auf den Fordismus im Allgemeinen eingeht und auch sozialstrukturelle Gründe für den geringen Lebensstandard Deutschlands in den 1930er Jahren im Vergleich zu dem der USA nennt. So ist er der Ansicht, dass es naiv wäre, den Ford-Mythos für bare Münze zu nehmen, weil Henry Ford in erster Linie ein Propagandist gewesen sei und die europäische Industrie auch Massenproduktionstechniken gekannt habe (171). Ursächlich für das geringe deutsche Pro-Kopf-Einkommen waren nach Tooze Deutschlands großer und ineffizienter Agrarsektor und die vielen rückständigen Betriebe und Werkstätten im Handwerks- und Dienstleistungsgewerbe (173). Diese Sichtweise kommt der Gramscis nahe, der die unterschiedliche Entwicklung des Kapitalismus auf unterschiedliche Grade der Fordisierung zurückgeführt und den Amerikanismus u.a. als Ideologie beschrieben hatte, der die Kluft zwischen dem vorauseilenden Amerika und dem ökonomisch zurückgebliebenen Europa zu schließen beabsichtigte. Die Herausforderung für die europäischen Staaten analysierte Gramsci mit Blick auf die Klassenstrukturen. Ihm zufolge benötigte die Amerikanisierung (verstanden als Metapher für Rationalisierung, Produktivität, Innovation und Fortschritt) in Europa gewisse sozialstrukturelle Voraussetzungen. So etwa die „Rationalisierung der Bevölkerung“, d.h. die Nicht-Existenz von parasitären Klassen und die Durchsetzung einer spezifischen Lebensweise (fordistischer Sozialcharakter), die der tayloristischen Produktion entgegenkam. Toozes Ergebnisse mit Gramscis Fordismus-Amerikanismus-Analyse kurzzuschließen, ist somit eine interessante zukünftige Forschungsfrage.
Die Konzentration auf die USA relativiert hingegen den Krieg gegen die Sowjetunion (die bekanntermaßen die weitaus größten Opfer zu beklagen hatte) und damit einhergehend den Antikommunismus der nazistischen Ideologie. Beides erscheint nunmehr lediglich als Mittel zum Zweck – sicher eine diskussionswürdige These.
Aufrüstungsbestrebungen
Im Zentrum jeder Wirtschaftsgeschichte des Dritten Reiches, betont Tooze, müssen die Aufrüstungsbestrebungen der Nazi-Führung stehen (wobei auf die Aufrüstungspläne der Reichswehr aus den 1920er Jahren zurückgegriffen werden konnte). Alles andere, z.B. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und sozialpolitische Initiativen, waren lediglich Interimsmaßnahmen (754). Nachdem sich die wirtschaftliche Situation nach den verheerenden Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise 1934 konsolidiert hatte – die sich im Übrigen unter einer anderen Regierung in ähnlicher Weise vollzogen hätte -, setzten die Nazis die Priorität auf die Rüstung. Zwischen Januar 1933 und dem Herbst 1938 wurde der Anteil des Militärhaushalts am Sozialprodukt von 1% auf 20% gesteigert.(755) „Kein kapitalistischer Staat hatte je in so kurzer Friedenszeit eine Umschichtung des gesamten Sozialprodukts in solchem Ausmaß vorgenommen.“ (91)
Bislang wurde in der Geschichtsschreibung über den deutschen Faschismus die Aufrüstung den so genannten zivilen Mitteln nach dem Motto „Kanonen oder Butter“ als sich ausschließende Ziele gegenübergestellt. Dem widerspricht Tooze. Ihm zufolge waren die Kanonen auf strategischer Ebene nichts anderes als das Mittel, um an mehr Butter heranzukommen (197f.). In den Fällen der Eroberungen von Dänemark, Frankreich und der landwirtschaftlich so reichen Gebiete Osteuropas sei dies wörtlich zu nehmen. Die Rüstung war in den Augen von Hitler, Göring etc., so könnte man Toozes Argument präzisieren, mittel- bis langfristig gesehen eine Investition in den künftigen Wohlstand, kurzfristig dagegen fehlten die Ressourcen für den Privatverbrauch und bedeutete etwa die Wiedereinführung der Wehrpflicht 1935 nichts anderes als „kollektive Massenferien für junge Männer“ (198), die mit öffentlichen Mitteln bezuschusst keinerlei produktive Arbeit leisteten. Doch auch kurzfristig hatte die Politik der militärischen Stärke einen Nutzen: Sie war nämlich selbst „eine spezifische Form des kollektiven Massenkonsums“ (ebd.), „eine Art von spektakulärer öffentlicher Konsumtion“ (199), die ihren Teil zur Integration der Massen beitrug (vgl. 754). Für Tooze ist dieser Aspekt freilich noch ein Desiderat, doch an der These an sich, dass „Aufrüstung in den dreißiger Jahren ein ebenso riesiges öffentliches Spektakel wie ein gewaltiger Schlund war, in dem all das Geld verschwand, das ansonsten dem Lebensstandard in Deutschland zugute gekommen wäre“ (ebd.), könne kein Zweifel bestehen.
Die enorme Steigerung des Militärhaushalts zeitigte indes schwerwiegende Konsequenzen: volkswirtschaftliche Disproportionen, Rohstoff- und Devisenmangel, Zahlungskrisen und vor allem den Zwang zum Krieg. „Man konnte die gigantische Mobilisierungsmaschinerie nicht endlos am Laufen halten. Wenn nicht beabsichtigt war, die Wehrmacht zu einem bestimmten Zeitpunkt einzusetzen, dann waren alle Argumente für eine Aufrüstung im 1936 geplanten Tempo Makulatur. In Anbetracht der erforderlichen Ressourcen waren Mittel und Zweck nicht länger voneinander zu trennen.“ (255) Wieso aber entschied sich Hitler für den Krieg, obwohl er sich im Klaren darüber war, dass das deutsche Rüstungspotenzial dem seiner zukünftigen Gegner unterlegen war? Auch hier bietet Tooze einen neuen Erklärungsfaktor an: Die enormen durch die Rüstung hervorgerufenen volkswirtschaftlichen Missverhältnisse führten im Laufe des Jahres 1939 zu einer fundamentalen Krise. Die Devisenreserven schienen erschöpft und die schuldenfinanzierte Aufrüstung gefährdete die Stabilität der Währung. Als einzige Möglichkeit, die Devisenreserven wieder aufzustocken, bot sich eine Förderung des Exports an. Doch das wiederum bedeutete eine Einschränkung der Rüstungsbestrebungen. Die Zeit lief im Rüstungswettlauf insofern eindeutig gegen das Reich. Je länger man mit dem Krieg wartete, desto ungünstiger entwickelte sich das Verhältnis. Die Schlussfolgerung, die Hitler daraus zog, lautete: Möglichst schnell losschlagen (363). General Georg Thomas, der die Prognose über das Rüstungsverhältnis mit Zahlen aufbereitet hatte, bezweckte ursprünglich genau das Gegenteil: Eine Verzögerung des Krieges aufgrund der aussichtslosen Lage (er schloss sich dann aber Hitlers Meinung an). Tooze erachtet dieses Argument nicht als das allein ausschlaggebende. Er beschreibt des Weiteren die diplomatischen Gegebenheiten und die Rolle der antisemitischen und rassistischen Ideologie, in deren Zentrum die Unvermeidlichkeit des Volkstumskampfes stand.
Tooze zieht folgendes Fazit über das Wettrüsten: Es sei klar gewesen, dass die gewaltige Kluft zwischen der Gesamtproduktion des Hitlerfaschismus und dem kombinierten Rüstungsausstoß seiner Feinde vorhersehbar gewesen ist. 1941, noch vor dem Einmarsch der Wehrmacht in die SU und bevor die US-Wirtschaft in voller Fahrt war, betrug das Verhältnis des Bruttoinlandsprodukts von England, der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten zu dem Deutschlands 4,36:1 (732). Dieses Verhältnis gestaltete sich auch nach der Einsetzung Albert Speers nicht besser. Das vermeintliche Rüstungswunder unter Speer verweist Tooze übrigens in den Bereich der Legenden, ebenso die von dem unwissenden Technokraten Speer. Vielmehr zeigt er, dass das Rüstungsministerium unter Speer und seinen Gehilfen Karl-Otto Saur und Wilhelm Zangen (beide nach 1945 in der Bundesrepublik wohlgelittene Stützen des Wirtschaftswunders) eine apokalyptische Gewaltspur über Europa legte, die Millionen Menschen das Leben kostete (769). Und überdies: Speer ging ein immer engeres Bündnis mit Himmler ein und dieser machte ihn zum Komplizen des Völkermords an den europäischen Juden (697f.).
Neue Gesichtspunkte für die ersten Kriegsjahre
Für die ersten Jahre des Zweiten Weltkrieges ergeben sich Tooze zufolge mehrere neue Gesichtspunkte. Zunächst einmal setzte sich die antiwestliche Komponente des NS-Antisemitismus in den Jahren 1940 und 1941 unvermindert fort. Das heißt, dass sich Hitlers Kriege im Westen und im Osten nicht auseinanderdividieren lassen. Obwohl sie auf verschiedene Weise geführt wurden, waren sie beide gleichermaßen ideologisch motiviert. Es war ‚ein‘ Krieg gegen das Weltjudentum: im Osten der jüdische Bolschewismus, im Westen Roosevelt als jüdischer Vertreter der Wall Street (vgl. 762).
1941 gab es zudem einen zwingenden wirtschaftlichen Grund, den Krieg auszuweiten. Dem Siegestaumel der deutschen Führung infolge des Sieges gegen Frankreich folgte eine desillusionierte Stimmung, da offenkundig wurde, dass der neue großdeutsche Wirtschaftsraum nicht lebensfähig war. Ölknappheit, Engpässe bei der Kohlenversorgung und bei den Futtermitteln prägten die ökonomische Situation. Toozes Argument: „Solange sich Deutschland keinen Zugang zu den Getreideüberschüssen und dem Öl der Sowjetunion verschaffen und eine dauerhafte Steigerung der Kohlenversorgung organisieren konnte, war der europäische Kontinent von einem anhaltenden Niedergang der Produktion, der Produktivität und des Lebensstandards bedroht.“ (763) Wenngleich hieraus der Entschluss für den Krieg gegen die Sowjetunion resultierte, so wird konstatiert, dass das Deutsche Reich zu keinem Zeitpunkt seine industriellen Ressourcen voll und ganz auf den Kampf gegen die SU konzentrierte. Eben weil es parallel dazu immer Vorbereitungen für den Luftkrieg gegen Großbritannien und die USA traf (765). Mehr noch: Nicht nur auf zwei, sondern auf drei Kriege bereitete sich die NS-Führung vor. Der dritte war der gegen die Zivilbevölkerung Osteuropas, in erster Linie gegen die Juden gerichtet (ebd.). Tooze sieht gerade auch in diesem Krieg eine untrennbare Verflechtung von pragmatisch-ökonomischen mit völkermörderischen ideologischen Motiven.
Vernichtungspolitik und Holocaust
Diese Beschreibung der Verkettung von ökonomischen und ideologischen Faktoren für die Ingangsetzung der Vernichtungspolitik und der Endlösung gehört zu den beeindruckendsten Abschnitten von ‚Ökonomie der Zerstörung‘.
Beherrschendes Thema der Militärkrise 1941/42 war die Frage der Arbeitskraft. Als Gauleiter Fritz Sauckel im März 1942 von Hitler die Vollmacht für die Organisation des Arbeiteinsatzes erhielt, rief dieser umgehend eines der gewaltigsten Zwangsarbeiterprojekte ins Leben, das die Welt je gesehen hatte. Doch wie lassen sich der Mangel an Arbeitskräften und die Bemühungen Sauckels, hier Abhilfe zu schaffen, mit dem sich parallel vollziehenden Judeozid vereinbaren? Kann dies anders als eine katastrophale Vernichtung von Arbeitskraft interpretiert werden? Zeigt sich in diesem Punkt nicht das absolute Primat der rassistischen Politik über ökonomische Aspekte?
Auch Tooze ist in Einklang mit fast allen seinen Historikerkollegen der Meinung, dass dies nicht gänzlich in Abrede zu stellen ist. Doch dann entwickelt er eine Argumentation, die nicht nur nuancierter ist, sondern eben auch die Verknüpfung von ökonomischen und ideologischen Motiven aufzeigt. Sein entscheidender Punkt ist es, den ökonomischen Imperativ nicht allein auf die Frage der Arbeitskraft zu reduzieren. So nämlich übersehe man die nicht weniger entscheidende Frage der Ernährung – und damit einen Aspekt, der 1941 zu einem völlig eigenständigen und ebenfalls ungemein mächtigen ökonomischen Imperativ für den Massenmord wurde. „Die Ernährungsfrage drängt sich sozusagen in den Widerspruch zwischen Ökonomie und Ideologie hinein, zwischen die Imperative Arbeitskraft und Völkermord.“ (619) Hierzu muss man wissen, und Tooze betont dies, dass der Zusammenbruch der Lebensmittelversorgung im Ersten Weltkrieg eine traumatische Erfahrung gewesen war, die die Nazi-Führung nunmehr mit allen Mitteln zu verhindern suchte. Darüber hinaus argumentiert Tooze, dass die „engmaschige Verflechtung zwischen Agrariern und SS“ in den Blick genommen werden muss, um zu verstehen, wie „die doppelte Mission des Bauernschutzes und der Ernährung des Volkes zu einigen der extremsten und mörderischsten politischen Beschlüssen des Dritten Reiches führen konnte.“ (205) Die Ideologie der Agrarier sei somit (mit)entscheidend für die außergewöhnliche Militanz des Hitlerregimes (217).
So kam es, dass die Wehrmacht mit drei Massenmordprogrammen in die SU einmarschierte. Während die Endlösung und der Generalplan Ost sorgsam behütete Geheimnisse waren, so wurden in Bezug auf den so genannten Hungerplan keinerlei derartige Bemühungen unternommen. Dieser vom späteren Reichsminister für Ernährung, Herbert Backe, entworfene Plan sah vor, sowjetische Städte schlicht und einfach aus der Nahrungskette auszugliedern.
Doch dieser Plan erwies sich als nicht durchführbar: Die Menschen ließen sich nicht einfach aushungern und die Wehrmacht scheiterte glücklicherweise mit ihrem Versuch, die urbanen Zentren Leningrad und Moskau einzunehmen (558). Über diese Planungen, die für 20 bis 30 Millionen Menschen in der SU den Hungertod vorsahen, und insbesondere über eine Versammlung der Staatssekretäre mit General Thomas am 2. Mai 1942 schreibt Tooze: „In einer Sprache, die um ein Vielfaches unverblümter war als alle Begriffe, die je bei der Behandlung der ‚Judenfrage‘ benutzt wurden, gaben sämtliche wichtigen Behörden des NS-Staates ihre Zustimmung zu einem Massenmordprogramm, dessen Umfang die Vorschläge, die Heydrich neun Monate später auf der Wannseekonferenz machen sollte, regelrecht in den Schatten stellte.“ (552)
Die militärische Krise 1941/42 ging einher mit einer Arbeitskräftebeschaffungs- und einer Ernährungskrise. Diese Situation ruft nun einen modifizierten Hungerplan auf die Tagesordnung, der im Kontext „des ideologischen Drangs zum Massenmord und der pragmatischen Anforderungen der Kriegswirtschaft“ betrachtet, viele der bislang angenommen Widersprüche der NS-Politik des Jahres 1942 auflöste. Denn der modifizierte Hungerplan, von Backe und der Wehrmacht ausgedacht, beruhte auf der Annahme, dass 100 gut ernährte Zwangsarbeiter produktiver als 200 schlecht genährte seien. Die Konsequenz: Verteilung der knappen Lebensmittel auf weniger Arbeitskräfte, die anderen können dem Hungertod preisgegeben werden. Nicht der Antisemitismus, schreibt Tooze, sondern die materialistische Logik der Ernährungslage war ausschlaggebend für diesen Plan. Freilich stand an erster Stelle der zu tötenden Personen stets die jüdische Bevölkerung. Insofern sieht Tooze die Modifikation des Hungerplans von 1942 im Vergleich zu 1941 in der Verschränkung mit dem rassisch motivierten Völkermord, insbesondere aber mit dem Holocaust an den polnischen Juden (625).
Der angeblich so massive Widerspruch zwischen Ökonomie und Ideologie, mit dem Tooze seine Argumentation eingeleitet hatte, muss also in mehrfacher Hinsicht revidiert werden. „Erstens wurde der Konflikt zwischen der Beschaffung der kriegswirtschaftlich nötigen Arbeitskräfte und der Realisierung der völkermörderischen Bedürfnisse des Regimes durch eine Reihe von Kompromissen und praktischen Sondermaßnahmen abgeschwächt. Zweitens wurde die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im Generalgouvernement auf eine pervers funktionelle Weise mit dem Zweck verknüpft, die allgemeine Ernährungslage und insbesondere die Lebensmittelrationen für die Arbeitskraft in den Bergwerken und Fabriken des Reiches zu verbessern.“ (631)
Adam Tooze schließt mit dieser Argumentation an die von Götz Aly/Susanne Heim und vor allem von Christian Gerlach an, deren Arbeiten er auch heranzieht. Gerlach hatte in seinem Buch ‚Kalkulierte Morde‘ (1999) zuletzt die These des Hungerplans und der Verschränkung von ideologischen und pragmatisch-ökonomischen Motiven für die Vernichtungspolitik und die Einordnung der Endlösung in den Kontext eines imperialistischen Eroberungskrieges mit kolonialistischen Praktiken in die Fachdiskussion eingebracht.
Gewisse Widersprüchlichkeiten in Toozes Argumentation sind indes nicht von der Hand zu weisen. So stellt sich die Frage, wie das Primat der Ideologie mit der Verflechtung von Ökonomie und Ideologie in Einklang zu bringen ist. Ferner bleibt eine Leerstelle, warum und wie im Einzelnen der Übergang zur Tötung mit Gas erfolgte. Tooze erwähnt lediglich, dass den Angehörigen der mordenden Einsatzgruppen das Töten von Hand zu sehr „an die Nieren ging“, so dass man anfing, über „humanere“, weniger „schmutzige“ Methoden des Tötens nachzudenken. Dem Leser stellt sich allerdings die Frage, ob der Übergang zum Töten in den Gaskammern nicht auch eine Reaktion auf den gescheiterten ersten Hungerplan war.
Diktatur für wen?
In seinem für Furore sorgenden Buch ‚Hitlers Volksstaat‘ (2005) hat Götz Aly versucht, mit herkömmlichen, insbesondere aber auch mit orthodoxen marxistischen Interpretationen des Faschismus aufzuräumen: Nicht die herrschende Klasse, insbesondere das Finanz- und Großkapital, seien Nutznießer und Förderer des Hitlerfaschismus gewesen, sondern die breite Masse der Lohnabhängigen, deren Integration durch sozialpolitische Maßnahmen erkauft worden sei. Gerade die Kriegswirtschaft und der Holocaust müssten somit als größter Massenraub der Geschichte interpretiert werden. Die Frage, worin der soziale Inhalt der faschistischen Diktatur bestand, also welche Klasse in erster Linie von ihr profitierte und sie unterstützte, ist mit die umstrittenste in der Geschichtsschreibung über den deutschen Faschismus. Das konnte man zuletzt an den teils harschen Reaktionen auf Alys Thesen beobachten. Zu den schärfsten Kritikern, nicht im Ton, sondern in der Sache, gehörte Adam Tooze. Insofern kann man ‚Ökonomie der Zerstörung‘ auch als implizite Auseinandersetzung mit Alys Thesen lesen, mehr noch: Es muss als Gegenpart zu Alys Buch betrachtet werden.
Das Verdienst Toozes ist es, mit ein paar hartnäckigen Mythen über die NS-Politik aufzuräumen: So lässt sich das Argument, dass sich die Deutschen für Hitlers Regime begeistert hätten, weil sie durch die Beseitigung der Arbeitslosigkeit materiell abgesichert worden seien, nicht belegen (125). Vielmehr sei das Volk immer mal wieder irritiert über die vielen kleinen Einschränkungen des Alltags gewesen. Und Tooze zeigt, dass der Konsumgütermarkt stagnierte und eingeschränkt wurde, die Mittel für die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bereits im Dezember 1933 de facto gekürzt wurden und die Priorität eindeutig auf dem Rüstungssektor lag. Selbst das hartnäckigste Argument über die vermeintlich guten Seiten Hitlers – der Autobahnbau und die Beseitigung der Arbeitslosigkeit – demontiert er als Propagandashow und untrennbar verbunden mit den Kriegsvorbereitungen. Freilich achtete die NS-Spitze darauf, den Bogen nicht zu überspannen (und somit kann man Alys Argumentation partiell durchaus zustimmen). Beispielsweise wurde im Sommer 1934 angesichts der Zahlungsbilanzkrise eine 40%ige Abwertung der Reichsmark diskutiert, die den außenwirtschaftlichen Vorteil der Briten und der USA hätte kompensieren können. Doch man entschied sich mit dem Argument dagegen, dass dies einen Anstieg der Lebenshaltungskosten der Arbeiter zur Folge haben würde (103).
Mit dem Berliner Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl zeigt Tooze, dass der Anteil der Konsumausgaben am Sozialprodukt von 75% im Jahr 1928 auf 65% 1936 sank. Der Lebensstandard der Deutschen war nicht nur relativ, auch absolut betrachtet geringer, da die Wirtschaftsleistung noch geringer als vor Beginn der Wirtschaftskrise war. Bestätigt werden somit Aussagen von Marxisten wie Charles Bettelheim, Franz Neumann und Jürgen Kuczynski über die Umverteilung des deutschen Volkseinkommen zugunsten der Kapitals.
Im ersten Kriegsjahr fiel das ohnehin schon beschränkte Konsumniveau dann um 11% pro Kopf. Tooze betont mehrmals, dass für den Krieg alle Ressourcen mobilisiert wurden und eine Einschränkung des Konsums an der Heimatfront in Kauf genommen wurde. Die Rationierung der Konsumgüter sei mithin die erste Verteidigungslinie gewesen (412).
Ein weiteres Argument, welches zuletzt Aly anführte, um seine These der „sozialdemokratischen“ Politik des Nazifaschismus zu stützen, wird von Tooze relativiert. Es handelt sich um die Tatsache, dass das Dritte Reich zu keinem Zeitpunkt auf die Erhöhung der Einkommenssteuer zurückgriff, um seine Kriege zu finanzieren. Das stimmt durchaus, so Tooze, nur könne das angesichts des bescheidenen Lebensstandards niemanden überraschen. Die Naziführer entschieden sich stattdessen Mitte 1941 für eine Erhöhung der Körperschaftssteuer und für eine einmalige Vorauszahlung des in den nächsten Jahren zu erwartenden Steuervolumens bei Immobilienbesitzern (570). Nun sind freilich in beiden letzteren Maßnahmen isoliert betrachtet durchaus Elemente erkennbar, die auch im Rahmen einer sozialdemokratischen Politik denkbar wären. In Anbetracht der Tatsache, dass die Unternehmensgewinne während der faschistischen Diktatur sprudelten wie selten zuvor, und das Konsumniveau der Bevölkerung stagnierte, sollte hingegen von einer wörtlich genommenen national-sozialistischen Politik nicht länger die Rede sein.
Und überhaupt bedeutet Tooze zufolge die mangelnde Bereitschaft der Naziführung, die Kosten des Krieges mittels Steuererhöhung voll auf die Bevölkerung abzuwälzen, nicht, dass die realen Kosten nicht doch – eben auf andere Art – von den „Volksgenossen“ getragen wurden (741). Ob nun Löhne oder Sozialleistungen vom Staat massiv besteuert wurden oder nicht, die Rationierungen und Restriktionsmaßnahmen in der Verbrauchsgüterindustrie (und schließlich auch die Folgen der alliierten Bombardements) sorgten dafür, dass mit den nicht voll besteuerten Einkommen sowieso nicht mehr viel konsumiert werden konnte – es sei denn auf dem Schwarzmarkt.
Kurzum, Tooze belegt: Im Nazifaschismus profitierte das Unternehmertum durch hohe Gewinne, während der Lebensstandard der Lohnabhängigen relativ und absolut sank.
Integration der Massen
Doch schließt das keinesfalls aus, dass mehr oder weniger große Teile der arbeitenden Bevölkerung nicht nur in das System integriert gewesen waren, sondern es auch aktiv unterstützten. Partiell kann dies, wie Aly argumentiert, durchaus durch materielle Bestechungen erfolgt sein, wenn etwa der Familie Kriegsbeute als Geschenk mit nach Hause gebracht wurde. Doch Tooze hält fest: „Das simplifizierende Klischee, dass sich die Deutschen für Hitlers Regime begeistert hätten, weil sie dank der triumphalen Arbeitsbeschaffungsprogramme in Lohn und Brot gekommen seien, lässt sich schlicht und einfach nicht belegen.“(125) Das Volk habe sich vielmehr angesichts der vielen Einschränkungen im Alltag verstört gezeigt, was an den Stimmungsberichten der Gestapo abzulesen sei.
Wie aber erklärt sich Tooze die Massenintegration – eine Frage, die in der orthodoxen marxistischen Faschismustheorie in der Regel ausgeblendet blieb und die erst in der letzten Zeit, überwiegend jedoch im englischsprachigen Raum, im Rahmen einer Faschismusdiskussion problematisiert wurde? Bedauerlicherweise behandelt er diese Frage nur en passant. Seine These lautet: „Die Vorstellung, dass die Remilitarisierung der deutschen Gesellschaft etwas von oben Aufoktroyiertes gewesen sei und dass die meisten Deutschen lieber Butter als Kanonen bekommen hätten, ist schlicht falsch. Für viele Millionen Deutsche war der Wiederaufbau der Reichswehr zur Wehrmacht ganz eindeutig das erfolgreichste innenpolitische Kapitel ihres Regimes, und ebenso viele empfanden den kollektiven Massenverbrauch von Waffen als einen mehr als ausreichenden Ersatz für privaten Wohlstand.“(754) Das heißt, die Massenbasis des deutschen Faschismus stützte sich in erster Linie auf nationalistische und militaristische Einstellungen der deutschen Bevölkerung infolge des „tiefsitzenden Unterlegenheitsgefühls“ (173) nach dem Ersten Weltkrieg.
In dieser Zuspitzung erscheint diese Erklärung jedoch als zu einseitig. Zu berücksichtigen wäre durchaus die Frage, ob die Integration nicht auch durch Veränderungen in der Klassenstruktur, mit der eine vermeintliche partielle Modernisierung einherging, erfolgte. Beziehungsweise ob zunächst allein das Versprechen der Faschisten, für Arbeitsplätze und eine Hebung des Lebensstandards einzutreten, mobilisierend wirkte. In der Tat waren die 1930er und 40er Jahre, wie Tooze selbst zeigt, eine Phase der sozialen Mobilität. Viele Arbeiter stiegen zwar nicht in die Mittelschicht, jedoch zum Facharbeiter auf (177). Michael Schneider, Autor der opulenten Studie ‚Unterm Hakenkreuz‘, weist indessen darauf hin, dass die Verbesserung sozialer Aufstiegschancen für den deutschen Arbeiter auf Kosten des sozialdemokratischen, kommunistischen oder jüdischen Arbeiters erfolgte und freilich nicht mit einem Zugewinn an individuellen Selbstentfaltungsmöglichkeiten verbunden war.[5] Insofern trifft der Begriff „partielle Modernisierung“ die Sache nicht richtig. Schneider weist auf einen weiteren Faktor hin, der zur Integration in das Dritte Reich beitrug: Das nationalsozialistische Arbeitsethos konnte an eine weit verbreitete Hochschätzung der Arbeit in der deutschen Bevölkerung anknüpfen.[6] Und damit sind längst noch nicht alle Faktoren benannt, die dazu beitrugen, dass so viele Deutsche aktiv oder passiv das Dritte Reich unterstützten.
Das Verhältnis zwischen Industrie und Politik
Wenn Tooze die faschistische Diktatur als Diktatur für das Unternehmertum beschreibt, ist es unerlässlich, das Verhältnis von Industriellen und nationalsozialistischer Staatsführung im Einzelnen zu analysieren. Tooze widmet sich in einem eigenen Kapitel dieser Frage, darüber hinaus kommt er immer wieder auf dieses umstrittene Thema zurück. Für ihn ist klar, dass die Unternehmer „willige Partner“ bei der Vernichtung des politischen Pluralismus in Deutschland waren (129). Detailliert beschreibt er beispielsweise den „faustischen Pakt“ zwischen der jungen technologischen Führung der IG Farben (in Gestalt Carl Krauchs, nach 1945 vorzeitig aus der Haft entlassen und wieder als Vorstandsvorsitzender eines Unternehmens tätig).
Da das Verhältnis von Großkapital und Faschismus im Zentrum der orthodoxen marxistischen Faschismustheorien steht, diskutiert Tooze auch deren Ergebnisse. Insbesondere auf das heute noch als Standardwerk geltende dreibändige Werk ‚Die Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft‘ von Dietrich Eichholtz wird Bezug genommen. In einigen Punkten freilich widerspricht Tooze Eichholtz. So etwa in der Frage, wie die Amtseinführung von Fritz Todt in das Amt des Chefs des neuen Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition im März 1940 zu deuten sei. Nach Eichholtz war dies auf die direkte Einflussnahme des deutschen Kapitals zurückzuführen. Tooze hingegen ist sich da nicht so sicher, wenngleich er zugesteht, dass das Großunternehmertum zweifelsohne der größte Nutznießer von Todts Wirken war, eine Reihe von Unternehmern privilegierten Zugang zu Hitler hatten und sich Todt, kaum im Amt, umgehend um ein Bündnis mit der deutschen Industrie bemühte – wovon die Reichsgruppe Industrie begeistert war (406f.) Das NS-System unter Albert Speer wird charakterisiert als Bündnis brutalster NS-Ideologen mit den Schwergewichten des Unternehmertums, zusammengehalten durch die Person Speer (633) bzw. als „eine Allianz des NS-Regimes mit den führenden Elementen des deutschen Industriekapitalismus zum Zweck der Absicherung ihres gemeinsamen Überlebens in einem Kampf um Leben und Tod gegen den Stalinismus“. (655)
Tooze nennt vier Gründe, warum sich die Industrie so willig mit dem NS-Staat arrangierte, diesen unterstützte und daher auch die vielen staatsinterventionistischen Eingriffe duldete. Der erste liegt konträr zu Positionen marxistisch-leninistischen Ursprungs, wenngleich er mit einem marxistisch reformulierten Bonarpartismus-Theorem durchaus zu vereinbaren ist. Tooze zufolge war das Unternehmerlager durch die Weltwirtschaftskrise in eine Schwächeposition geraten. Insofern mobilisierte es, anders als 1918/19, nicht gegen die neue Regierung. Dieses Argument krankt jedoch daran, und das thematisiert Tooze nicht, dass die Novemberrevolution zumindest die Frage der Änderung der wirtschaftlichen Besitzverhältnisse auf die Tagesordnung setzte, Hitlers faschistische Bewegung trotz ihres „linken“ antikapitalistischen Strasser-Flügels dagegen nicht. Wichtiger dürfte daher der zweite Faktor sein: Der autoritäre innenpolitische Stil der Nazis gefiel dem Kapital, zumal die ersten Leidtragenden die sozialdemokratische und kommunistische Arbeiterbewegung war. Die damit zusammenhängende Schwächung der Gewerkschaften führte dazu, dass die Profite der Unternehmer rasant anstiegen. Damit eng verwoben ist der dritte Grund: Nackter Zwang wurde nur selektiv, eben gegen die organisierte Arbeiterbewegung, politische Oppositionelle und Juden ausgeübt, er richtete sich aber nicht gegen Kapitalvertreter. Vielmehr bediente sich das Regime, insbesondere unter der von Speer geleiteten „Selbstverwaltung der Wirtschaft“, der autonomen Initiative von Managern, Geschäftsleuten und Technikern. Das heißt, partiell übte die Wirtschaft selbst staatliche Regulierungsfunktionen und staatliche Macht aus.[7] Als vierten Faktor nennt Tooze schließlich: „Angesichts der höchst ungleich verteilten Eigentumsverhältnisse und Organisationsstrukturen in der deutschen Wirtschaft und angesichts der mangelnden Einigkeit unter den konkurrierenden kapitalistischen Interessen waren letztlich nur ein paar wohlgewählte taktische Bündnisse nötig, um entscheidende Sektoren aus Industrie und Handel in genau die Richtung zu drängen, die dem Regime genehm war.“ (757)
Fazit
Stellt Adam Toozes ‚Ökonomie der Zerstörung‘ nun also einen Einschnitt in der zeitgeschichtlichen Forschung über den deutschen Faschismus dar, wie Wehler meint? Resümierend wird man sagen können: ja, durchaus. Obschon ein Verdienst, den Wehler herausstellt, nämlich Toozes angebliches Dementi der marxistischen Behauptung über die Steuerung der NS-Diktatur durch den Kapitalismus, eher auf Wehlers Ignoranz gegenüber marxistischen Ansätzen jenseits des Marxismus-Leninismus beruht. Werner Röhr ist zuzustimmen, dass Tooze „wie nur selten ein bürgerlicher Historiker dokumentiert, wie willig und geradezu begierig die Großbourgeoisie die staatliche Regulierung der Wirtschaftspolitik angenommen und unterstützt hat…“[8] Und das, obwohl Tooze sich gelegentlich auf konzernapologetische Historiker stützt, worauf vor allem Otto Köhler hingewiesen hat,[9] und marxistische und andere kritische Forschungsergebnisse nur gelegentlich berücksichtigt. Damit liefert Tooze wissenschaftliche Argumente gegen Götz Alys Sichtweise, eine Kontinuitätslinie von der angeblichen sozialdemokratischen Politik der Nazis zu der der Bundesrepublik zu ziehen – verbunden mit der mehr oder minder deutlich ausgesprochenen Schlussfolgerung für die Gegenwart, nun aber Schluss mit der Sozialpolitik zu machen.
In Anschluss an Tooze lässt sich hingegen ein tiefergehendes und weiterführendes Verständnis der Transformationsproblematik des Kapitalismus der 1920er und 30er Jahre gewinnen, auf die der Faschismus die irrationale Krisenlösung in Form mörderischer Rationalität darstellt. Ein solches auch für heute noch aktuelles zeitdiagnostisches Verständnis einer folgenschweren Transformationsperiode des Kapitalismus im 20. Jahrhundert findet sich bei Keynes, einem damaligen Protagonisten für eine neue Wirtschafts- und Friedensordnung: „Der dekadente internationale, aber individualistische Kapitalismus, in dem wir uns nach dem Kriege befanden, hat zu keinem Erfolg geführt. Er ist nicht klug, nicht schön, nicht gerecht und nicht sittlich – und er liefert nur unzulängliche Güter. Kurz wir missbilligen ihn und beginnen ihn zu verachten. Aber wir sind äußerst perplex, wenn wir uns überlegen, was an seine Stelle gesetzt werden soll.“[10]
Zugespitzt läuft diese Interpretation also auf die These hinaus, dass Keynes schon in den ersten Entwicklungsstufen der fordistisch-tayloristischen Betriebsweise den Übergang in eine postkapitalistische Gesellschaftsformation für möglich hielt. Keynes kritisierte in den nachfolgenden Jahren die politisch unzulänglichen Ansätze zu einem Regulationsrahmen der Kapitalakkumulation und einer zukunftssicheren Friedensordnung zu kommen. Seine These lautet: „In wenigen Jahren – damit meine ich, noch zu unseren Lebzeiten – werden wir in der Lage sein, alle Tätigkeiten in der Landwirtschaft, im Bergbau und im Produzierenden Gewerbe mit einem Viertel der menschlichen Anstrengungen durchzuführen.“[11] Die Gesellschaften hätten – so Keynes – die Möglichkeiten dieser neuen Wirtschaftsperiode noch nicht erfasst. Es dominiere noch das Denken aus der krisenhaft zuendegehenden überlieferten Wirtschaftsperiode des 19. Jahrhunderts – einer Mangelökonomie. An eine solche glaubte auch der Faschismus und wollte sie mit einer „Ökonomie der Zerstörung“ überwinden.
Hervorzuheben ist an ‚Ökonomie der Zerstörung‘ darüber hinaus, dass die immer noch virulente apologetische Interpretation von Speers Rolle destruiert wird. In diesem Kontext ist ferner zu erwähnen, dass Tooze sich auch deutlich gegen aktuelle Lesarten ausspricht, die Bombardements deutscher Städte mit Begriffen wie Holocaust zu beschreiben. Das sei eine „massive Geschichtsklitterung“, denn die Luftangriffe hätten durchaus eine militär-strategische Funktion gehabt: Sie verhinderten alle Pläne für weitere Rüstungsproduktionssteigerungen (686). Ebenso unsinnig sei es, die zweifelsohne grausame Rache der Sowjetsoldaten mit ebensolchen Begrifflichkeiten zu beschreiben.
Und last but not least ist Toozes Versuch zu würdigen, die Vernichtung der europäischen Juden nicht als isolierten Vernichtungsakt um seiner selbst willen darzustellen, sondern den Holocaust in den Kontext eines imperialistischen Eroberungsund Vernichtungskriegs zu stellen, dem noch – Stichwort Generalplan Ost und Hungerplan – weitaus mehr Menschen zum Opfer fallen sollten, um den Lebensraum im Osten mit „Volksdeutschen“ besiedeln zu können. Wie erwähnt ist Toozes Argumentation hier nicht völlig überzeugend, da die Verschränkung von Judeozid und weitergehenden Vernichtungsplänen noch nicht im Detail dargestellt wird.
Kritisch anzumerken wäre, dass Tooze zwar eine Reihe von Biografien von Unternehmern skizziert, nicht jedoch ihren zumeist ebenso erfolgreichen Werdegang in der frühen Bundesrepublik. Doch die Elitenkontinuität zwischen dem Dritten Reich und der Bundesrepublik ist ein anderes Thema, die aufzuzeigen sich Tooze nicht als Aufgabe gestellt hatte.
Anmerkungen:
[1] Adam Tooze, Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, München 2007. Englische Originalausgabe: The Wages of Destruction. The Making and Breaking of the Nazi Economy, London 2006. Im Folgenden beziehen sich Seitenangaben in () auf die deutsche Ausgabe.
[2] Hans-Ulrich Wehler, Die Logik der Aufrüstung, in: Die Weltwoche 29/07, im Internet unter:
www.weltwoche.ch/artikel/?AssetID=16933&CategoryID=95.
[3] vgl. dazu Guido Speckmann/Gerd Wiegel, Faschismus oder „Nationaler Sozialismus“? Neuere Tendenzen der Faschismusforschung, in: Z – Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 72. Dezember 2007, S. 24-40.
[4] „Als warnendes Beispiel darf hier die Entwicklung der Motorenindustrie gelten. Nicht nur, dass wir Deutschen z.B. trotz unserer lächerlichen Löhne nicht in der Lage sind, gegen die amerikanische Konkurrenz auch nur einigermaßen erfolgreich zu exportieren, müssen wir zusehen, wie selbst in unserem eigenen Land der amerikanische Wagen sich in beängstigender Weise breit macht.“ So der frühe Auto-Fan Hitler in: Hitlers Zweites Buch. Ein Dokument aus dem Jahr 1928, hrsg. von Gerhard L. Weinberg, Stuttgart 961, S. 123.
[5] Michael Schneider, Unterm Hakenkreuz. Arbeiter und Arbeiterbewegung 1933 bis 1939, Bonn 1999, S. 777.
[6] Ebd., S. 484.
[7] vgl. Werner Röhr, Großkapital und Faschismus. Man kann nicht ewig hochrüsten, ohne den Krieg zu wollen (Rezensionsessay zu Adam Tooze, Ökonomie der Zerstörung), in: Z – Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 72, Dezember 2007.
[8] Ebd.
[9] vgl. Otto Köhler, Der Wechsel-Wehler, in: junge Welt vom 3.8.2007; ders.: Das Lindenblatt des Adam Tooze, in: junge Welt vom 27.8.2007; ders.: Die Federhalter der BASF, in junge Welt vom 18.9.2007 sowie ders.: …wirst du was in Bielefeld, in: junge Welt vom 8.11.2007.
[10] John Maynard Keynes, Nationale Selbstgenügsamkeit (1933), in: H. Mattfeldt, Keynes. Kommentierte Werkauswahl, Hamburg 1985, S. 156.
[11] Ders., wirtschaftliche Möglichkeiten unserer Enkelkinder (19301, in: N. Reuter, Wachstumseuphorie und Verteilungsrealität, Marburg 1998, S. 119.
(aus: Sozialismus 2/2008)