Thomas Kroll, Kommunistische Intellektuelle in Westeuropa. Frankreich, Österreich, Italien und Großbritannien im Vergleich (1945-1956), Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2007, 775 S. 74,90 Euro
Vorliegende Studie ist eine überarbeitete Habilitationsschrift, die sich zum Ziel gesetzt hat, eine „bislang ungelöstes historisches Phänomen der westeuropäischen Geschichte“ (2) zu lösen: Es geht darum, Gründe für das Engagement Intellektueller für den Kommunismus sowjetischer Prägung in den prosperierenden parlamentarischen Demokratien Frankreichs, Österreichs, Italiens und Großbritanniens zu finden. Thomas Kroll geht den historischen Ursprüngen für diese Attraktivität nach, indem er zu klären versucht, „aufgrund welcher Erfahrungen, mit welchen Zielen und in welchen Formeln sich westeuropäische Intellektuelle in den Jahren von 1945 bis 1956 für den Kommunismus engagierten.“ (ebd.)
Methodisch hebt sich der Verfasser – allerdings lediglich graduell – mit seiner Methode des internationalen Vergleichs und eines „neuartige[n], glaubensgeschichtliche[n] Ansatz“ (9) von den bisherigen Erklärungsansätzen ab, die im Wesentlichen dem Konzept der „politischen Religion“ und der Totalitarismustheorie verpflichtet waren. Der internationale Vergleich wird anhand von drei Achsen vorgenommen. Erstens werden die konkreten politischen, sozialen oder religiösen Erfahrungen des kommunistischen Engagements der Intellektuellen erforscht. Zweitens wird eruiert, was die Intellektuellen der verschiedenen Länder jeweils unter Kommunismus verstanden und welche Ziele sie mit ihrem Engagement verfolgt haben. Die dritte Achse verfolgt die Frage, welches politische Selbstverständnis und zu welchen Formen des Engagements die Intellektuellen tatsächlich griffen.
Grundannahme Krolls ist, dass „das kommunistische Engagement der Intellektuellen Westeuropas als Ausdruck einer säkularen politischen Glaubenshaltung zu verstehen ist.“ (9) Im Unterschied zum Konzept der „Politischen Religion“ von Eric Voegelin, das den Glauben an den Kommunismus als irrationale Kompensation für den Verlust einer transzendentalen Religion fasst, betont der Autor mit Bezug auf Paul Tillich, dass unter Glauben eine Gesinnungsqualität zu verstehen sei, die sich dadurch auszeichne, dass der Gläubige sein Handeln freiwillig einer absolut gesetzten Sache unterwerfe (10). Die daraus resultierende Forschungshypothese lautet: „Die Intellektuellen wurden Kommunisten wegen des Kommunismus, also der Vision einer ökonomisch gerechten, harmonischen Gesellschaft, in der die Individuen sich ohne die Einwirkung staatlichen Zwangs frei entfalten und assoziieren könnten.“ (ebd.)
Wiederum mit Tillich differenziert Kroll seinen Glaubensbegriff in einen utopischen und einen sakramentalen aus. Während ersterer auf das, was kommen soll, nämlich die klassenlose Gesellschaft, zielt, richtet sich letzterer auf das, was schon ist: der Sozialismus in der Sowjetunion.
Krolls hat in Anschluss an Norberto Bobbio und Stefan Collin ein weites Intellektuellenverständnis. Als Intellektuelle werden all jene verstanden, die Wissen, Theorien, Ideen oder auch Meinungen zu Problemstellungen von allgemeiner Bedeutung schöpferisch hervorbringen und/oder öffentlichkeitswirksam verbreiten (14). In Bezug auf ihr Selbstverständnis unterscheidet der Verfasser ein autonomes und ein heteronomes Rollenverständnis. Während das autonome überwiegend bei kommunistischen Intellektuellen mit einem utopischen Glauben vorzufinden ist, so korrespondiert das heteronome in erster Linie mit einer sakramentalen Glaubenshaltung. Die Ursprünge und die Dauer des Glaubens, so eine weitere Hypothese, ist abhängig von den konkreten sozialen, politischen oder religiösen Erfahrungen. Diese werden mit den Kategorien „Konversion“ und mit dem Generationenbegriff empirisch erforscht.
Der Verfasser stützt sich bei dieser Erforschung auf eine – man kann es nicht anders sagen – gigantische Menge von Quellen (Literatur- und Quellenverzeichnis beanspruchen nicht weniger als 100 Seiten des Bandes). Untersucht wurden 606 Biografien von kommunistischen Intellektuelle, wobei in vorliegender Studie nur ausgewählte präsentiert werden. Chronologisch wird sodann in vier Kapiteln das Engagement von kommunistischen Intellektuellen anhand der Forschungsfragen in Frankreich, Österreich, Italien und Großbritanniens beschrieben. Das hier aufgearbeitete Material ist für jede/n Interessierte/n eine wahre Fundgrube.
Das ändert jedoch nichts daran, dass die Prämissen und theoretischen Zugänge der Studie in Zweifel zu ziehen sind. So etwa der glaubensgeschichtliche Ansatz in Anlehnung an Tillich. In der Fachdiskussion wird gegen ihn eingewendet, dass dieser den Theismus nur religionsphilosophisch überboten habe. In der affirmativen Seins-Bejahung, bei der sich vermittelt über Heidegger auch der Einfluss Nietzsches niederschlägt, werde somit die widerständige Potenz des Glaubens zurückgenommen. Eine widerständige Potenz, die im Glaubensbegriff von Antonio Gramsci und Ernst Bloch hingegen enthalten ist. Diese verstanden Glauben als allgemeine Dimension gesellschaftlicher Praxis und Subjektivität. Ihnen ging es darum zu zeigen, dass Glauben auch als eine oppositionelle und ideologiekritische Macht auftreten kann, die den Subalternen zu Kohärenz und Ausdauer verhelfen könne.
Krolls Hauptfazit kann überdies nur denjenigen überraschen, der Anhänger der ínkriminatorischen Totalitarismustheorie ist. Ein Ergebnis lautet nämlich, dass das kommunistische Engagement nicht – wie zum Beispiel Furet in „Das Ende der Illusion“ argumentierte – monolithisch war, sondern äußerst komplex und vielgestaltig. Der kommunistische Glaube – so die zentrale Schlussfolgerung – hatte in Europa ein Janusgesicht. „Zwar entwickelte der kommunistische Glaube von Intellektuellen vielfach eine totalitäre Stoßrichtung, doch wohnten ihm auch Entwicklungsmöglichkeiten inne, […], die unter bestimmten historischen Umständen in das Engagement für die Forcierung von gesellschaftlichen Demokratisierungsprozessen westlichen Zuschnitts münden konnten.“ (630) Als Beispiel für eine totalitäre Entwicklung gelten dem Verfasser die französischen Intellektuellen, während das Engagement der italienischen KP-Mitglieder eine demokratische Stoßrichtung zeitigte. Dies wird u.a. auf die Rolle Gramscis und seiner angeblichen idealistischen und voluntaristischen Variante des Marxismus zurückgeführt. Verallgemeinernd heißt es, kommunistisches Engagement führe in autoritären Ländern (Italien, partiell Österreich) zu Demokratisierungseffekten, währen es in bereits demokratischen Ländern eine totalitäre Wendung oder „zumindest eine diktatorisch-gewaltbereite Stoßrichtung“ erfahre. (640)
Kroll bleibt mithin einem etwas differenzierteren Totalitarismuskonzept verhaftet, welches Kommunismus zunächst einmal per sie als totalitär und gewaltbereit voraussetzt.