Zwei Bücher versuchen sich an Erklärungen zu den »Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes« – und ihr Verhältnis zum Kapital
Am 20. Oktober 2014 gingen zum ersten Mal die »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« in Dresden auf die Straße. Den langen Titel konnte sich zunächst kaum jemand merken – und es schien zunächst auch nicht notwendig, sich mehr Gedanken über das kleine Demo-Häufchen im Freistaat Sachsen zu machen. Doch als zu ihren Montagsspaziergängen immer mehr Menschen strömten, wurde zumindest das Akronym Pegida schnell bekannt.Und als die Initiatoren um Lutz Bachmann und Kathrin Oertel im Januar 17 000 bis 25 000 Menschen mobilisieren konnten und es Ableger in anderen Städten gab, war die Presse voll von Versuchen, dieses Phänomen zu verstehen. Und spätestens da kam auch vielen Beobachtern der volle Name dieser Bewegung leichter über die Lippen.
Inzwischen liegen die ersten Bücher über das Phänomen Pegida vor, die oft als islamkritische und rassistische Bewegung beschrieben wird. Philipp Becher, Christian Begass und Josef Kraft, junge Sozialwissenschaftler aus Siegen, zeichnen in ihrem schmalen Buch nicht nur die Entstehung von Pegida, sondern auch von Legida, den Hooligans gegen Salafisten, der Pro-Bewegung in NRW sowie die Proteste gegen die Bildung der Rot-Rot-Grünen Landesregierung in Thüringen nach. Ihr Thema ist auch die Alternative für Deutschland (AfD) sowie ein Blick über den nationalen Tellerrand hinaus auf rechte Bewegungen und Parteien in Frankreich, Großbritannien und Italien. Diese Teile des Buches sind durchaus informativ und geben einen guten Überblick. Doch wie werden diese »zeitgenössischen Impressionen« zusammengehalten, welche Ursachen gibt es für sie? Das zu klären ist der in der Einleitung gestellte Anspruch der Autoren – an dem sie scheitern. Ihre eingangs aufgestellte Leithypothese lautet: »Die rechtsaffinen und zum Teil offen reaktionären bürgerlichen Protestbewegungen unserer Tage sind keine spontanen Ausdrücke des ›Volkszorns‹, sondern befinden sich in einem Verhältnis gegenseitigen Nutzens mit gemeinhin dem Rechtspopulismus zugeordneten parteiförmigen Formationen.« Damit meinen sie die AfD, die sie als »Katalysator« eines Teils der »Leistungsträger« in Symbiose mit den bürgerlichen Protesten sehen.
Im Fazit führen die Autoren zwar nicht näher aus, was sie mit Symbiose meinen, aber sie spitzen ihre Hypothese zu einer Erklärung zu – einer problematischen. Die rechten Bewegungen seien, so heißt es, Bestandteil eines Versuchs, »ein weiter nach rechts verschobenes, mithin wirtschaftsfreundliches Gesellschaftsprojekt zu etablieren«. Und weiter: »Was in den bürgerlichen Salons vorgedacht wurde, wird nun von einer massenhaften Bewegung auf die Straße getragen.« Das ist ein Argument, dass die Massen lediglich als Instrument in den Händen rechter Eliten versteht. Und den Rassismus und die Islamfeindschaft von Pegida und Co. nicht kritisiert, weil diese menschenfeindlichen Ideologien sind, sondern weil sie angeblich ein Projekt neoliberaler Eliten sind. Eine arge Verkürzung. Womit nicht gesagt ist, dass in Teilen des Bürgertums oder auf Seiten des Kapitals kein Rassismus zu finden ist. Allerdings positionieren sich maßgebliche Wirtschaftsverbände nicht erst seit der jüngsten »Flüchtlingskrise« doch eher antirassistisch.
Auch Erhard Crome, Politikwissenschaftler und Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung, hat sich Gedanken über die neuen rechten Bewegungen und Parteien in Deutschland gemacht. Auch ihn interessiert, in welchem Verhältnis diese zum Kapital stehen. Aber er geht mit Bezug auf eine in seiner Stiftung erstellten Studie über Kapitalfraktionen und ihr Verhältnis zur Euro-Krise diese Frage viel differenzierter an. In bürgerlichen Kreisen sind demnach nur die »reaktionären Kräfte«, dazu zählt der Verband der Familienunternehmer, für die AfD ansprechbar, weil sie im Unterschied zum Monopolkapital bzw. der global-expansiven Kapitalgruppierungen weniger ihre Interessen in der politischen Sphäre durchsetzen können. Für die AfD prognostiziert Crome: »Wenn sie es geschickt anstellt, kann sie diese Gruppe erreichen und sich als den politischen Vertreter ihrer Interessen darstellen.« Allerdings wurden diese Zeilen noch vor der Abspaltung der wirtschaftsliberalen AfDler um Bernd Lucke geschrieben. Insofern ist Cromes Buch hier wie an anderen Stellen bereits überholt.
Von bürgerlichen Politikern war oft zu hören, man müsse die Sorgen der Pegida-Demonstranten ernst nehmen. Das tut Crome auf seine Weise. Er wendet sich gegen das Argument, Pegida in alarmistischer Absicht mit Phänomenen des historischen Faschismus zu vergleichen, wie das seiner Meinung nach in der Linken durchaus üblich sei (er bringt Beispiele aus »taz« und »Jungle World«). Sicher, ein In-Eins-Setzen von Rechtspopulismus, Rechtskonservatismus und Faschismus ist analytisch unzulänglich. Was Crome macht, ist es aber auch. Denn der Rassismus und die Islamfeindlichkeit von Pegida kommt bei ihm nur als untergeordnetes Element vor. Es sei nicht ausgemacht, ob es bei aller lauter Polemik im Kern wirklich um den Islam gehe, schreibt er. Und wörtlich: »Oder ob es nicht vielmehr um die Chiffre für die größtmögliche Provokation in dieser Gesellschaft geht, mit der man zugleich möglichst viele Menschen mobilisieren kann.«
Und Crome setzt noch einen drauf. Das Verwenden der »Wir sind das Volk«-Parole aus der »Friedlichen Revolution« von ’89 durch Pegida interpretiert er als Ausdruck des Willens der Mehrheit der Menschen in diesem Lande, wie bisher und besser zu leben. Rechts sei die Mehrheit in diesem Lande keineswegs.
Worauf sowohl Crome als auch Becher/Begass/Kraft nicht Bezug nehmen sind die »Mitte«-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Bielefelder Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer und Andreas Zick. Diese wiesen zwar im größeren Zeitverlauf eine Abnahme extrem rechten Denkens nach. Allerdings stellt Zick in der lesenswerten Ausgabe von »Aus Politik und Zeitgeschichte« mit dem Titel »Rechts in der Mitte?« fest, dass 42 Prozent der befragten Deutschen mit ihren Einstellungen in Richtung Rechtspopulismus tendieren, 20 Prozent haben ein eindeutig rechtspopulistisches Weltbild. Es steht zu befürchten, dass die nächste Erhebung angesichts der Flüchtlingskrise wieder eine ansteigende Tendenz von rassistischen Einstellungen in der Bevölkerung feststellen wird. Die fast täglichen Übergriffe auf Asylbewerberheime sind die Vorboten.
Phillip Becher/Christian Begass/Josef Kraft: Der Aufstand des Abendlandes. AfD, Pegida & Co.: Vom Salon auf die Straße. PapyRossa. 130 S., br., 11,90 €.
Erhard Crome: AfD. Eine Alternative? Spotless. 128 S., br., 9,99 €.
aus: neues deutschland, 19.10.2015