Wir haben nicht vor, etwas Konstruktives zu tun

Deutsches Theater Berlin: »Väter und Söhne« von Brian Friel nach dem Roman von Iwan Turgenjew

Der russisch-britische Philosoph Isaiah Berlin schrieb über den 1861 erschienenen Roman »Väter und Söhne« von Iwan Turgenjew: Das Buch sei ein entscheidendes Dokument für das Verständnis der russischen Vergangenheit und unserer Gegenwart. Um 1861 wurde in Russland die Leibeigenschaft aufgehoben und wurden Reformen angestoßen. Parallel dazu entstand eine antiautoritäre Bewegung. Turgenjews Buch sollte dieser ihren Namen geben: Nihilismus. Denn die zwei Hauptfiguren des Romans, die Studenten Jewgenij Bazarow und Arkadij Kirsanow, sind leidenschaftliche Anhänger dieser Strömung.

Doch Turgenjews Stoff ist nicht nur Geschichtsquelle, die auf die Entstehung der sozialrevolutionären Narodniki und mit der Figur des kompromisslosen Bazarow bereits auf den Bolschewismus verweist. Das Sujet erzählt auch vom »ewigen Konflikt zwischen Jung und Alt, von Verändern und Bewahren«, so zumindest die Ankündigung des Deutschen Theaters zu seiner Inszenierung von »Väter und Söhne«. Regisseurin Daniela Löffner stützt sich dabei auf die Dramatisierung des Anfang Oktober verstorbenen irischen Dramatikers Brian Friel. Stärker betont wird in der – überaus gelungenen – Inszenierung die Verbindung von Nihilismus und politischem Anarchismus. Marcel Kohler als Arkadij Kirsanow und Alexander Khuon als Jewgenij Bazarow symbolisieren diese schon durch ihre schwarze Kleidung, die existenzialistisch-anarchistisch anmutet, tatsächlich aber auch bevorzugte Kleidung der russischen Nihilisten in den 1850/60er Jahren war. Arkadij, mit Bazarow auf das Gut seines liberalen slawophilen Vaters Nikolaj zurückgekehrt, schleudert diesem und seinem Onkel Pawel kurz nach der Ankunft entgegen: »Wir wissen, dass es Arm und Reich gibt, wir wissen, dass sich die Politik nur um Geld dreht, wir wissen, dass sich die Politiker bestechen lassen und dass die Justiz nicht unabhängig ist. Wir haben es satt, noch länger auf die sogenannten Liberalen und die vermeintlichen Linken zu hören.« Ein Nihilist sei einer, der sich zu allem kritisch verhält. Die Welt müsse neu geschaffen werden, wenn etwas nützlich ist, kann es bleiben, wenn nicht, dann weg damit – so lauten die Losungen der Nihilisten. Und Bazarow ergänzt, wir haben nicht vor, etwas Konstruktives zu tun.

Während Nikolaj, der soeben sein Land den Bauern überlassen hat und sich fragt, ob sie dieses überhaupt bewirtschaften können, skeptisch und ausweichend reagiert, hält sein dandyhafter Bruder Pawel dagegen: Das sei uralter, abgestandener Blödsinn, Bazarow ein Dummschwätzer mit Goldmedaille – eine Anspielung auf dessen Auszeichnung im Rhetorikwettbewerb. Zwischen Pawel und Bazarow wird es später im Streit um Fenitschka, Nikolajs Geliebte, zum Streit und zum Duell kommen – mit komisch-glimpflichem Ausgang. Es ist der eine Höhepunkt des Stückes. Der andere ist die Liebesbeziehung, die sich zwischen dem schroff-unnahbaren Bazarow und der reichen Witwe und Gutsbesitzerin Anna Odinzowa (Franziska Machens) entwickelt. Für den Sohn eines nichtadeligen Arztes ist die Liebe nur ein eingebildetes Gefühl, eine romantische Krankheit. Umso erschütterter muss er feststellen, dass sie von ihm Besitz ergreift – und damit sein Weltbild ins Schwanken bringt. Die auf ihre Unabhängigkeit bedachte Odinzowa weist ihn zurück. Bazarow stirbt schließlich an Typhus. Sein Kompagnon Arkadij schwört, das revolutionäre Erbe seines Freundes fortzusetzen – und kündigt seine Heirat mit Katia, der Schwester der Odinzowa an. Das Ende bei Turgenjew sorgte seinerzeit für heftige Kontroversen. Die Nihilisten sahen sich zu schlecht dargestellt, Liberale monierten die vermeintliche Idealisierung Bazarows.

Die ohne Schnickschnack auskommende Inszenierung dauert rund 240 Minuten, zehn wären vielleicht entbehrlich gewesen. Schwierig, die Leistung eines Schauspielers oder einer Schauspielerin hervorzuheben, das ganze Ensemble ist hervorragend. Bleibt nur die Frage: Gibt es den Konflikt zwischen Vätern und Söhnen auch heute noch? Sind nicht die Väter und Mütter heute progressiver und radikaler als ihre Kinder?

aus: neues deutschland, 15.12.2015

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