Das Geldphantasma

Paul Schreyer: Wer regiert das Geld? Banken, Demokratie und Täuschung. Westend Verlag, Frankfurt/Main 2016, 224 S., € 17,99

Sind Sie der Meinung, dass Zentralbanken oder Regierungen Geld produzieren? Falls ja, so befinden Sie sich in guter Gesellschaft. 84 Prozent der Frankfurter und 73 Prozent der Schweizer sind Umfragen zufolge dieser Ansicht. Selbst 71 Prozent der britischen Parlamentsabgeordneten haben die Überzeugung, dass allein die Regierung Geld schöpft. Das Problem ist nur: Sie wähnen sich in einem Geldsystem, das ein Phantasma ist.
20 Prozent des in Deutschland umlaufenden Geldes ist Münz- oder Papiergeld, der Rest wird von privaten Banken auf elektronische Weise geschaffen, durch die Vergabe von Krediten. Bei dieser Kreditvergabe wird weder einem anderen Konto ein Gegenwert abgezogen noch vergibt die Bank überschüssiges Geld, das Kunden vorher eingezahlt hatten. Die Schöpfung von sogenanntem Giralgeld kommt dem Gelddrucken der staatlichen Notenpresse gleich. Es ist ein Milliardengeschäft für die großen Bankhäuser. In Deutschland geht es jährlich um Gewinne im zweistelligen Milliardenbereich, im Euroraum insgesamt um dreistellige Milliardenbeträge.

Der überwiegend für »Telepolis« arbeitende Journalist Paul Schreyer leistet mit seinem neuen Buch »Wer regiert das Geld?« Aufklärungsarbeit. Er räumt auf mit falschen Vorstellungen über das moderne Geldsystem, die bis in Standardlehrbücher der VWL verbreitet sind. Eine komplizierte Materie, die der Autor jedoch sehr verständlich und gut lesbar vermittelt.

Interessant seine historischen Ausführungen. Die Weltgeschichte wird gleichsam als Ringen um das Zepter über die Schöpfung des Geldes und deren Steuerung interpretiert. Mal lag die Macht in den Händen des Herrschers oder des Staates, mal in der von privaten Geldhäusern und Vermögenden. Beispiel die Bank von Amsterdam: Die 1609 von der Amsterdamer Stadtverwaltung gegründete Bank hatte ausschließlich das Ziel, ein öffentlich kontrolliertes stabiles System für den Zahlungsverkehr zu schaffen. Kredite wurden zunächst nicht vergeben, auch keine Zinsen auf Einlagen gezahlt. Händler waren fortan nicht mehr auf private Geldwechsler angewiesen, konnten über die Bank zuverlässig ihre Geschäfte abwickeln. Das Besondere der Bank of Amsterdam: Die Leitung lag vermittelt über einen Ausschuss in den Händen des Stadtrates. Die Gewinne kamen der Stadtkasse zugute, nicht privaten Anteilseignern. Die Bank gewann schnell Bedeutung über Amsterdam hinaus und war mitverantwortlich für den Aufstieg Hollands zur Weltmacht. Anders in England: Das Geschäftsmodell der Bank of England lautet: privater Profit aus Geldschöpfung mit staatlicher Absicherung. Das wurde zum Vorbild für die moderne Finanzwelt.

Schreyers Schlussfolgerungen: Die Macht über die Geldschöpfung gehört in staatliche Hände – auch aus demokratietheoretischen Gründen. Über den Staat hätte zumindest die Bevölkerung die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Wir hören schon die Aufschreie des liberalen Mainstreams. Der Staat wird dann die Notenpresse anwerfen und sich selbst Geld drucken. Eine Hyperinflation wäre vorprogrammiert, in Deutschland das Schreckgespenst schlechthin. Doch Schreyer argumentiert, dass das nur während der französischen Revolution durch die Ausgabe der Assignaten eingetreten ist. Zu ergänzen wäre: Gibt es nicht derzeit durch die Giralgeldschöpfung privater Banken eine Inflation der Vermögenstitel?

Die Vorschläge des Autors laufen auf keine Revolution hinaus: »Kein sowjetischer Sozialismus also, keine Bankenverstaatlichung, sondern einfach nur staatliches Geld.« Es geht mithin um ein Geldsystem, in das sich der Großteil der Bevölkerung bereits wähnt. Sogenannte Vollgeldinitiativen, auch Monetative genannt, setzen sich derzeit dafür ein, dass ausschließlich die Zentralbank über die Geldschöpfung bestimmt. Die Schweizer dürfen darüber in Bälde abstimmen. Selbst der Internationale Währungsfonds hat in einem Arbeitspapier dessen Vorzüge hervorgehoben. Aber der einseitige Blick auf ein Geldsystem – wie auch immer ausgestaltet -, auf die Zirkulationssphäre lässt eines unberücksichtigt. Wie hängt das mit der kapitalistischen Produktionssphäre zusammen? Diese Frage stellt sich Schreyer nicht.

aus: neues deutschland, 30.03.2016

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