»Handelsblatt«-Autor Norbert Häring über die Abschaffung des Bargeldes und die Folgen
Großbritannien im September 2008: Lange Schlangen bilden sich vor den Filialen einer Bank namens Northern Rock. Das Begehren der wartenden Menschen: möglichst schnell ihr Geld von der pleitebedrohten Bank abzuheben. Die Bilder dieses Bank Runs gingen um die Welt. Aufmerksam registriert wurden sie auch in Berlin. Kanzlerin Merkel und ihr damaliger Stellvertreter Per Steinbrück gingen vor die Kamera, um den besorgten Deutschen zu versichern: Eure Spareinlagen sind sicher!
Die Vermeidung eines Bank Runs ist das wichtigste Motiv, das der Wirtschaftsjournalist Norbert Häring hinter den lauter werdenden Stimmen nach Begrenzung und Abschaffung des Bargeldes sieht. Gäbe es kein Bargeld mehr, würde auch niemand auf die Idee kommen, sein elektronisches Geld auf den Girokonten in große Scheine umzuwandeln. Nur Bares ist Wahres – diese Redensart hätte dann ausgedient. Zurzeit bringt sie freilich noch zum Ausdruck, dass der Betrag auf den Bankkonten ein Anspruch auf Auszahlung dieser Summe in das laut Gesetz allein gültige Zahlungsmittel ist: Euroscheine und Münzen.
Dass dieses Anrecht nicht immer gilt, war letztes Jahr in Griechenland zu sehen. Angesichts der Krise beschränkten die Banken die Auszahlung auf 60 Euro täglich. Ein ähnliches Lied wussten jene Zyprer mit mehr als 100 0000 Euro auf der hohen Kante 2013 zu singen. Die von der EU aufgezwungene Lösung der Bankenkrise beteiligte sie mit 50 Prozent ihres Vermögens an der Sanierung der Geldhäuser. Das nennt man Bail-In. Auch das ist Häring zufolge ein Motiv hinter der Anti-Bargeld-Kampagne. Denn ohne Bargeld könne man notfalls einfach die Einleger auf so viel von ihrem Geld verzichten lassen, dass die meisten Banken liquide und solvent bleiben, so der Journalist des »Handelsblatts«.
Kampagne? Häring spricht gar von einem Krieg gegen das Bargeld, der mit der Finanzkrise von 2008 zu schwelen begann, 2013 mit dem ersten Plädoyer eines wirklich prominenten Schwergewichts – des Ex- Weltbank-Chefökonomen und US-Finanzministers Larry Summers – eröffnet wurde und der inzwischen auf breiter Front wütet. Immer weitere prominente Ökonomen sprechen sich für die Abschaffung des Bargeldes aus, auch der keynesianisch orientierte Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Und es gibt ja bereits zahlreiche gesetzliche Einschränkungen des Bargeldverkehrs. Franzosen dürfen beim Kauf von Konsumgütern nur noch maximal 1000 Euro bar bezahlen, im US-Bundesstaat Louisiana ist der Barkauf gebrauchter Waren untersagt. Die Schweden können kaum noch Bargeld auf Banken einzahlen oder abheben. Weiteres ist geplant. Die EZB überlegt, den 500-Euro-Schein abzuschaffen, Dänemark bereitet ein Gesetz vor, dass kleine Geschäfte, Tankstellen und Restaurants von der Pflicht zur Bargeldannahme entbindet.
Hinter der »Verschwörung gegen das Bargeld« sieht Häring ein Netzwerk, dessen Zentrum an der Ostküste der USA liegt und zu dessen zentralen Figuren Summers, der Ökonom Ken Rogoff und EZB-Präsident Mario Draghi gehören. Diese seien in engen Seilschaften verbunden, wozu die Harvard-Universität, das MIT, die Group of Thirty, eine private Lobbyorganisation der Finanzwirtschaft, die Bilderberg-Konferenz, Goldman Sachs, der Weltwährungsfonds und die Weltbank gehörten. Häring spricht von gezielter Koordinierung der Anti-Bargeld-Aktivitäten. Das liegt nahe, aber der Autor kann zumeist nur personelle Verflechtungen aufzeigen und Mutmaßungen über Tagesordnungspunkte anstellen.
Diese Spekulationen sind die wenigen Schwachpunkte seines Buches. Überzeugend arbeitet Häring heraus, welche Gefahren und Absichten mit der Abschaffung des Bargeldes verbunden sind. Neben der Vermeidung eines Bank Runs gehört zu den Motiven auch die Ausweitung des Handlungsspielraumes der Notenbanken. Würde das Bargeld zurückgedrängt, griffe die Niedrig- und Negativzinspolitik viel stärker. Das Ausweichen auf Bares wäre nicht mehr möglich.
Offiziell begründet wird die Restriktion des Bargeldes mit der Bekämpfung von Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung und Terrorismus. Doch diese Phänomene sind alle nicht neu, lautet Härings Einwand. Zudem: Sind Bargeldfeinde wie die Großbank HSBC nicht auch verurteilte Kriminelle, weil sie Vermögenden halfen, Steuern zu hinterziehen oder im großen Stil mit der Drogenmafia Geld wuschen? Die HSBC ist beileibe kein Einzelfall – und die Machenschaften der Großbanken erfolgen alle bargeldlos.
Hinter dem vorgeschobenen Kriminalitäts-Argument vermutet Häring zwei weitere – sehr banale – Gründe, über die kaum geredet wird. Kreditkartenunternehmen und sogenannte derzeit aus dem Boden sprießende Fintech-Unternehmen würden durch die zusätzliche Abwicklung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs eine nicht unbeträchtlich Profitquelle zugänglich gemacht. Und überdies würde der Gewinn aus der Geldschöpfung im Falle der Abschaffung von Bargeld ausschließlich privaten Banken zufließen – nicht mehr den Notenbanken.
Geldschöpfungsgewinn? Um dieses Phänomen zu erklären, muss etwas weiter ausgeholt werden. Die meisten Leute nehmen an, dass das Geld vom Staat bzw. der Notenbank geschaffen wird. Die gesetzlichen Zahlungsmittel Münzen und Scheine machen in Deutschland jedoch nur rund 20 Prozent der Geldmenge aus, in Europa ist es noch weniger. Der überwiegende Teil des Geldes ist Buch- oder Giralgeld, das durch private Banken per Kreditvergabe entsteht. Man spricht von der Geldschöpfung aus dem Nichts, weil die Banken keineswegs nur das Geld weitervermitteln, welches sie von Sparern vorher eingesammelt haben. Sie belasten für den Kredit auch nicht ein anderes Konto. Für den Kredit und das aus dem Nichts geschöpfte Geld werden gleichwohl Zinsen verlangt. Das ist der Geldschöpfungsgewinn. Die EZB weist ihn pro Jahr mit 20 bis 25 Milliarden aus. Für den Privatbankensektor hat ihn der niederländische Ökonomie- und Statistikprofessor Merijn Knibbe brutto auf 300 Milliarden geschätzt. Es gibt nicht viele Wissenschaftler, die sich mit diesem Thema beschäftigen, deshalb sind das nur grobe Schätzungen.
Im Falle des Verschwindens des Bargeldes, würde sich folglich auch der Gewinn aus der Schaffung von Buchgeld erhöhen. Wir wären dann alle Geiseln in den Händen von Banken und Geldunternehmen, schreibt Häring. Zudem wüssten diese dank der vollständigen elektronischen Abwicklung des Zahlungsverkehrs über all unsere Käufe Bescheid. Ein datenschutzrechtliches Desaster, auch darauf geht der Autor ausführlich ein. Vorausgesetzt, es bleibt bei der privaten Buchgeldschöpfung. Man könnte diese auch verstaatlichen, Buchgeld in staatlich gesichertes Aktivgeld umwandeln, zum Beispiel durch Konten bei der Bundesbank. Diese Vorschläge werden unter den Stichwörtern Vollgeld oder Monetative diskutiert, in der Schweiz wird darüber sogar bald abgestimmt. Auch diese Alternativen stellt Häring vor. Und zum Schluss ruft er seinen Lesern zu: Leistet Bargeld-Widerstand, zahlt, wann immer es geht, bar! Derweil schreitet er schon einmal voran. Weil er darauf pocht, seine GEZ-Gebühren mit dem gesetzlichen Zahlungsmittel zu leisten, befindet er sich zurzeit in einer juristischen Auseinandersetzung.
Norbert Häring: Die Abschaffung des Bargelds und die Folgen. Der Weg in die totale Kontrolle, Köln 2016, Quadriga, 256 S., geb., 18,00 €.
aus: neues deutschland, 19.3.2016