Mit »Wir werden erwartet« schließt Ulla Hahn ihren autobiografischen Romanzyklus ab
Uwe Timm, Peter Schütt, Franz-Josef Degenhardt und Erika Runge – sie alle waren Mitglieder in der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Manche bis zum Tod, andere bis 1989, einige nur wenige Jahre. Zu Letzteren gehört auch die in Hamburg lebende, als Lyrikerin bekannt gewordene Ulla Hahn. Ihr neuer Roman »Wir werden erwartet«, der vierte und abschließende eines erfolgreichen und zum Teil verfilmten autobiografischen Romanzyklus, handelt von ihren Jahren als Parteikommunistin. Erzählt wird, wie die Protagonistin Hilla Palm, Hahns Alter Ego, Anfang der 1970er Jahre DKP-Mitglied wird und wie sie sich nach Jahren unterdrückter Zweifel in einem schmerzhaften Prozess wieder von der Partei – und den Menschen – löst.
Hahns Buch steht somit in der Tradition der sogenannten Renegatenliteratur, in der Exkommunisten von ihrem Bruch mit der kommunistischen Weltbewegung erzählen. Aber Hahns Buch ist noch viel mehr. Es ist ein beeindruckendes Porträt des 68er-Aufbruchs und seiner Zerfaserung in kommunistische Kleingruppen. Es ist ein Buch darüber, wie man den Tod eines geliebten Partners verarbeitet. Und es ist ein Roman, der über die Prägung von Klasse und Milieu, über das Verhältnis zum Vater sowie über das Werden einer Schriftstellerin Auskunft gibt.
Hilla Palm, Tochter eines Hilfsarbeiters und einer Hausfrau aus einem erzkatholischen Dorf am Niederrhein, erlebt zu Beginn des Romans mit ihrem Freund Hugo, einem großbürgerlichen Klassenverräter, Köln im Jahr 1968. Man demonstriert, diskutiert in Wohngemeinschaften und verbringt in Zweisamkeit einen Urlaub in Rom. Dort erlebt das Liebespaar eine Demonstration der mächtigen italienischen Kommunistischen Partei. Und »urplötzlich, wie hochgerissen, schoss meine geballte deutsche Arbeiterkindfaust in den römisch-kommunistischen Himmel«. Eine Szene, die die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus vorwegnimmt.
Den Weg zur DKP findet die in Germanistik promovierende Hilla erst nach einem Schicksalsschlag. Ihr über alles geliebter Freund stirbt durch einen Autounfall. »Hass füllte die Leere, den Abgrund, den Hugos Tod zwischen mir und der Welt gerissen hatte. Hass auf Gott überwucherte die Trauer um meine Liebe, machte sie beinah erträglich. Dieser Hass hielt mich am Leben.« Und Tabletten, die sie lange nimmt, um sich zu betäuben.
Ihre Lebensfreude langsam wiedergewinnend, lernt Hilla auf einer WG-Party eine junge Frau kennen, die ihr – »wer tat denn heutzutage noch sowas!« – die Hand gibt und sich mit Vor- und Nachnamen vorstellt: Marga Wiedenbusch. Hilla freundet sich mit ihr an, und es stellt sich heraus, dass Marga eine aktive DKP-Genossin ist. Von ihr bekommt Hilla das Kommunistische Manifest zur Lektüre; sie fühlt wie Millionen vor ihr die Freude, die aus dessen Erkenntnissen fließt. Sie glaubt sich gerettet, folgt Marga auf Treffen, auf denen keine großen Worte gemacht werden, sondern Politik für die kleinen Leute. Und sie wird schnell Genossin. Genossin Hilla Palm.
In Hamburg, wohin Hilla zieht, um ihre Doktorarbeit fertigzustellen, stürzt sie sich mit dem Eifer der »Neubekehrten« in die Parteiarbeit. Plakate müssen geklebt, Sandkästen erkämpft und der Mietwucher bekämpft werden.
In einer der wenigen Passagen, in denen die Ich-Erzählerin von einem späteren Zeitpunkt auf ihr früheres Ich zurückblickt, fragt Hilla sich, ob sie Marga auch in eine K-Gruppe oder die SPD mit ihrer Stamokap-Fraktion gefolgt wäre. Durchaus möglich, weil für sie »die Sache« eng verbunden mit einer Person ist, die sie vertritt. Und Marga gibt ihr Halt und Sicherheit, also das, was die Protagonistin nach ihrem Verlust dringend brauchte.
Wenig originell ist, dass das Engagement in der KP mit der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche parallelisiert wird, der Glaube an Gott mit dem Glauben an den Marxismus. Die Katholikin Hilla hat das Glauben von Kindesbeinen an gelernt.
Aber gelernt hat sie auch, im Glauben Zweifel aufkommen zu lassen, von Anfang an ist sie eine unsichere Kantonistin. Schon nach ihrer ersten Parteisitzung, noch in Köln, will sie wieder austreten angesichts der Borniertheit der vorgebrachten Argumente. Sie bleibt, weil sie eine Verpflichtung fühlt gegenüber den alten Genossinnen und Genossen, die zur Zeit des Nazi-Faschismus gefoltert im Kerker saßen. (Und auch, wie sie später erfahren wird, aufgrund von Manipulation.) Die alten Genossen – sie sind für Hilla Garant für die gute Sache, zu Legenden werden sie erst später.
Die Zweifel werden im Laufe der Jahre stärker. Wenn sie etwa mit den Verbrechen des Stalinismus konfrontiert ist. Oder wenn die Freundin Marga zur ausschließlich strengen Genossin wird. Aber erst nach einer Reise in das gelobte Land DDR erhebt sich der Zweifel als Sieger aus ihrem Kampf. Auslöser zum Austritt ist schließlich der Freitod Christof Kievenheims, Initiator eines eurokommunistischen Arbeitskreises, mit dessen Zielen Palm sympathisierte.
Die ihr Leben beschreibenden Exkommunisten zeichnen häufig eine Kontinuitätslinie, um den Bruch mit der Partei, der auch einer in ihrer Biografie ist, abzumildern. Bei Ulla Hahns Alter Ego ist es die Sprache, die Schrift. Schon am Schreibtisch, während sie ihre Dissertation tippt, kritzelt sie Zeilen auf Papier, die ihr Freiheit verschaffen. Es sind Gedichte, die sie aber zunächst nicht so benennen mag. Der Bruch mit der Partei bedeutet auch die Emanzipation der Dichterin Hilla Palm.
Vor dem Epilog ist ein Gedicht abgedruckt. Es ist eine Hommage an die alten Genossen und Genossinnen. Auch das eine Kontinuität: Offenbar ist trotz des Bruchs mit der DKP der Respekt vor deren alten Mitgliedern geblieben.
Ulla Hahn: Wir werden erwartet. Roman. Deutsche Verlags-Anstalt, 640 S., geb., 28 €.
aus: neues deutschland, 10.11.2017