Intensives Atmen vermeiden

Gerhard Henschels achter Martin-Schlosser-Roman ist erschienen

In meinem Briefkasten gammelte nur Reklame für Grillfleisch, Planschbecken und elektrische Zahnbürsten herum.« Martin Schlosser, Gerhard Henschels Alter Ego, hatte jedoch auf den einen oder anderen Honorarscheck gehofft. »Erfolgsroman«, der Titel von Henschels neuem autobiografischem Roman, wirkt zunächst irritierend.

Der Schriftsteller Martin Schlosser ist hier Ende 20 und damit beschäftigt, die Honorare für seine Zeitschriftenbeiträge anzumahnen. Doch es landen nur sporadisch Schecks in Schlossers Briefkasten. Er ist er gezwungen, mit Waschpulver, Schuhsohlen, neuen Fotoalben und Unterhosen strengstens zu haushalten. Aber immerhin werden seine Reportagen, Glossen und Satiren gedruckt. Und wenn dann doch einmal ein Scheck im Briefkasten landet, sind es erkleckliche Summen, die stets exakt beziffert werden. Es ist davon auszugehen, dass Henschels Angaben mit Belegen aus seinem Archiv verifizierbar sind. Denn das leidenschaftliche Aufbewahren, Sammeln und Archivieren gehört zu seiner Arbeitsweise. Kinokarten, Quittungen, Postkarten und selbstverständlich Briefe werden akribisch in Hunderten von Leitz-Ordnern abgelegt. Walter Kempowski hat das einmal die Kleinflora genannt. Und aus dieser strickt Henschel seit nunmehr 14 Jahren einen Roman nach dem anderen, der »Erfolgsroman« ist der achte.

Er beginnt, wo der der Vorgänger, der »Arbeiterroman« aufhörte: Schlosser lebt im friesischen Kaff Heidmühle, trauert seiner verflossenen Liebe Andrea nach, kümmert sich um die gebrechliche Oma in Jever und um seinen im Alkohol versumpfenden Vater in Meppen. Ab und an kellnert er in Jevers verrufenster Disco oder geht einmal ums Karree, »weil mich die Ahnung beschlich, dass ich dabei meiner Traumfrau begegnen könnte, doch ich traf nur einen totgefahrenen Igel an, der sein Winterquartier zur Unzeit verlassen hatte«.

Soziale Kontakte jenseits der Familie? Weitgehend Fehlanzeige. Zumindest in der ersten Hälfte des jüngsten Schlosser-Epos, die sich deshalb etwas weniger flüssig als gewohnt liest. Etwas zu viel wird von der Lektüre Martin Schlossers, zeittypischen Songs und Fernsehsendungen wiedergegeben – wenngleich natürlich alles mit feinem lakonischen oder satirischen Humor kommentiert wird. Ein Beispiel: »Laut Spiegel empfahl das Umweltbundesamt der Bevölkerung wegen der hohen Ozonbelastung intensives Atmen zu vermeiden.« Was von Schlosser so kommentiert wird: »Anstatt den Individualverkehr zu reglementieren und die chemische Industrie in die Pflicht zu nehmen, betätigte sich der Staat als Atemtherapeut! Demnächst rieten einem die Behörden womöglich noch von tiefen Seufzern ab …« Das wirkt wie eine Parallele zur heutigen Diskussion des Dieselskandals. Noch verblüffender sind die Ähnlichkeiten bei den Themen rassistische Gewalt und Aufstieg rechter Parteien.

Fahrt nimmt der Text wieder auf, als neue Personen in Erscheinung treten: Zum Beispiel die heute bekannte Schriftstellerin Kathrin Passig, Anfang der 1990er eine 21-Jährige Anglistikstudentin in Regensburg. Von der ohne Unterlass redenden Passig lernt Schlosser nicht nur den bayerischen Begriff für Mundharmonika kennen: Fotzhobel. In ihr hat er auch einen Dylan-Fan gefunden, dessen Leidenschaft es mit seiner aufnehmen kann. Passig ist zwar immer sehr witzig, doch »nicht fürs Herz«. Sie schläft gar beim Liebesgeständnis ein. Die Liebesbeziehung zerbricht, als Martin nach Berlin zieht.

Dort wird der »Erfolgsroman«, der ursprünglich »Dorfroman« heißen sollte, seinem Namen gerecht. In Berlin lernt er eine Reihe anderer Schriftsteller kennen, unter ihnen Max Goldt, Wiglaf Droste und den kürzlich verstorbenen Michael Rutschky. Zwei Verleger bitten ihn um Buchmanuskripte. Er verliebt sich in seine Zahnärztin, doch die sieht in ihm nur »ein menschliches Wrack mit Karies und Plaque«. Dafür rollt der Rubel. Schlosser landet in einer WG mit Medienleuten, wo der Roman mit einer gemeinsamen Geburtstagsfeier endet. Bei den Vorbereitungen ist Martin Schlosser für das Kartoffelschälen zuständig – was er gern macht. Denn: »Mir ging es gut. Es war sechs Jahre her, daß ich mein Studium abgebrochen hatte, und jetzt verlief mein Leben endlich in geordneten Bahnen.«

Für alle, die die bisherigen Martin-Schlosser-Roman von Henschel kennen, ist auch der »Erfolgsroman« ein Muss, Neulingen sei geraten, mit einem der früheren Romane zu beginnen.

Gerhard Henschel: Erfolgsroman. Hoffmann & Campe, 608 S., geb., 26 €.

aus: neues deutschland, 8.12.2018

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