Andreas Lehmann: Über Tage. Roman. Karl-Rauch-Verlag, Düsseldorf 2018. 174 Seiten, 20 EUR.
Joscha Farnbach, Angestellter in einer Druckerei, weiß auf die Frage seiner Kollegin, was er am Wochenende mache, nur zu antworten: »Ausruhen, denke ich.« Symptomatisch für das »wie immer« dahinfließende Leben zwischen Lieferscheinen, Kantinenessen und dem freudlosen Zusammensein mit seiner Freundin. Aus dem Tritt gerät sein Leben, als Farnbach von seinem Chef aufgefordert wird, nach Augsburg zu reisen, um einen unzuverlässigen Lieferanten persönlich zur Räson zu bringen. Die Stadt seiner Jugendjahre beschwört eine Angst hervor, die sich zu Panikattacken auswächst. Der Unfalltod der Eltern ist nicht verwunden, ein traumatisches Erlebnis dort plagt ihn. Farnbach weigert sich mit eigenen Mitteln, der Anweisung des Chefs nachzukommen. Er nimmt den falschen Zug, wird krank. »Über Tage« ist das Romandebüt des 1977 geborenen Autors Andreas Lehmann. Seine Prosa ist fein, ruhig und präzise. Ein Kritiker erkannte in dem Roman Reminiszenzen an die sogenannte Angestelltenprosa der 1970er Jahre, etwa an die »Abschaffel«-Trilogie des im Dezember 2018 verstorbenen Büchner-Preisträgers Wilhelm Genazino. Das ist einerseits zutreffend, weil Lehmanns Darstellung des tristen Büroalltags in der Tat gelungen ist. Andererseits etwas übertrieben, da etliche Passagen des Romans aus Jugenderlebnissen Farnbachs bestehen. Unbestritten jedoch: Lehmann ist mit seinem Debüt ein Roman geglückt, dessen rätselhafte Atmosphäre in den Gedanken seiner Leser_innen noch länger nachwirkt.
aus: analyse & kritik 646, 19.2.2019