Frauenhass und Homophobie sind im Pop bereits seit Jahren sichtbar: Jens Balzers neues Buch »Pop und Populismus«
Mit den Wahlerfolgen der AfD hat sich der Umgangston in der deutschen Politik weiter verschärft. Bösartige, hasserfüllte Rhetorik hat mit dem Siegeszug der Rechtspopulisten Eingang in die politische Debattenkultur gefunden. Findet diese Unkultur ihre Entsprechung auch in der aktuellen Popmusik? Dieser Frage geht der Berliner Popkritiker Jens Balzer in seinem neuen Buch »Pop und Populismus« nach. Wenig überraschend bejaht er diese Frage. Am Mittwochabend stellte er sein Buch in den Räumen der Hamburger Körber-Stiftung vor.
Als »steile These des Buches« bezeichnete er die Überlegung, dass zehn Jahre vor Gründung der AfD 2013 der von ihr artikulierte Patriarchalismus, der Frauenhass, die Homophobie und der Antisemitismus bereits im Pop sichtbar gewesen, ja vorweggenommen worden seien.
Vor allem fänden sich diese reaktionären Weltbilder im deutschen Gangsta- und Straßenrap. Das habe die Musikkritiker aber kaum interessiert – bis zur Echo-Preisverleihung 2018 an die beiden Rapper Kollegah und Farid Bang. Bezeichnend sei zudem, dass der erfolgreichste deutschsprachige Schlagersänger, der reaktionäre österreichische »Volks-Rock ’n’ Roller« Andreas Gabalier, auch in Deutschland große Stadien mit seinen patriarchalen und heimattümelnden Liedern füllt. Aggressiv gewendet findet man diesen Nationalismus auch bei der aus Südtirol kommenden Band Frei.Wild.
Mentalitätsgeschichtlich ist der Pop-Mainstream also nach rechts gerückt. Bedeutet das aber auch das »Ende der Popmusik als emanzipatorischer Ausdrucksform«, wie der Kulturkritiker Georg Seeßlen jüngst in seinem Buch »Is this the End?« analysierte? So einfach macht es sich Balzer nicht. Zwar zeichnet auch er ausführlich die eingangs erwähnten und weitere reaktionäre Phänomene in der aktuellen Popkultur nach. Jedoch begründet er eine weitere zentrale These des Buches: »Der Brutalisierung der popkulturellen Rhetorik steht eine ebenso starke Sensibilisierung für diskriminierende Sprechweisen und Arten der Kunst gegenüber.« Es finden sich also starke Gegenkräfte, die in einem ebenfalls historisch neuen Ausmaß die misogyne Rhetorik im Pop und die patriarchalen Strukturen der Kulturindustrie kritisierten und bekämpften.
Balzer zeigt dies anhand der feministischen Widerstandsbewegungen metoo und timesup, die sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt in der populären Kultur anprangern. Er macht sexualemanzipatorische Positionen nicht nur bei Künstlern wie Planningtorock oder Anna Calvi aus, die sich gegen eine binäre Geschlechteridentität verwahren, sondern auch dort, wo man sie zunächst nicht vermutet: im Schlager.
Der Autor verweist auf den Auftritt von Helene Fischer mit der Schlagersängerin Kerstin Ott – einer bekennenden Lesbe, deren Äußeres dem traditionellen Geschmack des Mainstream-Publikums widersprechen dürfte. 2018 sangen die beiden gemeinsam das Lied »Regenbogenfarben«. »Bild« titelte damals: »Helene Fischer macht LGBT-Fans glücklich«.
Balzer hat sich überdies dem sogenannten Trump- oder Fashwave ausgesetzt, also explizit rechter Musik. Sein Fazit klingt ermutigend: »Mit ein paar im Internet klandestin operierenden Produzenten-Nerds (Xurious, Cyber Nazi etc.), einem Rapper (Komplott) aus Halle und einem französischen Frauenquintett (Les Brigandes) ist jedenfalls kein neues, rechtes Woodstock zu machen.«
Dafür, dass es keine rechte Popmusik im originären Sinne gibt, hat Balzer eine Erklärung. Ihm zufolge ist der Kern einer emanzipatorischen Popkultur, dass sie keine Identitäten benötigt, sondern Grenzen überschreitet und damit hybrid, flexibel und im Werden begriffen ist, »als fände sich in ihr schon der utopische Aufschein einer wahrhaft grenzenlos gewordenen Welt«. Was völlig unvereinbar mit dem Denken von Trump, Le Pen und Gauland ist, die beständig den Rückzug auf Herkunft und »Identität« beschwören.
Genauso unvereinbar aber ist dieses Popverständnis mit linken Identitätspolitiken. Denn auch von links wird kulturelle Vielfalt unter dem Stichwort »kulturelle Aneignung« kritisiert. Das musste zum Beispiel die kanadische Produzentin Phoebé Guillemot alias Ramzi erfahren. Als sie Anfang des Jahres erste Ausschnitte ihres neuen Albums bei Soundcloud veröffentlichte, gab es einen Shitstorm. Angefeindet wurde ihr Sam᠆pling eines indischen Nationalliedes. Koloniale »Ausbeutung der indischen Musik« durch weiße Usurpatoren sei das, so wurde ihr vorgeworfen. Daraufhin zog sie das Album zurück.
Balzer geht mit dieser sich als links missverstehenden Identitätspolitik hart ins Gericht: Das sei Widerspiegelung und Förderung des Individualismus, der entfesselten kapitalistischen Wettbewerbsgesellschaft und »ihrer dialektischen Rückseite, der Sehnsucht nach identitärer Rückvergewisserung in einer unübersichtlich gewordenen Welt«.
Und die Popkritik? Sie müsse wach sein und genau hinsehen und hinhören, auch wenn der Gegenstand der Kritik ihr ästhetisch noch so uninteressant oder minderwertig erscheinen mag, fordert Balzer. Dass er das auf sich nimmt, dafür ist ihm zu danken. Näher zu diskutieren wäre indes der Kern seines emanzipatorischen Popverständnisses. Denn die in diesem Zusammenhang genannten Begriffe wie Grenzenlosigkeit, Flexibilität und Deterritorialität könnte jeder Neoliberale unterstreichen. Balzer ahnt allerdings das Problem und stellt die Frage, ob eine »verantwortungsvolle Kunst« in Abgrenzung zum reaktionären Pop »nicht am Ende nur ein Rädchen im neoliberalen Getriebe« wäre. Mehr aber auch nicht.
Jens Balzer: Pop und Populismus. Über Verantwortung in der Musik, Edition Körber, 206 S., geb., 17 €.
aus: neues deutschland, 24.5.2019