Keine der Bundestagsparteien denkt über die notwendige Klimapolitik nach
Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) forderte Anfang September das Ende der großen Koalition, sofern sich CDU/CSU und SPD nicht auf ein ambitioniertes Klimapaket verständigen würden. Eine Woche später nimmt das Klimapaket Formen an. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) plant unter anderem, auf deutschen Straßen bis 2030 sieben Millionen E-Autos rollen zu lassen sowie Radwege und Schienennetze auszubauen.
So steht es in einem Entwurf, mit dem der Minister Medienberichten zufolge in die entscheidende Sitzung des Klimakabinetts gehen möchte. Diese findet just parallel zum Weltklimastreik der Fridays-For-Future-Bewegung statt.
»Feinstaub-Andi« (Titanic) ist im Kampf gegen den Klimawandel besonders gefordert. Der Verkehrssektor ist Deutschlands größtes Klimaproblem, überall sind die Emissionen im Vergleich zu 1990 gesunken, nur nicht in seinem Zuständigkeitsbereich. Scheuers Mittel ist es, mit üppigen Prämien den Kauf von E-Autos attraktiver zu machen.
Das liegt auf der Linie, die die Kanzlerin in der Generaldebatte im Bundestag ausgegeben hatte: technische Innovationen, Förderprogramme für E-Mobilität, effizientere Heizungen und Geräte. Das kostet Milliarden Euro. Das Geld ist aber nicht das Problem. Entscheidend ist, ob die Investitionen zu weniger Treibhausgasen führen. Für Scheuers Plan wurde das umgehend verneint: Damit würden, so Christian Hochfeld von der Denkfabrik Agora, nur die Hälfte der notwendigen 55 Millionen Tonnen CO2 eingespart, die für das beschlossene Klimaziel notwendig wären. Von der lebhaften Diskussion über CO2-Steuern und den Emissionshandel ist nicht mehr viel zu hören. In der Wählergunst stehen Förderprogramm und Prämien höher als neue Abgaben. Die dahinter liegende und sicher von Scheuer und Merkel verfolgte Absicht: der taumelnden deutschen Autoindustrie mit einem Konjunkturprogramm auf die Beine zu helfen. Das erinnert an die Abwrackprämie von 2009. In der Weltwirtschaftskrise kurbelte die Regierung den Absatz von Neuwagen mit Prämien an. Die Ökobilanz ist umstritten. So wird viel Energie für die Verschrottung funktionstüchtiger Autos und die Produktion von neuen aufgewendet. Mehr noch: E-Autos sind keine Wunderwaffe. Elektromobilität bleibe integraler Bestandteil der Automobilität und des fossilistischen Kapitalismus, sagen Kritiker*innen.
Egal, was das Klimakabinett beschließen wird, im Vergleich zum Notwendigen ist es allemal Pillepalle. Was wäre notwendig? Ein Abschied von der Fixierung auf das Wirtschaftswachstum zum Beispiel, von der Illusion, ein höheres BIP mit einem reduzierten ökologischen Fußabdruck erreichen zu können. Nötig wäre eine Diskussion darüber, wie ein schneller Rückgang des absoluten Ressourcenverbrauchs, insbesondere von fossiler Energie, erreicht werden könnte. Doch keine der im Bundestag vertretenen Parteien wagt dieses heiße Eisen anzupacken. Auch die Grünen nicht, sie wollen das Wachstum nur begrünen.
Und Schulze? Wetten, dass sie und ihre Genoss*innen die GroKo dann doch nicht aufs Spiel setzen?!
aus: analyse & kritik, Nr. 652 / 16.7.2019