Plädoyer für radikale Steuerung des Marktes

Der Ökonom Heiner Flassbeck kritisiert in seinem neuen Buch die herrschende Klimapolitik

Heiner Flassbeck ist ein streitbarer Ökonom. Voller Selbstvertrauen argumentierte und polemisierte der am Keynesianismus orientierte Ökonom in den letzten Jahren gegen die neoliberale, austeritätsversessene deutsche Wirtschaftspolitik. Obwohl er inhaltlich oft ins Schwarze trifft, kann Flassbecks mitunter oberlehrerhafter Ton etwas abschrecken. Dieser findet sich auch in seinem jüngsten Buch, das sich einem Thema widmet, das für den Autoren überraschend anmutet: der Ökologie. Schließlich ist der Außenhandelsexperte und frühere Chefvolkswirt der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung nicht als Umweltökonom bekannt.

Eingangs bekennt sich der 70-Jährige de facto jedoch zu einer der zentralen Erkenntnisse dieser akademischen Richtung: Zu Recht würden Naturwissenschaftler darauf verweisen, dass es auf einem begrenzten Planeten mit begrenzten Ressourcen schlicht kein unbegrenztes Wachstum und fortdauernden Ressourcenverbrauch geben könne. Flassbeck folgert daraus, dass der Ausstieg aus der fossilen Wirtschaft gelingen müsse. Der Fokus liegt somit eindeutig auf der Klimafrage, andere ökologische Krisen wie der Schwund der Artenvielfalt werden nicht behandelt.

Grundsätzlich ist der Verfasser der Ansicht, dass die im Untertitel gestellte Frage nach Versöhnung von Ökonomie und Ökologie zu bejahen ist. Nötig dafür sei, dass Ökologie ein unauflöslicher Teil der Wirtschaft werden müsse. Dem steht, so Flassbeck, die herrschende Wirtschaftslehre entgegen. Weshalb es eine gewaltige Kraftanstrengung in der wirtschaftswissenschaftlichen Bildung brauche.

Der Antwort des Ökonomen fehlt es indes an Überzeugungskraft. Denn wie das im Einzelnen geschehen soll, wird nicht ausgeführt. Oder nur über einen Umweg: die Kritik der herrschenden Klimapolitik. Hier liegt die tatsächliche Stärke des Buches. Gegen die Maßnahmen insbesondere der deutschen Regierung wendet Flassbeck ein: Angenommen, Deutschland würde die Energiewende tatsächlich schaffen, was wäre damit gewonnen? Nicht viel, argumentiert der Autor. Denn der Nachfrageausfall auf dem Weltmarkt würde die Preise sinken lassen, sodass andere Staaten in die Lage versetzt werden, die in Deutschland nicht nachgefragte fossile Energie konsumieren zu können. In einem funktionierenden Markt führe der Minderverbrauch an einer Stelle zwingend zu einem Mehrverbrauch an anderer Stelle. Global ändere sich nichts. Dieses Argument ist in der Degrowth-Bewegung, von der Flassbeck wenig hält, weil mit ihr keine demokratischen Mehrheiten zu erringen seien, unter dem Begriff Reboundeffekt bei Suffizienz (Verzicht) bekannt.

Wie aber könnte eine richtige Klimapolitik aussehen? Zum einen müsse diese durch eine Wirtschaftspolitik ergänzt werden, die den Lebensstandard der Menschen in den weniger entwickelten Ländern im Blick hat. Denn nur wenn diese Menschen ihren Lebensunterhalt bestreiten können, sind sie für Umweltpolitik empfänglich. Zum anderen nimmt Flassbeck die Energieunternehmen ins Visier. Sie müssten durch ein »globales und radikales Management des Marktes«, eine Besteuerung der Nachfrage sowie eine Rationierung des Angebotes dazu gebracht werden, Öl und Kohle in der Erde zu lassen. Doch darüber werde nicht einmal ernsthaft nachgedacht.

Der Autor liefert somit wichtige Argumente, warum die jetzige Klimapolitik unzureichend ist. Richtig auch seine Forderung, dass man sie global angehen und demokratische Mehrheiten erringen müsse. Zweifel ist jedoch angebracht, ob ordnungspolitische Maßnahmen und Preissteigerungen ausreichen. Ausdrücklich ist die Klimafrage für den Autor keine Systemfrage, der Kapitalismus lasse sich schon umsteuern. Flassbecks Ziel: »eine gemischte Wirtschaft aus staatlichen und privaten Akteuren«. Bei aller Marktskepsis schimmert somit immer wieder ein idealisiertes Bild der kapitalistischen Marktwirtschaft durch.

Heiner Flassbeck: Der begrenzte Planet und die unbegrenzte Wirtschaft. Lassen sich Ökonomie und Ökologie versöhnen? Westend, Frankfurt/Main. 173 Seiten, 18 Euro.

aus: neues deutschland, 22.12.2020

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