Der am vergangenen Sonntag in Lissabon beendete EU-Afrika-Gipfel wurde von der Fehde zwischen Simbabwes Staatspräsident Robert Mugabe und Angela Merkel überschattet. In den Hintergrund geriet dabei, was eigentlich der Höhepunkt des Treffens hätte sein sollen: Die Unterzeichnung der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Economic Partnership Agreements, EPA).
Im Vorfeld musste, wer sich über diese Freihandelsabkommen informieren wollte, die Lupe zur Hand nehmen. Die Presselandschaft wurde von der Frage beherrscht, ob denn nun Mugabe an dem Treffen teilnimmt, und ob – eben wegen Mugabes Teilnahme – Englands Premier Gordon Brown das Treffen boykottiert. Nun sind wir schlauer: Mugabe kam und wurde von Merkel der Verletzung von Menschenrechten bezichtigt. Daraufhin unterstellte nicht nur Mugabe ihr Unkenntnis über die Situation in seinem Land. Brown hingegen verbrachte sein Wochenende anderweitig und schickte eine nachgeordnete Delegation.
Lange Zeit galt Afrika als der „vergessene Kontinent“. Woher also rührt das plötzliche Interesse? Schließlich bemühen sich nicht nur die europäischen Staaten um eine Intensivierung ihrer Beziehungen zu Afrika. Die USA und insbesondere auch China sind ihnen in dieser Hinsicht deutlich voraus. Das liegt auch daran, dass sie den Handelsbeziehungen und den militärischen Interessen Vorrang vor Menschenrechtsfragen einräumen.
Europa agiert hier uneins. Während Merkel die Menschenrechtskarte ausspielt – offenbar getreu dem Motto „Wer auf Gütermärkten Erfolg haben will, muss auf Meinungsmärkten Erfolg haben“ – setzt Frankreichs Präsident Sarkozy ohne Umschweife auf die wirtschaftlichen Aspekte, und rollt Gaddafi den roten Teppich aus.
Hintergrund für das gesteigerte Interesse der Großmächte ist die Tatsache, dass Afrika dank seiner gigantischen Rohstoffvorkommen eine „geostrategische Renaissance“ („Die Zeit“) erlebt. In Zeiten eines permanent steigenden Ölpreises erlangen neu entdeckte Ölvorkommen in Afrika eine wichtige Bedeutung. Die USA werden 2015 vermutlich ein Viertel ihrer Ölimporte aus Afrika beziehen.
Doch auch Rohstoffe wie Kupfer, Kobalt und Platin sind für die kapitalistische Ökonomie unentbehrlich. Afrika konnte somit erstmals seit Jahrzehnten seinen Anteil an den ausländischen Direktinvestitionen steigern. Der deutsch-afrikanische Außenhandel stieg z.B. in den letzten Jahren jeweils zweistellig. Im Jahre 2006 gab es eine Steigerung um 18% auf 33 Milliarden Euro.
Des Weiteren ist Afrikas Landwirtschaft sowohl als Absatzmarkt wie auch als Produktionsfaktor für die globale kapitalistische Inwertsetzung einer der wenigen Regionen, die noch Potenzial für eine Ausweitung der kommerziellen Logik bietet. Deshalb drängt ein Machtkartell von transnationalen Agrarkonzernen, Supermarktketten, internationalen Institutionen und Politik Afrika zu einer zweiten „Grünen Revolution“. „‚Afrikas Bauern sind arm, weil sie nicht genug Dünger, Pestizide und patentiertes Saatgut benutzen‘, behaupten die Agro-Konzerne. ‚Sie sind arm, weil sie nicht genug exportieren‘, ergänzt die Weltbank und fördert Handelsliberalisierung und Privatisierung“ – so fasst Uwe Hoering in seinem Buch „Agrar-Kolonialismus in Afrika“ (2007) die Argumentation dieses Kartells zusammen.
Und infolge der allgemeinen Terrorhysterie nach dem 11. September 2001 ist Afrika auch in militärischer Hinsicht von Interesse geworden, weil Länder wie der Sudan oder Liberia als mögliche Rückzugsorte für mutmaßliche Terroristen dienen, und der Handel mit Rohstoffen eine Finanzierungsquelle von Terroranschlägen sein könnte.
Wenn man über die Beziehungen zwischen Afrika und Europa redet, kann man dies nicht tun, ohne die Jahrhunderte lange Geschichte der Kolonialisierung Afrikas durch europäische Staaten zu berücksichtigen. Während in Afrika diese (Leidens-) Geschichte und die verheerenden Folgen für die ökonomische wie soziale Entwicklung allgegenwärtig sind – und gelegentlich, wie zuletzt von Gaddafi am Wochenende in Lissabon, Entschädigungszahlungen gefordert werden -, herrscht in Europa eine peinlich berührte Stille.
Wenn dann doch die Sprache auf dieses Kapitel kommt, verweist man gönnerhaft auf die in den letzten Jahrzehnten geleistete Entwicklungshilfe. Dabei wird übersehen, dass das, „was die großen Geberländer gemäß den ideologischen Vorgaben des Kalten Krieges und zur Erhaltung ihrer alten kolonialen Einflusssphären als Hilfe für die ‚Dritte Welt‘ verteilten, größtenteils unter dem Posten ‚geopolitisch motiviertes Schmiergeld‘ zu verbuchen ist“ – wie selbst „Die Zeit“ mit Bezug auf den Schweizer Entwicklungshilfeexperte Stefan Niggli anmerkte.
Und überhaupt ist für den europäischen Diskurs über Afrika kennzeichnend, dass der Zustand der Welt losgelöst von den destruktiven Kräften westlicher Interessenpolitik betrachtet wird. Kolonialismus, Stellvertreterkriege, IWF-Strukturanpassungsprogramme, Integration in den kapitalistischen Weltmarkt – all das spielt keine Rolle. Obgleich die Kritik an die Machteliten mancher afrikanischer Staaten sicher nicht unberechtigt ist, da diese oftmals das fortgeführt haben, was ihre früheren Kolonialherren ihnen vorgemacht hatten.
„Die afrikanischen Staaten sind nicht mehr nur Exporteure von Rohstoffen oder einfache Exportmärkte“, sagte Alpha Oumar Konaré, Kommissionspräsident der Afrikanischen Union (AU), auf dem EU-Afrika-Gipfeltreffen. Diese Äußerung bringt beispielhaft zum Ausdruck, dass Afrika gegenüber Europa ein neues Selbstbewusstsein gewonnen hat – eben durch ihre gestiegene weltpolitische Bedeutung und die Umgarnung durch die Chinesen und Amerikaner.
Dass nämlich gerade die umstrittenen EPAs vom senegalesischen Präsidenten Aboulaye Wade als „Zwangsjacke“ bezeichnet und konsequenterweise abgelehnt wurden, galt nicht als selbstverständlich. Ebenso die Ablehnung durch Südafrikas Präsident Thabo Mbeki und weiteren Staaten, wurde doch von Seiten der EU massiver Druck durch die Kürzung von Entwicklungshilfen und Zollerhöhungen ausgeübt. Ein „zynisches und allen internationalen Regeln widersprechendes Vorgehen“, wie die schwedische sozialdemokratische Zeitung „Aftonbladet“ schrieb.
Doch mit der ablehnenden Haltung einiger afrikanischen Staaten auf dem Lissabonner Gipfel ist die Gefahr der Freihandelspolitik in Gestalt der EPAs mit ihren negativen Auswirkungen, wie u.a. Zusammenbruch der lokalen Produktionen, Arbeitslosigkeit, zunehmende Armut und ökologische Probleme, keineswegs gebannt. Einige ostafrikanische Staaten haben sie bereits unterzeichnet, und die EU-Kommission ließ schon im Oktober angesichts der verfahrenen Verhandlungen verlautbaren, dass sie die EPA-Verhandlungen zeitlich flexibler zu gestalten und zunächst Interimsabkommen abzuschließen beabsichtige.
Dies jedoch als Abrücken von den Verhandlungszielen zu interpretieren, sei ein Fehler. Insbesondere auch vor diesen Interimsabkommen warnen globalisierungskritische und entwicklungspolitische Gruppen, da diese „Bedingungen vorsehen, die eine spätere entwicklungsfreundliche Gestaltung der EPAs nahezu unmöglich machen würden.“ Konkret: Zunächst soll eine schnelle Einigung über den Güterverkehr erzielt werden, und im Laufe des nächsten Jahres Themen wie Liberalisierungen im Dienstleistungssektor, freier Zugang europäischer Direktinvestoren und Gleichstellung europäischer Investoren auf die Agenda kommen. Mit der von europäischer Seite viel beschworenen „Neuen Partnerschaft“ ist es insofern nicht weit her.
(aus: www.sozialismus.de)