Hühnerbeine für Afrika

Der Rohstoffboom in Afrika weckt Begehrlichkeiten. Weil die EU militärisch nicht konkurrenzfähig ist, setzt sie bisher auf Multilateralismus und Menschenrechtsrhetorik. Die aggressive Handelspolitik der EU-Kommission konterkariert dies.

»Diese Abkommen zielen darauf, unsere Märkte für europäische Importe zu öffnen. (…) Europa schickt uns seine Hühnerbeine, seine Gebrauchtwaren, seine abgelaufenen Medikamente und seine ausgelatschten Schuhe, und weil eure Reste unsere Märkte überschwemmen, gehen unsere Handwerker und Bauern unter.« Dieses Zitat von Aminata Traoré, der ehemaligen Kulturministerin von Mali, bringt anschaulich auf den Punkt, was derzeit Streitpunkt im europäisch-afrikanischen Verhältnis ist: die von der EU vorangetriebene »imperiale Liberalisierung«, wie die Sozialwissenschaftler Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf in ihrem Buch »Konkurrenz für das Empire« schreiben. 

Ein Instrument dabei sind die angesprochenen Abkommen, die euphemistisch so genannten Economic Partnership Agreements (EPA). Diese hat man sich als regionale Freihandelsabkommen zwischen der EU und den AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik) vorzustellen. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich dazu, ihre Märkte für Waren und Investitionen zu öffnen.

Die Bemühungen Europas vollziehen sich vor dem Hintergrund, dass Afrika seit wenigen Jahren wegen seiner bedeutenden Rohstoffreserven eine »geostrategische Renaissance« (Die Zeit) erlebt. In Zeiten eines permanent steigenden Ölpreises erlangen die Ölvorkommen in Afrika eine wichtige Bedeutung. Doch auch Rohstoffe wie Gold, Silber, Kupfer, Nickel, Platin und Diamanten sind für die kapitalistische Ökonomie unentbehrlich. Afrika konnte erstmals seit Jahrzehnten seinen Anteil an den ausländischen Direktinvestitionen steigern. Die gesamtwirtschaftliche Wirtschaftswachstumsrate liegt seit 2001 bei rund fünf Prozent, was sich auch in einer Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens bemerkbar gemacht hat.

Des weiteren ist Afrikas Landwirtschaft sowohl als Absatzmarkt wie auch als Produktionsfaktor für die globale kapitalistische Inwertsetzung eine der wenigen Regionen, die noch Potenzial für eine Ausweitung der kommerziellen Logik bietet. Daher verwundert es nicht, dass ein Machtkartell von transnationalen Agrarkonzernen, Supermarktketten und internationalen Institutionen Afrika zu einer zweiten »grünen Revolution« drängt. Der Publizist Uwe Hoering hat deren Argumentation so zusammengefasst: »›Afrikas Bauern sind arm, weil sie nicht genug Dünger, Pestizide und patentiertes Saatgut benutzen‹, behaupten die Agro-Konzerne. ›Sie sind arm, weil sie nicht genug exportieren‹, ergänzt die Weltbank und fördert Handelsliberalisierung und Privatisierung.«

Auf der einen Seite verschafft der Rohstoffboom den Staaten die Möglichkeit, größere Investitionen in Infrastrukturen und soziale Sicherungssysteme zu tätigen. Andererseits setzen steigende Rohstoffexporte die Währungen der Exportländer unter Aufwertungsdruck, da die Preise für die fertigen Produkte, die dann in andere Länder exportiert werden, zu steigen drohen.

Eine besondere Brisanz erhält das gestiegene Interesse an Afrika jedoch dadurch, dass neben den kapitalistischen Großmächten EU und USA ein neuer aufstrebender Staat unverhohlen seine Ansprüche anmeldet: nämlich China. Und den Ansprüchen sind schon längst Taten gefolgt. Das chinesisch-afrikanische Handelsvolumen wurde in den letzten fünf Jahrzehnten von zehn auf 55,5 Milliarden US-Dollar gesteigert, 900 Unternehmen aus China sind in Afrika aktiv, das Investitionsvolumen beläuft sich auf 6,7 Milliarden Dollar. Afrika ist für China ein wichtiger Rohstofflieferant, und auch als Absatzmarkt wird der Kontinent zunehmend für chinesische Waren interessant.

Wie verhält sich die EU angesichts des chinesischen und US-amerikanischen Engagements? Nun, die Union verstärkt ebenfalls ihre Bemühungen, was u.a. in der »Global-Europe«-Strategie der EU-Kommission zum Ausdruck kommt, deren Kern die Verbesserung der Wettbewerbssituation europäischer Unternehmen ist. Auf diplomatischer Ebene ist auch der EU-Afrika-Gipfel vom Dezember als ein Zeichen für intensivierte Bemühungen zu bewerten. Zu dieser Gelegenheit, wie generell auf offizieller Ebene, spricht die EU von Menschenrechten.

Jenseits der offiziellen Ebene sieht es indes anders aus. Weitgehend unbeachtet verfolgt die EU-Kommission eine aggressive Handelspolitik, die selbst die der USA in den Schatten stellt. In erster Linie erfolgt dies durch den Abschluss von bilateralen Freihandelsabkommen, die zum einen, im Vergleich mit den kollektiven Aushandlungs­prozessen innerhalb der WTO, mit einem Machtgewinn der ökonomisch potenten Staaten einhergehen. Zum anderen sollen weitere Bereiche als auf der WTO-Konferenz 1996 in Singapur vorgesehen – z.B. Dienstleistungen – den Prinzipien des Freihandels preisgegeben werden. Der größte Druck hin zu diesen bilateralen Abkommen, schreiben etwa Altvater und Mahnkopf, gehe von der EU aus.

Eigentlich hätten bis zum Jahresende 2007 die Economic Partnership Agreements zwischen der EU und den AKP-Staaten abgeschlossen werden sollen. Doch nicht zuletzt infolge des neuen Selbstbewusstseins der afrikanischen Staaten, das aufgrund des Rohstoffbooms wuchs, verweigerten einige Regierungen ihre Unterschrift. Das war nicht unbedingt zu erwarten gewesen, wurde doch von der EU massiver Druck in Form von Entwicklungshilfekürzungen und Zollerhöhungen ausgeübt. Ein Verfahren, welches die dänische Zeitung Dagbladet am 27.Dezember immerhin zu einem kritischen Artikel mit dem Titel »Erpressungsversuche gegenüber Afrika?« veranlasste. Die schwedische Zeitung Aftonbladet sprach gar von einem »zynischen und allen internationalen Regeln widersprechenden Vorgehen«.

Doch mit der ablehnenden Haltung einiger afrikanischer Staaten ist die Gefahr der Freihandelspolitik in Gestalt der EPA keineswegs gebannt. 15 karibische Staaten haben bereits ein derartiges Abkommen mit der EU abgeschlossen, während einige Länder Afrikas einem so genannten Interimsabkommen zugestimmt haben. Gerade auch diese Abkommen werden von globalisierungskritischen Organisationen kritisiert. Oxfam etwa sieht weite Teile der Wirtschaft in den mehr als 20 Staaten, die ein Interimsabkommen abgeschlossen haben, in ihrer Existenz bedroht. Überdies werden die AKP-Staaten durch die Abkommen dazu verpflichtet, auch über die Liberalisierung von Investitionen sowie den Schutz geistiger Eigentumsrechte weiter zu verhandeln. Den Staaten wiederum, die sich weigerten zu unterzeichnen, hat die EU-Kommission kurzerhand zu Jahresbeginn drastisch höhere Einfuhrzölle verordnet.

Der US-amerikanische neokonservative Politikberater Robert Kagan konstatiert, dass die EU lediglich auf Menschenrechte und Multilateralismus setzt, weil sie derzeit noch zu schwach ist, eigenständig militärisch zu handeln. Das erscheint nicht abwegig: Die Festschreibung eines Aufrüstungsgebots in dem Mitte Dezember verabschiedeten EU-Grundlagenvertrag ist nur ein Indiz dafür, dass die EU nicht länger schwach sein möch­te.

(aus: Jungle World Nr. 2, 10.2.2008)

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