Unter Physik-Studierenden erzählt man sich diesen Witz: Es dauert noch 50 Jahre bis zur Fusionskraft, aber diese Zahl ändert sich nie. Mitte Dezember ging eine Nachricht um die Welt, die diesen Witz scheinbar alt aussehen ließ: Forscher*innen der National Ignition Facility (NIF) in Kalifornien ist es erstmals gelungen, bei einem Kernfusionsexperiment mehr Energie zu gewinnen, als zu verbrauchen. Das wurde von Politiker*innen und Medien in aller Welt als Sensation gefeiert. US-Energieministerin Jennifer Granholm sprach von einer »der beeindruckendsten wissenschaftlichen Leistungen des 21. Jahrhunderts«. Hierzulande sprach Bildungs- und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) von einem »historischen Tag für die Energieversorgung der Zukunft«. Und ihr Parteifreund Finanzminister Christian Lindner nutzte den Anlass, um mal wieder gegen die angebliche Verbotskultur in Deutschland zu Felde zu ziehen und die Freude am Erfinden hochzuhalten.
Die Begeisterung über das Experiment am NIF, wo übrigens überwiegend zur militärischen Anwendung der Kernfusion geforscht wird, nährt sich aus der Hoffnung, endlich eine Form der Energiegewinnung gefunden zu haben, die emissionsarm und im Überfluss vorhanden ist. Unangenehme Diskussionen über Verzicht, weniger Ressourcenverbrauch und das Ende des auf Wachstum basierenden Kapitalismus und seiner imperialen Lebensweise müssten dann nicht geführt werden.
Doch was ist Kernfusion eigentlich? Im Grunde ist Kernfusion das, was in der Sonne und den Sternen passiert. Dort wird bei unvorstellbarer Hitze Wasserstoff erhitzt, so dass die Atomkerne des Wasserstoffs zu Heliumkernen fusionieren. Dabei wird Energie freigesetzt. Im Vergleich zur Kernkraft ist viel weniger Radioaktivität im Spiel, diese hat eine viel geringere Halbwertszeit – vor allem aber besteht keine Gefahr, dass es zu einem schlimmen Unfall wie in Tschernobyl oder Fukushima kommen kann.
Von einem Experiment hin zu einem Kernfusionskraftwerk ist es noch ein ganz, ganz weiter Weg.
Den US-Wissenschaftler*innen gelang es bei ihrem Experiment mit der weltstärksten Laseranlage, winzige Mengen von schwerem und überschwerem Wasserstoff (Deuterium und Tritium) in etwa eine Million Grad heißes Plasma zu wandeln. Dabei erhitzten viele Laserstrahlen das Innere eines wenige Millimeter großen Behälters. Das Ergebnis: Das Verhältnis der gewonnenen Energie zu der, die man in den Behälter hineingeleitet hatte, war zum ersten Mal positiv. So die Medienberichte.
Doch dieser Vergleich ist schief: Nicht berücksichtigt wird hier die Energie, die zum Betrieb der 192 Laser benötigt wurde. Unterschiedlichen Einschätzungen zufolge soll diese hundert- bis zweihundert Mal höher sein als die Energie, die zum Schluss herauskam. In den Meldungen wurde nur die Laserenergie, die in das System hineingeleitet wurde, im Verhältnis zur gewonnenen Energie gesetzt. Nur so konnte man auf einen medientauglichen positiven Energieertrag kommen.
Es gibt noch weitere Gründe, die Anlass zur Skepsis angesichts der euphorischen Meldungen über das US-Experiment geben: Der Energie-Output lag in Form von Wärme vor, bei der Umwandlung in Strom würden noch mal rund zwei Drittel verloren gehen. Zudem ist die Reproduzierbarkeit des Experiments sehr schwierig, und die Kernfusion konnte nur einen Bruchteil einer Sekunde gelingen. Um Strom zu erzeugen, bräuchte man Stunden. Schließlich wurde Tritium verwendet; das aber in der Natur kaum vorkommt und in der Herstellung sehr aufwendig ist. Bislang ist es ein »Abfallprodukt« von Kernreaktoren.
Das alles zeigt: Von einem Experiment hin zu einem Kernfusionskraftwerk ist es noch ein ganz, ganz weiter Weg. Erstmals müsste zunächst experimentell gezeigt werden, dass die Gesamtenergiebilanz positiv ist, also unter Berücksichtigung der aufgewendeten Energie, um die Laser zu betreiben. Davon ist man noch meilenweit entfernt. Und selbst wenn das erreicht werden sollte, ist die Frage, ob das quasi industriell, in Kernfusionswerken erfolgen kann. Selbst durch den kalifornischen Erfolg euphorisierte Wissenschafter*innen gehen davon aus, dass es noch 20 bis 30 Jahre dauern könnte, manche halten das schlicht für unmöglich. Damit ist aber auch schon klar, dass die Kernfusion als Retterin für das Klima ausfällt. Denn die Weichenstellungen hin zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft müssen in den nächsten sieben Jahren erfolgen, bis dahin muss der Ausstoß von Treibhausgasen drastisch reduziert werden. Anderenfalls droht uns eine Klimaerwärmung von weit über zwei Grad. Kernfusionskraftwerke kommen in jedem Fall zu spät, wenn sie denn kommen – und es nicht bei der Prognose von 50 Jahren bleibt, die immer gleich bleibt.
aus: analyse & kritik 689, 17. Januar 2023